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Falke, Räuber, Sensenmann

Automatisierung der Gewalt

Von Lotta Suter *

Die aussergerichtliche Exekution des US-Bürgers und Al-Kaida-Mitglieds Anwar al-Awlaki vor zwei Wochen im Jemen durch eine Killerdrohne zeigt: Der Krieg der Roboter hat längst begonnen.

Bloss eine Handvoll Terroristenführer müss­ten noch eliminiert werden, dann sei das ganze Al-Kaida-Problem erledigt, meinte der frühere CIA-Chef Leon Panetta an seiner allerersten Pressekonferenz als neuer Verteidigungsminister der USA.

Das war im Juli 2011. Im August 2011 kam die Nummer zwei des Terrornetzes, der Libyer Atijah Abd al-Rahman, in Pakistan bei einer von US-Präsident Barack Obama sanktio­nierten CIA-Aktion ums Leben. Im September folgte im Jemen die aussergerichtliche Exekution des US-Bürgers, Hasspredigers und Terrorverdächtigen Anwar al-Awlaki. Die dabei verwendeten Killerdrohnen des Typs «Predator» (Räuber) machten international Schlagzeilen. Die Zielsicherheit der sogenannten «unmanned aerial vehicles» (UAV), der unbemannten Luftfahrzeuge, wurde trotz früherer Fehltreffer im Fall Awlaki über den grünen Klee gelobt. Die ferngesteuerten, mit hochsensiblen Sensoren und höchst zerstörerischen Bomben bestückten Flugapparate seien das Waffensystem der Zukunft, priesen selbst ernannte Militärexperten. Und manche Superpatrioten träumen bereits vom «sauberen Ende des Kriegs gegen den Terror».

Die politisch vorsichtigeren BeraterInnen der Obama-Regierung debattieren vorerst noch die Legalität und Moralität der Drohnentötungen ohne Gerichtsurteil. Sie fragen etwa: Wie sieht bei der heutigen Kriegsführung eine «heisse» Kampfzone aus? Gilt die territoriale Souveränität von Verbündeten auch für Drohneneinsätze? Wann ist eine Bedrohung «imminent», also unmittelbar bevorstehend, und berechtigt somit zur bewaffneten Selbstverteidigung? Sollte die Oberaufsicht über das tödliche Drohnenprogramm vom CIA zum Pentagon wechseln? Können die Genfer Konventionen auch auf die Kriege des 21. Jahrhunderts angewandt werden?

Niemand stellt in dieser Diskussion die Existenzberechtigung der neuen Waffensys­teme grundsätzlich infrage. Es geht lediglich darum, wie der Krieg der Drohnen in Zukunft am besten definiert, legalisiert und allenfalls limitiert werden kann. Das Ganze erinnert an die US-amerikanische Folter­debatte, bei der es zum Schluss gar keine Folter mehr gab, bloss noch «erweiterte Verhörtechniken». Wie jeder mittelprächtige Zauberer richtet die UAV-Lobby die Aufmerksamkeit des Publikums dahin, wo nichts Wesentliches geschieht. Auf seiner Website Tomdispatch rät der erfahrene linke Journalist Tom Engelhardt deshalb: «Vergesst die Rechtsfragen, die Definitionen und Argumentationen, und konzentriert euch stattdessen auf die Drohnen selbst und die Leute, die an ihrer Entwicklung interessiert sind.»

Tödlicher Einsatz in sechs Staaten

Die Drohnen selbst, das sind die rund 7000 unbemannten Fluggeräte der US-Streitkräfte, die heute in den unterschiedlichsten Formen, Grössen und Funktionen durch die Luft schwirren. Die rund 15 000 US-Kriegsroboter, die sich derweil auf der Erde beziehungsweise auf oder unter der Wasseroberfläche tummeln, sind dabei nicht mitgezählt. Dem Namen nach könnten die UAV einem aggressiven Computerspiel entflogen sein. Da gibt es den «Globalen Falken» und den «Schatten­falken», den «Adler», den «Raben» und den «Kleinen Samurai». Am bekanntesten ist wohl das im Irak, in Afghanistan und Pakistan hundertfach eingesetzte Drohnenmodell «Predator» und seine noch grössere und tödlichere Version, der «Reaper» (Sensenmann). Auch im Jemen, in Somalia und Libyen (während des Nato-Einsatzes) sind erwiesenermassen bewaffnete US-Drohnen zum Einsatz ge­kommen.

Bereits heute bildet die US Air Force mehr SoldatInnen an UAV aus als an herkömmlichen Flugzeugen. Seit 2005 gibt es einen 1200-prozentigen Zuwachs an Luftpatrouillen mit bewaffneten Drohnen. Und die Rüs­tungsindustrie der USA hat offenbar die Entwicklung von neuen bemannten Flugzeugen für die militärische Luftfahrt ganz aufgegeben und arbeitet nun ausschliesslich an der Robotisierung der Air Force.

