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US-Richter kippen Bürgerrechtsgesetz

Bestimmungen zur Sicherung des Wahlrechts von Afroamerikanern für ungültig erklärt *

Der Oberste US-Gerichtshof hat am Dienstag ein Bürgerrechtsgesetz zum Schutz der Wahlbeteiligung von Minderheiten teilweise gekippt. Der Supreme Court erklärte eine Passage des sogenannten Voting Rights Act aus dem Jahr 1965 für verfassungswidrig, die Wahlgesetze in einer Reihe von Bundesstaaten im Süden der USA unter Aufsicht der Regierung in Washington stellt. Damit sollte sichergestellt werden, daß Afroamerikaner ungehindert ihre Stimmen abgeben können.

Der Supreme Court urteilte nun, daß das Gesetz nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspreche. Die Auswahl der Bundesstaaten und Kommunen, die von einer Kontrolle betroffen sind, beruhe auf »jahrzehntealten Daten«, schrieb der Vorsitzende Richter John Roberts. Der Kongreß müsse eine neue Formel festlegen, auf dessen Grundlage entschieden wird, welche Gebiete ihre Wahlgesetze von der Bundesregierung absegnen lassen müssen.

US-Präsident Barack Obama zeigte sich »zutiefst enttäuscht«. Das Urteil kippe »etablierte Praktiken, die seit Jahrzehnten faire Wahlen gewährleisten«, erklärte er.

Der afroamerikanische Bürgerrechtsverband NAACP sprach von einer »empörenden« Entscheidung. Wähler aus ethnischen Minderheiten seien nun weniger geschützt, sagte Organisationspräsident Benjamin Jealous und erinnerte an Versuche im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2012, die Stimmabgabe an neue Bedingungen zu knüpfen.

Der US-Kongreß hatte den Voting Rights Act in seiner ursprünglichen Form zuletzt im Jahr 2006 erneuert. Neun Bundesstaaten – Alabama, Alaska, Arizona, Georgia, Louisiana, Mississippi, South Carolina, Texas und Virginia – brauchen demnach für Änderungen an ihren Wahlgesetzen die Zustimmung aus Washington. Außerdem sind einzelne Gemeinden und Landkreise in Bundesstaaten wie Kalifornien, Florida und Michigan betroffen.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 27. Juni 2013


Hilfloser Präsident

US-Urteil zu Wahlrecht

Von Knut Mellenthin *


Obama ist »tief enttäuscht« über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, mit der dieser am Dienstag ein fast 50 Jahre altes Gesetz faktisch außer Kraft setzte. Der Voting Rights Act, den Präsident Lyndon B. Johnson am 6. August 1965 in Gegenwart von Martin Luther King und anderen Führern der Bürgerrechtsbewegung unterzeichnete, soll verhindern, daß ein Teil der Bevölkerung wegen seiner Hautfarbe oder seiner sozialen Situation durch juristische Tricks um sein Stimmrecht betrogen wird. So gab es etwa »Schreibprüfungen« als Voraussetzung für die Aufnahme in die Wählerliste. Das Gesetz schreibt deshalb vor, daß Bundesstaaten und einzelne Bezirke, Counties, die dafür bekannt sind, daß sie in der Vergangenheit solche Methoden angewendet haben, keine Veränderungen an ihren Verwaltungsvorschriften und Gesetzen zur Ausübung des Wahlrechts ohne Zustimmung des Justizministeriums vornehmen dürfen.

Nicht diesen Passus des Acts hat das Oberste Gericht jetzt zurückgewiesen, sondern die dort enthaltene Liste von Bundesstaaten und Bezirken, auf die dieses Verfahren Anwendung zu finden hat. Die Grundlagen für deren Einstufung seien nach fast 50 Jahren nicht mehr unbedingt aktuell, meinen fünf der neun Richter. Zugleich fordert das Urteil den Kongreß auf, eine neue Liste aufgrund aktueller Fakten zu beschließen. Das kann, da es um jedes einzelne County ein heftiges politisches Tauziehen geben wird, etliche Jahre dauern. Bis dahin ist der Voting Rights Act nicht mehr anwendbar, obwohl auch die Gerichtsmehrheit nicht behauptet hat, daß dieses Gesetz an sich verfassungswidrig sei.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Voraussetzungen, die 1965 zur Aufnahme einzelner Staaten und Counties in die Liste führten, heute nicht ohne weiteres als nach wie vor gegeben unterstellt werden können. Gewiß berechtigt ist der Hinweis, daß heute andere Methoden benutzt werden als damals, um Teile der Bevölkerung vom Wählen abzuhalten. Dazu gehört zum Beispiel in zahlreichen Bezirken die Bindung des Wahlrechts an die Vorlage eines gültigen Ausweises mit Foto. Gerade Angehörige benachteiligter Gruppen, wie Schwarze oder Einwanderer, haben oft kein derartiges Dokument. Und, das ist in diesem Zusammenhang wichtig: Dieses Verfahren wird auch in Bundesstaaten und Counties praktiziert, die nicht auf der Liste des Voting Rights Acts stehen.

Nötig ist tatsächlich eine Neufassung des Gesetzes, die von einer gründlichen Prüfung der gegenwärtigen Praxis in sämtlichen Bezirken und Staaten ausgeht. Wenn es Obama ernst wäre mit seiner Kritik, müßte er die Initiative dafür ergreifen, statt scheinbar hilflos an den Kongreß zu appellieren, der durch die republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus blockiert scheint. Auch die Debatte, die 1965 zum Voting Rights Act führte, ging nicht vom Kongreß aus, sondern wurde diesem durch eine Vorlage Johnsons aufgedrängt. So viel Mut sollte sein.

** Aus: junge welt, Donnerstag, 27. Juni 2013 (Kommentar)


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