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Bushs Durchhalteparolen machen besoffen

Demokraten kritisieren "leere Rhetorik" der letzten Rede des USA-Präsidenten an die Nation

Von Olaf Standke *

George W. Bush hat sich in seiner letzten Rede zur Lage der Nation als starker Präsident inszeniert und die US-Amerikaner angesichts von Wirtschaftsflaute und Irak-Krieg zum Durchhalten aufgerufen. Doch im Kongress blickte alles schon auf die Senatoren Hillary Clinton und Barack Obama, die demokratischen Rivalen im Kampf um seine Nachfolge.

Regisseur und Oscar-Preisträger Oliver Stone will das Leben seines politisch langsam verdämmernden Präsidenten verfilmen. Keine platte Polemik, wie er sagt, sondern ein faires, wahrhaftiges Porträt zur Klärung der Frage: »Wie schaffte es Bush, von einem Alkoholiker zum mächtigsten Mann der Welt aufzusteigen?« Er ist inzwischen trocken, doch sein alljährlicher Auftritt vor beiden Häusern des Washingtoner Kongresses ist für so manchen USA-Bürger nur noch besoffen zu ertragen. Im nun schon traditionellen Lage-der-Nation-Trinkspiel, einst von Studenten der Elite-Universität Princeton erfunden, müssen Bushs bevorzugte Schlagwörter und Phrasen identifiziert und mit hochgeistigen Getränken verarbeitet werden -- »Gott« etwa erfordert zwei Drinks, »Soldaten« nur einen kleinen Schluck, Irans Präsident Ahmadinedschad dagegen einen ganzen Schnaps, und spricht Bush den Namen seines Erzfeindes auch noch korrekt aus, sind es dann sogar zwei.

Bushs letzte »State of the Union Address« dürfte in den Geschichtsbüchern eine Fußnote als große Durchhalteparole bekommen. Ob Wirtschaftsflaute, Terrorismus, Irak oder Nahost -- Bushs Bilanz ist so katastrophal wie sein Popularitätswert. 30 Prozent in den jüngsten Umfragen sind historisch niedrig. Visionen und konkrete Konzepte für die Lösung der vielen Probleme hat der Anfang nächsten Jahres aus dem Amt scheidende Präsident nicht mehr zu bieten. Dafür abgenutzte Worthülsen wie die von der »wichtigsten ideologischen Schlacht des 21. Jahrhunderts«, die da tobt zwischen den Freunden und den Feinden der Freiheit, all den Terroristen und Extremisten. »Wir müssen diesen Feind besiegen«, rief der Präsident seinem Volk zu, doch das hat zur Zeit ganz andere Sorgen. Rezessionsangst macht sich breit.

So beschwor Bush zwar wie gehabt angebliche Fortschritte in Irak, warnte im Atomstreit mit Iran die politische Führung in Teheran und drohte, die »vitalen Interessen« der Supermacht »im Persischen Golf zu verteidigen«. Aber vergleichsweise breiten Raum in seiner einstündigen Rede nahm dann der Kampf gegen die konjunkturelle Krise ein. Seine einst groß angekündigte Zuwanderungsreform oder die ambitionierte Reform der Sozialversicherung tauchten erst gar nicht mehr auf. Auch Bush gesteht ein, dass die heimische Wirtschaft derzeit »eine Periode der Unsicherheit« durchlaufe, und appellierte an die Senatoren und Abgeordneten des Repräsentantenhauses, das geplante Konjunkturprogramm in Höhe von 150 Milliarden US-Dollar (rund 102 Milliarden Euro) schnellstens auf den Weg zu bringen.

Die Kritik der Demokraten kam prompt. »Der Präsident muss wesentlich mehr tun, als nur Fortschritt und Zusammenarbeit zu versprechen«, meinten Nancy Pelosi, die Präsidentin im Abgeordnetenhaus, und der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid. Und ob Bushs Versicherung, die Bürger könnten »auf lange Sicht auf das Wachstum unserer Wirtschaft vertrauen«, die »Sorge an den Küchentischen überall im Land« wirklich zerstreut, darf bezweifelt werden. Zumal der Präsident zugleich Einsparungen im Haushalt angekündigte und dafür »151 verschwenderische oder aufgeblähte Regierungsprogramme ganz oder teilweise reduzieren« will -- welche, ließ er offen. Bisher setzte Bush den Rotstift gern im sozialen Bereich an.