Die UAV sind in den USA heute schon ein 5-Milliarden-Dollar-Geschäft. Und die UAV-Flotte der US Air Force ist eine der wenigen Militärabteilungen, die im nächsten Jahr nicht mit Kürzungen rechnen muss. Die Rüstungsindustrie – vorab die grossen US-Rüstungskonzerne wie Boeing, Lockheed Martin, General Atomics und Northtrop Gunman – rechnet mit einer Verdoppelung der globalen Aufträge für UAV in den nächsten zehn Jahren. Ein 95-Milliarden-Dollar-Markt sollen die Flugroboter bis ins Jahr 2020 werden. Bereits heute sind über vierzig Staaten im Besitz von Drohnen: die USA (mit einem Löwenanteil von 56 Prozent des Gesamtvolumens), gefolgt von China (12 Prozent), Israel (9 Prozent) und Russland (8 Prozent). Indien, Pakistan, Brasilien, der Iran und Europa stecken noch in den Anfängen der UAV-Beschaffung, holen aber schnell auf. In vielen dieser Länder werden die ferngesteuerten Flugkörper neben klassischen Verteidigungszwecken auch zur Grenzüberwachung und zur Beobachtung der eigenen Bevölkerung eingesetzt.

In der Grossmacht USA werden die gewaltigen Wirtschaftsinteressen, die hinter den UAV stehen, sowie die zahlreichen Karrieren bei der CIA und dem US-Militär, die sich der neuen Technologie verdanken, die Robotisierung des Krieges – und damit den Krieg überhaupt – nach Kräften vorantreiben. Der Einsatz von Maschinen statt Menschen wird die Hemmschwelle der US-PolitikerInnen für bewaffnete Einsätze herabsetzen. Heute schon ist der ideologische und rechtliche Rahmen des Landes wie geschaffen für UAV-EnthusiastInnen. Denn der «Krieg gegen den Terror», den die Regierung von George Bush nach dem 11. September 2001 eingeführt hat, bestimmt nach wie vor das geo- und das innenpolitische Denken der US-Regierung. Solange dieser Ausnahmezustand anhält, wird in den USA so ziemlich alles militarisiert werden, was die technische Entwicklung hergibt. Und diese ermöglicht, wie die Entwicklung der Kriegsroboter zeigt, sehr viel (siehe unten: «Krieg ohne Krieger»).

Eine 82 Seiten lange Wunschliste

Was sich die US-Armeeführung von den unbemannten Flugkörpern wünscht, lässt sich im Strategiebericht «Unmanned Aircraft Systems Flight Plan 2009–2047» der US Air Force nachlesen. Angestrebt werden unter anderem tiefere Kosten, ein kleinerer militärischer Fussabdruck im Feindesland und ein geringeres Risiko für die eigenen Truppen. Ein – nicht ganz unbescheidenes – Ziel ist die weltweite Übermittlung aller für die USA militärisch relevanten Informationen in Echtzeit. Erreicht werden soll das durch eine Zusammenschaltung und Vernetzung verschiedenster UAV-Modelle und ganzer UAV-Schwärme via Super-Internet. Die US-Luftwaffe will alle möglichen Drohnen einsetzen: von tragbaren Mikrodrohnen (und sogar Nano-«Insekten») über mittelgrosse flugzeugähnliche Roboter bis zu flugzeuggrossen Modellen.

Ausserdem zeigt die Air Force Interesse an Spezialmaschinen, die komplexe Operationen autonom, also ohne Steuerung durch eine Person, ausführen können. Die Kontrolle über den An- und Aus-Schalter soll zwar noch in Menschenhand bleiben, aber das sei nurmehr eine «Vetomacht», meint der Militär­experte Peter Singer. Auf der 82 Seiten langen Wunschliste des US-Militärs gibt es zwar auch ein Kapitel «Lücken und Mängel», aber diese Textstelle ist als einzige klassifiziert, also nicht einsehbar.

180 Leute pro Einsatz

Zurück zum Wunschdenken. Auf den ersten Blick scheint es logisch, dass unbemannte Waffensysteme billiger zu haben und zu unterhalten sind als eine herkömmliche Armee. Gespart werden kann etwa an der Ausrüs­tung, den Lohnkosten und der Ausbildung des Militär­personals im Cockpit und am Boden. Allerdings geht gern vergessen, dass ein grösseres UAV, etwa ein «Reaper», für einen Einsatz etwa 180 Leute braucht. Auch ist zu erwarten, dass die Rüstungsindustrie alles daran setzen wird, allfällige Absatzverluste im traditionellen Militärbereich wettzumachen. Sie wird ständig neue, noch bessere, schnellere, multifunktionale Systeme anbieten – und die Entwicklungskosten auf die Kundschaft abwälzen.

