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Stippvisite in Tschagos

Vertriebene Bewohner besuchen US-Militärbasis Diego Garcia. Aufwind für die Abschaffung aller westlicher Stützpunkte auf fremdem Territorium

Von Hilmar König, Neu-Delhi

Nur zögerlich und unter dem Druck einer in jüngster Zeit stärker gewordenen Protestbewegung haben die USA und Großbritannien gestattet, daß etwas mehr als hundert ehemalige Bewohner des Tschagos-Archipels im Indischen Ozean einigen ihrer Heimatinseln eine Stippvisite abstatten können. Von Mauritius aus, das die 65 Tschagos-Eilande samt der zum Pentagon-Stützpunkt umgewandelten Hauptinsel Diego Garcia als sein nationales Territorium beansprucht, traf die Gruppe zu Wochenbeginn in der Heimat ein. Informationen darüber liegen jedoch nicht vor, denn Journalisten durften »aus Platzmangel« nicht mit an Bord. Und der begleitende britische »Koordinator« wird seinen Chefs erst berichten, wenn die zwölftägige Seereise beendet ist.

Daß es fast 40 Jahre dauerte, bis den mehr als 5 000 im Exil in Mauritius, auf den Seychellen und in Großbritannien lebenden Tschagos-Insulanern ein solcher Nostalgietrip erlaubt wurde, liegt an der Geheimniskrämerei Londons und Washingtons um die Militärbasis. Nachdem die Tschagoser 1967 und 1973 in zwei Schüben von ihren Inseln vertrieben wurden, legte sich der Schleier des Schweigens über diesen Teil des sogenannten British Indian Ocean Territory. Der Grund: Das gesamte Areal wurde der Souveränität von Mauritius entzogen und von London für mindestens 50 Jahre an das Pentagon verpachtet. In Folge wurden die Bewohner, meist Arbeiter auf den Kokospalmenplantagen und Fischer, verjagt.

In der Blütezeit des Kalten Krieges entstand dort eine Festung in der Stützpunktkette, mit der die USA die Sowjetunion umzingeln und die in der Bewegung der Paktfreien engagierten Anliegerstaaten des Indischen Ozeans einschüchtern wollten. Später nahm Diego Garcia eine Schlüsselrolle im ersten Golfkrieg sowie bei den überfällen auf Afghanistan und Irak ein. Von hier starteten Tarnkappen- und B-52-Langstreckenbomber sowie Tankflugzeuge. Auf der Insel sind 2 000 US-Soldaten und 2 000 philippinische Hilfsarbeiter im Einsatz. Sie ist integraler Bestandteil der Pazifik-Befehlszentrale der US-Kriegsmarine, verfügt über zwei 3,6 Kilometer lange Startbahnen, Ankerplätze für U-Boote und andere Kriegsschiffe, eine Satelliten-Spionage-Station, Bunker und Unterkünfte. Seit dem 11. September 2001 bezeichnet die Bush-Administration Diego Garcia als »unverzichtbar im Krieg gegen den internationalen Terrorismus«. Nach wie vor kursiert hartnäckig, wenn natürlich auch unbestätigt, die Information, auf der Insel seien »Terrorverdächtige« interniert und verhört worden. Unrühmlich geriet Diego Garcia 2004 zudem in die Schlagzeilen, weil das Pazifik-Tsunami-Warnsystem auf Hawai zwar den Kommandanten über das bevorstehende Unheil informiert, dieser jedoch die Warnung nicht an die bedrohten Nachbarstaaten weitergegeben hatte.

Mit dem Kurzbesuch der Tschagoser auf drei der 65 Eilande geriet zwangsläufig das Problem militärischer Stützpunkte des Westens auf fremden Territorium wieder in den Blickpunkt. Die Revolutionäre Sozialistische Partei von Mauritius, LALIT, erinnerte in diesem Zusammenhang an ihren Appell, das Projekt einer ersten für den März 2007 geplanten Weltkonferenz in Ekuador zur Schließung aller Militärbasen im Ausland zu unterstützen. Alle globalen Bewegungen für Frieden und Abrüstung, für Menschenrechte, ökologische Nachhaltigkeit, alle Antikriegs- und Antiglobalisierungsgruppen, Gewerkschaften, progressiven Frauen- und Jugendorganisationen sind aufgerufen, sich weltweit für dieses Treffen zu engagieren. »Militärbasen überall in der Welt zu schließen ist wichtig im Kampf gegen den Krieg. Es ist ein Schritt, eine andere Welt zu schaffen, die möglich und notwendig ist«, heißt es in dem Appell.

Bemerkenswert ist, daß der hartnäckige Kampf von LALIT dazu geführt hat, daß London und Washington den Tschagosern »aus rein humanitären Erwägungen« jetzt den Heimatbesuch nicht länger verwehren konnten. Seit dem Weltsozialforum 2004 in Mumbai reift auf Initiative von LALIT und anderen die Idee, eine antiimperialistische »Friedensflottille« nach Diego Garcia zu schicken. Sie soll die Forderungen bekräftigen, den Stützpunkt zu schließen, den Archipel zu entkolonialisieren, mit Mauritius wiederzuvereinen und den Insulanern ihr Recht auf Rückkehr und angemessene Entschädigung zu gewähren. Dieser Initiative vorbeugend, sahen die USA und Großbritannien in der überwachten, auf ein paar Tage begrenzten und auf drei der Außeninseln beschränkten Reiseerlaubnis das kleinere Übel.

* Aus: junge Welt, 5. April 2006


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