So richteten sich in dieser seiner Stunde die Augen der Kameras und der Öffentlichkeit schon auf mögliche Nachfolger im Weißen Haus. Der Platz von John McCain, einer der wichtigsten Bewerber in der Republikanischen Partei, blieb leer; der Senator machte lieber Wahlkampf in Florida, wo die Konservativen gestern über ihren Präsidentschaftskandidaten abstimmten. Die Anwärter gehen inzwischen gern auf Distanz zu Bush, um ihre Wahlchancen zu erhöhen.

Für den demokratischen Bewerber Barack Obama war die Präsidentenrede nichts weiter als »leere Rhetorik«, schließlich sei die Bush-Regierung dafür verantwortlich, dass »die Banken und Finanzinstitutionen Amok liefen«. Und seine schärfste Konkurrentin Hillary Clinton geißelte Bushs Politik als völlig verfehlt, wobei er nun sogar den nächsten Präsidenten an eine verfehlte Strategie binden wolle, indem er mit Bagdad bereits über eine Sicherheitspartnerschaft verhandle. Einander würdigten sich die erbitterten Rivalen im Kampf um das Weiße Haus an diesem Abend im Kongress keines Blickes.

* Neues Deutschland, 30. Januar 2008


Die Lügen der Nation

Rede zur Lage: Bush spricht von "Erfolgen" und schweigt über den Rest

Von Knut Mellenthin **
In George W. Bushs vermutlich letzter »Rede zur Lage der Nation« stand die Außenpolitik im Hintergrund. Und selbst das Wenige, was der Ende dieses Jahres aus dem Amt scheidende Präsident zu diesem Thema zu sagen hatte, war außerordentlich wirklichkeitsfern. So erwähnte Bush am Montag Pakistan nur zweimal ganz kurz in Nebensätzen, ohne darauf einzugehen, daß dieser »Schlüsselverbündete« den USA die allergrößten Sorgen macht.

Ein 2007 veröffentlichter Bericht der US-amerikanischen Geheimdienste behauptet, daß Al-Qaida ihre Strukturen wieder aufgebaut und in Nordwestpakistan »sicheren Unterschlupf« gefunden habe. Darüber sprach der Präsident ebensowenig wie über die Anstrengungen seiner Regierung, von Pakistan die Zustimmung für Kampfeinsätze der US-Streitkräfte zu erhalten. Auch die Ermordung der pakistanischen Oppositionsführerin Benazir Bhutto, die Wa­shingtons wichtigste Hoffnungsträgerin gewesen war, erwähnte Bush mit keinem Wort.

Die Situation in Afghanistan beschrieb der Präsident mit folgenden Worten: »Amerika, unsere 25 NATO-Verbündeten und 15 Partnerstaaten helfen dem afghanischen Volk, seine Freiheit zu verteidigen und sein Land wieder aufzubauen. Dank des Muts dieser Soldaten und Zivilisten ist eine Nation, die einst eine sichere Zuflucht für Al-Qaida war, jetzt eine junge Demokratie, wo Jungen und Mädchen zur Schule gehen, wo neue Straßen und Krankenhäuser gebaut werden, und wo die Menschen mit neuer Hoffnung in die Zukunft sehen.« -- Die wirklichen Probleme der Landes und den zunehmenden Widerstand gegen die Besatzungstruppen sprach Bush nicht an.

Ebenso stellte der Präsident die Entwicklung im Libanon als Erfolgsgeschichte US-amerikanischer Politik dar. Die fast bürgerkriegsartige Lage verschwieg er. Die israelisch-palästinensischen Verhandlungen, einst eine Zugnummer seiner Propaganda, erwähnte Bush jetzt nur beiläufig in einem Satz, ohne über die von Israel verursachte humanitäre Katastrophe im Gaza-Gebiet zu sprechen.

Die Hälfte der Ausführungen des Präsidenten zur Außenpolitik bestanden in Selbstlob für die angeblich überaus erfolgreiche Entwicklung im Irak, die im vergangenen Jahr durch die Verstärkung der US-Truppen um 30000 Mann und eine »neue Strategie« erreicht worden sei.

Nicht fehlen durften selbstverständlich neue Drohungen gegen Iran. »Wir stehen auch gegen die Kräfte des Extremismus, die vom Regime in Teheran verkörpert werden. (...) Iran finanziert militante Gruppen im Irak und bildet sie aus, es unterstützt die Hisbollah-Terroristen im Libanon und die Bestrebungen von Hamas, den Frieden im Heiligen Land zu untergraben. Es entwickelt Raketen mit zunehmender Reichweite und setzt die Entwicklung seiner Fähigkeiten zur Urananreicherung fort, die zum Bau von Atomwaffen genutzt werden könnten.« Und weiter: »Amerika wird denjenigen entgegentreten, die unsere Truppen bedrohen, wir werden unseren Verbündeten beistehen, und wir werden unsere lebenswichtigen Interessen im Persischen Golf verteidigen.«