Dazu kommt, dass neue Waffensysteme auch neue militärische Einrichtungen benötigen. Al-Awlaki sei der erste Treffer einer neuen US-Drohnenbasis auf der arabischen Halb­insel gewesen, wusste die «Washington Post» Ende September zu berichten und erwähnte gleich ein halbes Dutzend weiterer geplanter Drohnenstandorte, unter anderem auf den Seychellen und in Äthiopien. Die Details hielt die Zeitung auf Wunsch des Pentagons geheim.

Unschuldige Opfer im Grenzgebiet

Ein kleinerer militärischer Fussabdruck? Gemäss einer Untersuchung der unabhängigen Denkfabrik New America Foundation haben die Drohnenattacken des CIA in Pakistan seit 2004 über 2500 Menschenleben gekostet. Nur 35 davon waren bekannte Al-Kaida-Führer. Selbst wenn man der Studie glaubt, laut der in rund achtzig Prozent der Fälle Fusssoldaten der al-Kaida getroffen wurden, bleiben noch immer 500 unschuldige Opfer. Bei diesen zivilen Drohnentoten gibt es – im Gegensatz zu herkömmlichen Kampfeinsätzen wie im Irak oder in Afghanistan – keinerlei militärische Untersuchungen und keine Entschädigungen. Eine Umfrage der New America Foundation ergab: Bloss sechzehn Prozent der Bevölkerung im pakistanischen Grenzgebiet glauben, dass die Drohnen auch die Richtigen treffen.

Bleibt das kleinere Risiko für die eigenen Truppen. Den jungen RekrutInnen verkauft die US-Armeeführung den Drohneneinsatz als spannendes Videospiel. US-Medien publizieren rührende Reportagen über den US-amerikanischen Drohnenpiloten, dessen Frau und Kinder ruhig schlafen können, weil er sein Kriegshandwerk vom sicheren Sessel aus betreibt. Der UAV-Pilot Matt Martin hat die Drohnenkampfeinsätze anders erfahren und sein Trauma in einem Buch beschrieben. Geo­grafische Ferne ist nicht gleichbedeutend mit emotionaler Distanz. Denn im Unterschied zu einem Bomberpiloten des Zweiten Weltkriegs konnte beziehungsweise musste er sich zum Beispiel seine «Kollateralschäden» im Detail und in aller Ruhe ansehen. Geringer ist beim roboterisierten Krieg wohl einzig das politische Risiko.

Oder auch nicht: Zwei Tage vor dem Drohnenabschuss von al-Awlaki im Jemen wurde in Boston ein junger US-Amerikaner verhaftet. Der Al-Kaida-Anhänger mit Physikabschluss hatte offenbar im Alleingang einen Drohnenangriff auf das Pentagon und das Kapitol in Washington geplant. Von einem sauberen Ende des Terrors kann jedenfalls nicht die Rede sein.

Militärroboter: Krieg ohne Krieger

Weniger Mensch, mehr Maschine. Dahin geht Entwicklung der Kriegsroboter zu Luft, Land und Wasser. Im Fall der unbemannten Luftfahrzeuge (UAV) ist es nicht genug, dass die Flugobjekte ferngesteuert werden können, dass ihre Sensoren äusserst präzise Bilder an die Einsatzbasis zurückschicken und dass auch der Bombenabwurf per Knopfdruck aus Tausenden Kilometer Entfernung erfolgen kann. Das Militär wünscht sich autonom «denkende» und handelnde Waffensysteme, eigentliche «Terminatoren». Milliardenaufträge gehen an die Rüstungsindustrie, die die Drohnen mit hochentwickelter biometrischer Software bestückt.

Bei Wind und Wetter soll zum Beispiel die Gesichtserkennung der Maschinen funktionieren (auch bei eineiigen Zwillingen), denn sie ist unter Umständen Grundlage für die Programmierung eines Todesschusses. Man will die Kriegsroboter so weit bringen, dass sie durch Sammlung und Auswertung von Daten das Verhalten und sogar die Absichten von potenziellen Feinden erkennen können. UAV-Fans lassen sich von Zweifeln und Einwänden kaum beeindrucken. Sie argumentieren: Im Gegensatz zu uns emotionalen Menschen könnten Killerdrohnen so programmiert werden, dass sie auch in Kampf­situationen ethisch entscheiden und das internationale Völkerrecht einhalten. In solchem Grössenwahn haben schon andere Zauberlehrlinge gefährliche Geister losgelassen.



* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 13. Oktober 2011


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