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Todesmaschine USA ohne Erbarmen

Trotz aller Gnadenappelle – Afroamerikaner Troy Davis in Jackson hingerichtet *

Ist in den USA ein Unschuldiger hingerichtet worden? Das zumindest glauben die Unterstützer von Troy Davis. Bis zuletzt beteuerte der Häftling, den ihm zur Last gelegten Mord nicht begangen zu haben. Vergebens. Die Justiz der USA hat das Todesurteil gegen Troy Davis trotz weltweiter Proteste vollstreckt.

Ungeachtet weltweiter Gnadenappelle ist der wegen Mordes verurteilte Afroamerikaner Troy Davis hingerichtet worden. Der 42-Jährige wurde am Mittwochabend um 23.08 Uhr Ortszeit (Donnerstag, 05.08 Uhr MESZ) in einem Gefängnis in Jackson im Bundesstaat Georgia mit einer Giftspritze getötet, wie die Gefängnisverwaltung mitteilte. Zuvor hatte das Oberste Gericht der USA einen Antrag auf Aussetzung der Hinrichtung abgelehnt.

Die Verteidiger hatten sich am Mittwoch noch einmal an die Justiz in Georgia gewandt, um unter Verweis auf neue Beweise zur Entlastung ihres Mandanten den Stopp der Hinrichtung zu erreichen. Nachdem die Gerichte den Antrag abgewiesen hatten, riefen die Verteidiger den Supreme Court in Washington an – weniger als anderthalb Stunden vor der für 19.00 Uhr Ortszeit geplanten Hinrichtung. Das Gefängnis wartete die Entscheidung der neun Richter ab, die den Antrag gegen 22.30 Uhr schließlich abwiesen.

Nach Angaben von Augenzeugen beteuerte Davis noch kurz vor seinem Tod seine Unschuld. Der Mord an dem Polizisten Mark MacPhail 1989 »war nicht meine Schuld, ich hatte keine Waffe«, sagte er laut einer Journalistin. »An die, die mir das Leben nehmen wollen – möge Gott euch segnen.«

Davis war 1991 wegen der Erschießung des 27-jährigen weißen Polizisten und Familienvaters zum Tode verurteilt worden. Sein Fall gilt als einer der umstrittensten Justizfälle der USA. Eine Tatwaffe, DNA-Spuren oder Fingerabdrücke, die auf ihn als Täter hingedeutet hätten, wurden nicht gefunden. Sieben von neun Zeugen, die ihn als Täter genannt hatten, zogen ihre Aussagen zurück. Einige von ihnen sagten, sie seien von Polizisten zu den Aussagen gezwungen worden.

Vor dem Gefängnis in Georgia harrten am Mittwoch Hunderte Unterstützer aus. Nachdem zwischenzeitlich Hoffnung aufkam, das Oberste Gericht würde die Hinrichtung stoppen, wurde die Menge nach der Entscheidung der Richter still. Verwandte von Davis schmiegten sich aneinander und weinten. »Das ist eine Gräueltat. Niemand kann einen Menschen ohne handfeste Beweise hinrichten, es gibt nur Augenzeugen«, sagte der Menschenrechtsaktivist Al Sharpton.

Die Mutter des getöteten Polizisten, Anneliese MacPhail, kritisierte im Sender CNN die Verzögerung der Hinrichtung. Sie sei »völlig am Boden zerstört«, an Davis' Schuld bestehe kein Zweifel.

Davis' Hinrichtung war bereits drei Mal verschoben worden. Im August 2009 hatte der Oberste Gerichtshof ein Bundesgericht beauftragt, den Fall neu aufzurollen. Obwohl sieben der neun Zeugen ihre Aussagen zurückzogen, bestätigte das Gericht im August 2010 das Todesurteil. Im März scheiterte Davis mit einem letzten Berufungsversuch vor dem Obersten Gerichtshof. Am Dienstag lehnte der Begnadigungsausschuss in Georgia einen Antrag ab, die Todesstrafe umzuwandeln.

Präsident Barack Obama lehnte eine Intervention am Mittwoch ab, wie sein Sprecher mitteilte. Es obliege nicht dem Präsidenten, sich in einen so speziellen Fall einzumischen, das sei Sache des Bundesstaates.