Da wird es die iranische Bevölkerung kaum beruhigen, daß der US-Präsident ihr zurief: »Wir haben keinen Streit mit euch. Wir respektieren eure Traditionen und eure Geschichte. Wir ersehnen den Tag, wo ihr eure Freiheit habt.«

** Aus: junge Welt, 30. Januar 2008


Weitere Pressestimmen

"Zu den großen aktuellen Problemen hat der US-Präsident immer weniger zu sagen", schreibt Eric Frey im Wiener "Standard" (Titel: "Nebenrolle für Bush"). Darin heißt es u.a.:

Bei den großen aktuellen Problemen, dem Irakkrieg und der weltweiten Finanzkrise, hat die Regierung der US A längst die Kontrolle über die zukünftige Entwicklung verloren. In den Jahren 2001 bis 2003 hatte Bush noch dramatisch die Weichen gestellt: Er führte die US-Armee in den Irak, beschnitt die Rolle des Staates in der Wirtschaft und erklärte den Klimaschutz für obsolet.
Heute steht er vor den Konsequenzen seiner eigenen Entscheidungen und kann in seiner "State of the Union Address" nichts anderes tun, als seinen frenetisch applaudierenden Parteigängern ein zweckoptimistisches "Bleiben wir auf Kurs" zuzurufen.
Der jüngste Rückgang der Gewalt im Irak hat Bush diesen Appell etwas leichter gemacht, sein stures Festhalten an der Truppenaufstockung gegen den Rat vieler Experten erweist sich womöglich als richtig. Aber die Zukunft des Irak bleibt in den Händen der dortigen Religions- und Volksgruppen, die weiterhin keine Anstrengungen in Richtung Aufbau einer Nation machen. Die militärischen Erfolge, mit denen Bush prahlte, drohen so bald wieder verloren zu gehen.

In der Wirtschaftspolitik ist Bush sieben Jahre lang nichts anderes eingefallen als die Deregulierung einer ohnehin schon sehr freien Wirtschaft und Steuersenkungen, die fast nur den Reichen zugute kamen. Zusammen mit der unverantwortlichen Niedrigzinspolitik der Federal Reserve hat dies die Voraussetzungen für die heutige Krise geschaffen.

Dietmar Ostermann ("Sorgen am Küchentisch") geht in der Frankfurter Rundschau ausschließlich auf den wirtschaftspolitischen Teil von Bushs Rede ein. Viel Wirkungen werden seinem Programm nicht zugeschrieben:

Auch Bush räumte ein, die größte Volkswirtschaft der Welt durchlaufe eine "Periode der Unsicherheit". Er zeichnete indes ein nicht nur düsteres Bild: Langfristig könnten die Bürger auf Wirtschaftswachstum vertrauen. Weniger neue Jobs, höhere Kosten für Energie und Lebensmittel sowie sinkende Hauspreise verbuchte Bush auf der Minusseite. Dem stünden höhere Löhne und - vom schwachen Dollar angekurbelt - steigende Exporte gegenüber.
Kurzfristig aber konnte der Präsident seinen Landsleuten keine großen Hoffnungen machen. Das "robuste Wachstumspaket" (Bush), das derzeit im Kongress beraten wird, gilt vielen Experten als Tropfen auf den heißen Stein. Ein Konjunkturprogramm im Umfang von rund 150 Milliarden Dollar klingt zwar nach viel Geld, relativiert sich aber angesichts der Größe der US-Wirtschaft.
Zum Vergleich: In den Jahren des Häuserbooms hatten US-Bürger über neue Kredite pro Jahr bis zu 800 Milliarden Dollar an frischem Geld aus ihren Immobilien gezogen - und großteils in den Konsum gesteckt. Die Schecks über 600 Dollar, welche den verschuldeten Leuten jetzt einmalig von Seiten der Regierung ins Haus flattern sollen, wirken da eher wie "Peanuts".
Die Hoffnung der Regierung, auf diese Weise eine halbe Million neuer Jobs zu schaffen, gilt vielfach als optimistisch.

Die folgenden Pressestimmen haben wir der Presseschau des Deutschlandfunks vom 30. Januar 2008 entnommen:
http://www.dradio.de/presseschau/


Der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz notiert:

In seiner triumphalen Darstellung der Entwicklung im Irak pries Bush die vor Jahresfrist begonnene Truppenaufstockung als Wende zum Guten. Mag sein, dass die zusätzlich entsandten US-Soldaten halfen, den angerichteten Schaden etwas zu begrenzen. Zum Rückgang der Opferzahlen dürften hingegen andere Faktoren beigetragen haben -- Faktoren notabene, die dem Aufbau der versprochenen Demokratie kaum förderlich sind. Die USA ließen sich auf einen Deal mit sunnitischen Stammesführern ein: Mit amerikanischen Waffen und Dollars bekämpfen diese Warlords die al-Kaida, sind aber langfristig alles andere als verlässliche Partner".

