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Obama sucht Freiwillige

Von Knut Mellenthin *

Während die NATO-Besatzungstruppen in Afghanistan derzeit ihre schwersten Verluste seit Kriegsbeginn vor acht Jahren erleiden, hat die US-Regierung eine Verstärkung der amerikanischen Berufsarmee um 22000 Soldaten angekündigt. Durch die Aufstockung wird der aktive Personalbestand des Heeres ein halbes Jahr nach Dienstantritt von US-Präsident Barack Obama auf 569000 Männer und Frauen angehoben. In dieser Gesamtzahl enthalten sind 65000 Soldaten, um die die Army vor zwei Jahren unter Präsident George W. Bush verstärkt wurde. Zusammen haben die Teilstreitkräfte der USA eine Aktivstärke von rund 1,45 Millionen Männern und Frauen. Hinzu kommen 850000 Reservisten und mehrere hunderttausend »zivile« Angestellte.

Die jetzt bekanntgegebene Verstärkung wird als »vorübergehend« bezeichnet, doch ist sie zeitlich nicht befristet. Wohl um die Maßnahme leichter durch den Kongreß zu bringen, hat Verteidigungsminister Robert Gates angekündigt, er werde für die Haushalte 2009 und 2010 keine zusätzlichen Finanzmittel beantragen. Die Erhöhung der Soldatenzahl soll laut Gates vor allem ermöglichen, die Ruhezeit zwischen den Einsätzen, die die Armeeangehörigen zu Hause verbringen können, zu verlängern. Derzeit liegt sie, zumindest theoretisch, bei einem Jahr nach einem ebenso langen Kampfeinsatz. In Wirklichkeit wird aber die Einsatzzeit oft verlängert, um militärische Engpässe zu überbrücken. Die Aufstockung des Personalbestands ist zudem darin begründet, daß immer mehr Soldaten dienstunfähig sind, weil sie Verletzungen auskurieren müssen.

Bis Ende des Jahres soll die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan auf 68000 erhöht werden. Das ist mehr als eine Verdoppelung gegenüber den 32000 Männern und Frauen, die im Dezember 2008 im Einsatz waren. Möglicherweise wird sich auch diese Zahl noch als zu niedrig erweisen, um die angestrebten schnellen militärischen Erfolge zu erzwingen. Auf der anderen Seite hat der Truppenabzug aus Irak, den Obama im Wahlkampf versprach, noch gar nicht richtig begonnen. Derzeit haben die USA dort immer noch 128000 Soldaten stationiert. Bis zum August 2010 soll ihre Zahl um 35000 bis 50000 sinken.

Alle jetzt schon eng kalkulierten Berechnungen würden völlig über den Haufen geworfen, falls sich die US-Regierung zur Eröffnung einer neuen Kriegsfront gegen Iran entschließt oder sich durch israelische Militärschläge in einen Krieg hineinziehen läßt. In diesem Fall wäre auch die in Aussicht gestellte Reduzierung der US-Truppen im Irak weitgehend hinfällig, da zumindest Teile dieses Landes zum Kampfgebiet werden würden.

Unterdessen wird die militärische und politische Situation in Afghanistan für die Besatzer immer schwieriger. Die NATO-Truppen haben in den ersten drei Juliwochen mit 56 Toten die bisher schwersten Verluste erlitten. Unter den Toten sind 30 US-Amerikaner und 17 Briten. Zum Vergleich: Im Juni und August vorigen Jahres hatte die NATO jeweils 46 Soldaten verloren. Die gestiegenen Verluste der NATO-Besatzer sind in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die afghanischen Aufständischen ihre Ausrüstung stark verbessert haben. So wird die Technik der am Straßenrand deponierten Bomben immer ausgefeilter.