Davis hatte nicht nur die Unterstützung zahlreicher Afroamerikaner, die in ihm den typischen Fall eines zu Unrecht beschuldigten Schwarzen sahen, sondern auch von bekannten Persönlichkeiten. So setzte sich der ehemalige Präsident Jimmy Carter ebenso für sein Schicksal ein wie Papst Benedikt XVI. und Schauspielerin Susan Sarandon. Frankreich bedauerte die Hinrichtung und bekräftigte seine Ablehnung der Todesstrafe, teilte das Außenministerium in Paris am Donnerstag mit.

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2011


Justizmord an Troy Davis

Von Jürgen Heiser **

Der Afroamerikaner Troy Davis wurde am Mittwoch abend (21. Sept.) um 23.08 Uhr Ortzeit im Staatsgefängnis von Jackson, Georgia, mit der Giftspritze hingerichtet. Weltweit hatten bis zuletzt Hunderttausende mittels Petitionen und auf Kundgebungen von den zuständigen US-Behörden gefordert, die Hinrichtung wegen der erheblichen Zweifel an Davis’ Schuld zu stoppen. Europarat und Prominente wie Bischof Desmond Tutu und Expräsident James Carter hatten wie auch Papst Benedikt XVI. dafür plädiert, Davis’ Leben zu schonen. Sie alle fanden kein Gehör bei den weltlichen Herren über Leben und Tod. Der Linke-Vorsitzende Klaus Ernst forderte deshalb gestern vom Papst anläßlich seines Deutschland-Besuchs ein Bekenntnis gegen die Todesstrafe. Ernst kritisierte die Hinrichtung von Davis als »Akt der Barbarei vor den Augen der Welt«. Gegenüber der Agentur dapd erklärte der Parteichef, er hoffe, daß der Papst »ein deutliches Signal für die weltweite Ächtung der Todesstrafe aussendet«.

Unbeeindruckt von allen Protesten und einer überraschend breiten und kritischen Berichterstattung in den Medien vieler Länder ließ die Justiz in Georgia am Mittwoch das Räderwerk ihrer Tötungsmaschinerie anlaufen. Verzweifelt hatten Davis’ Verteidiger versucht, durch Eilanträge in letzter Minute einen Aufschub der für 19 Uhr angesetzten Hinrichtung zu erreichen. Am Ende blieb nur der Weg zum Obersten Gerichtshof in Washington D.C., dessen Richter der Prüfung des Falls »maximal 90 Minuten« Zeit einräumten. Um 22.20 Uhr lehnte der Gerichtshof ohne Angabe von Gründen einen Hinrichtungsstopp ab. Damit segnete das Verfassungsgericht der USA ein offensichtliches Fehlurteil ab und legalisierte den faktischen Justizmord an einem Beschuldigten, für den »Berge von Unschuldsbeweisen« vorlagen, so Anwalt Stephen Marsh noch am Montag (19. Sept.) vor dem Begnadigungsausschuß.

Hoffnungen, Barack Obama würde sich für eine Änderung der Todesstrafenpraxis einsetzen, wurden erneut enttäuscht. Während Demonstranten Mittwoch nacht vor dem Weißen Haus »Ohne Gerechtigkeit kein Frieden« riefen und die Polizei mehrere von ihnen festnahm, erklärte Obamas Sprecher Jay Carney vor der Presse, es sei »nicht angemessen für den Präsidenten der Vereinigten Staaten, sich in spezifische Fälle wie diesen einzuschalten, der der Rechtsprechung eines Bundesstaats unterliegt«.

Troy Davis wäre am 9. Oktober 42 Jahre alt geworden. 1989 hatte er sich freiwillig der Polizei gestellt, um den Vorwurf zu entkräften, er habe den weißen Polizisten Mark MacPhail in Savannah erschossen, als dieser in ein Handgemenge mit mehreren Männern geriet. Trotz fehlender Tatwaffe oder sonstiger Sachbeweise war Davis 1991 nur aufgrund von Zeugenaussagen, die später widerrufen wurden, zur Höchststrafe verurteilt worden. Harry Cox, Direktor von Amnesty International USA, betonte, er habe in den 30 Jahren seiner Arbeit gegen die Todesstrafe noch nie so gravierende Zweifel an der Schuld eines Verurteilten gesehen.

Davis’ Anwalt Thomas Ruffin erklärte nach der Hinrichtung, ein unschuldiger Mann sei getötet worden. Dennoch sei sein Mandant in den letzten Stunden seines Lebens gefaßt gewesen. Er habe die Einnahme der obligatorischen Henkersmahlzeit verweigert und gegenüber Amnesty International erklärt: »Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen.«

** Aus: junge Welt, 23. September 2011


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