Das norwegische Blatt DAGSAVISEN blickt zurück:

Noch vor einem Jahr provozierte Bush seine Gegner, indem er deren Forderung nach einem Abzug der Truppen aus dem Irak mit einer weiteren Aufstockung begegnete. In diesem Jahr begnügte er sich dagegen mit der Bitte um noch mehr Geduld. Bush ist mit dem Versprechen angetreten, ein einigender Präsident zu sein, aber kaum ein Präsident hat die USA so tief gespalten.

Auch die französische Zeitung LA PRESSE DE LA MANCHE zieht eine düstere Bilanz:

Die Schäden für die USA sind gigantisch: Im Nahen Osten verschärft sich die Krise, der aus den Fugen geratene Libanon ist am Rande eines Bürgerkriegs. Außerdem könnte sich eine neue Auseinandersetzung mit dem Iran entwickeln, dessen Drohungen ernst genommen werden müssen. All dies bringt mit sich, dass die USA in der Welt an Glaubwürdigkeit verloren haben. Eine Konsequenz ist, dass in Lateinamerika eine linke Regierung nach der anderen an die Macht kommt - als Reaktion auf die Politik von George Bush. Und letzlich wird Bush Amerika in der Krise zurücklassen. Er hat schon eingeräumt, dass die Wirtschaft seines Landes in unsichere Fahrwasser gerät. Was für ein Flurschaden durch einen einzigen Mann!

EL PAIS aus Madrid spricht vom "vergifteten Erbe" des US-Präsidenten:

Es ist das, was er die 'unerledigten Dinge' nennt. Darunter sind die Kriege im Irak und in Afghanistan sowie die Wirtschaftslage, die er als 'ungewiss' beschrieb. Von Bill Clinton hatte Bush seinerzeit einen Haushalt mit Überschuss übernommen. Was er hinterlässt ist ein enormes Defizit und ein Land am Rande der Rezession. Und dies in einer Welt, die unsicherer geworden ist - nicht nur wegen der Terroranschläge des 11. September, sondern auch wegen der Art und Weise, wie Bushs Regierung darauf geantwortet hat.

Das russische Blatt WREMJA NOWOSTEJ meint:

Bush ging in seiner Rede auf vieles ein - jedoch nicht auf die Dinge, die den amerikanischen Mittelstand zurzeit wirklich interessieren. Der Präsident hinterlässt einen wirtschaftlichen Scherbenhaufen und kann keinen Weg anbieten, der das Land aus der Krise führt. Stattdessen spricht er über die Hilfe für AIDS-Kranke in Afrika und über Unterstützungsmaßnahmen für befreundete Regime in Lateinamerika, Osteuropa und dem Nahen Osten. Neue außenpolitische Ideen nannte Bush nicht. Es war eine triviale Rede einer lahmen Ente".

Der KANSAS CITY STAR greift Bushs Bemerkungen zum Klimaschutz heraus:

In den sieben Jahren seiner Amtszeit war der Präsident ein unversöhnlicher Gegner jeglicher Umweltprogramme. Seine Ausführungen zur Reduzierung der Treibhausgase sind deshalb am Rande der Unaufrichtigkeit. Bushs Ankündigungen kommen zu spät und reichen bei weitem nicht aus - das gilt für so vieles, das er in seiner Präsidentschaft in Angriff nahm".

"Vielen Dank, Mr. President, und vergessen Sie nicht, das Licht auszumachen." So wird Bush in der SALT LAKE TRIBUNE aus den USA in sein letztes Amtsjahr verabschiedet. Das Blatt führt aus:

In seiner Rede zeigte sich Bush als ein gescheiterter Präsident. Wie erwartet, gehen von ihm keine großen politischen Initiativen mehr aus. Er weiß nicht, wie die Vereinigten Staaten sich aus dem Irak zurückziehen können, ohne dort noch mehr Blutvergießen und politische Instabilität auszulösen. Sein Konjunkturprogramm für die heimische Wirtschaft ist nicht sehr vertrauenerweckend. Die Reform des Gesundheitswesens, die Einwanderungsbestimmungen und das Themenfeld soziale Sicherheit überlässt Bush seinem Nachfolger.




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