Am Dienstag (21. Juli) griffen 15 Kämpfer in einer koordinierten Aktion gleichzeitig vier Objekte in Gardes, der Hauptstadt der Provinz Paktia, und den US-Militärstützpunkt am Flughafen von Dschalalabad an. In Gardes sprengte sich ein Kämpfer vor dem Hauptquartier des afghanischen Geheimdienstes in die Luft, wobei drei Agenten getötet wurden.

* Aus: junge Welt, 22. Juni 2009


Viel Laderaum für Leichensäcke

Verluste in Afghanistan steigen – USA wollen 22 000 Soldaten zusätzlich rekrutieren

Von René Heilig **


Der US-amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates will das Heer um 22 000 Soldaten aufstocken. Präsident Barack Obama stehe hinter der Entscheidung, sagt er.

Zwei Kriege zur selben Zeit – dazu wollten die USA in der Lage sein. Doch die Militärdoktrin stößt sich an der Realität. Zwar zieht man in Irak nach und nach Soldaten ab, doch in Afghanistan wächst die Gewalt umso rascher. Also verlegt Präsident Obama zur Zeit rund 20 000 Soldaten aus Irak und aus heimischen Camps zur Entscheidung an den Hindukusch. Gleichzeitig will das Pentagon 22 000 neu rekrutieren.

Die Militärführung hatte jüngst erst eine Neubewertung der aktuellen Sicherheitsposition vorgenommen. Dabei setzte sich wohl die Erkenntnis durch, dass High-Tech im Zeitalter asymmetrischer Auseinandersetzungen – anders als zu Zeiten des Kalten Krieges – nur wenig Überlegenheit verspricht. Man geht offenbar nicht davon aus, dass die militärische Überlegenheit der westlichen Koalition bald zum Sieg über die Taliban führt. Die Kriege in Irak und Afghanistan haben zudem erreicht, dass es immer mehr US-Soldaten gebe, die verwundet oder aus anderen Gründen nicht mehr verwendungsfähig seien. Dass GIs über den Endpunkt ihres Kontrakts in ihren überseeischen Kampfstellungen belassen werden, hat für zusätzlichen Unmut gesorgt. Das Pentagon braucht also neues »Kanonenfutter«.

In seinem aktuellen, gesetzlich eingeforderten Halbjahresbericht (Oktober 2008 bis April 2009) über die Situation in Afghanistan an das US-Parlament betont das Verteidigungsministerium, dass die Anzahl der Taliban-Angriffe um 57Prozent angewachsen sei. 67 US-Soldaten seien in diesem Zeitraum gefallen. Das ist ein Plus von rund einem Viertel. Zählt man die Toten von ISAF und den afghanischen Sicherheitskräften dazu, beträgt die Steigerungsrate sogar 68 Prozent.

Die Vergrößerung der US-Army auf 569 000 Soldaten sei über die nächsten drei Jahre geplant, sagte Gates. Er betonte jedoch, die Aufstockung bedeute nicht notwendigerweise, dass die USA über die angekündigte Zahl hinaus noch weitere Soldaten nach Afghanistan entsenden. Diese Darstellung scheint ein deutlicher Hinweis zu sein, dass die anderen NATO-Verbündeten ihr Engagement am Hindukusch erhöhen sollen.

Zwar haben die US-Truppen in Afghanistan die schwierigsten Kämpfe zu bestehen haben, doch auch die deutschen NATO-Verbündeten sind immer stärker in ausweglose Situationen gestellt. Weshalb man nun bei Kundus sogar schon die – bisher für den Objektschutz verwendeten – Schützenpanzer »Marder« zum Einsatz bringt. Das deutet auf den Versuch hin, aus der Defensive in eine – wie auch immer geartete – Offensive zu kommen.

»Ein fataler Schritt in die falsche Richtung«, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer. »Nur der Abzug der Truppen aus Afghanistan und der Einstieg in einen Dialog zwischen den Konfliktparteien kann eine weitere Eskalation mit fatalen Ergebnissen für die afghanische Bevölkerung verhindern.«

** Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2009


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