Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die größte Bedrohung

Der Anschlag auf die demokratische Kongreßabgeordnete Giffords in Arizona und der zunehmende Rechtsextremismus in den USA

Von Philipp Schläger, New York *

Die einen sehen einen verwirrten und isoliert handelnden Einzelkämpfer am Werk. Die anderen sehen einen Zusammenhang zwischen der Tat des 22jährigen Todesschützen Jared Lee Loughner und dem herrschenden »Klima des Hasses« (New York Times-Kolumnist und Nobelpreisträger Paul Krugman). Noch steht nicht fest, inwieweit politische Motive Anlaß für das Massaker in der Kleinstadt Tucson im US-Bundesstaat Arizona waren, bei dem sechs Menschen ihr Leben verloren und 14 verletzt wurden. Klar ist jedoch, daß ein geistig verwirrter Mann ohne Probleme eine Schußwaffe samt Munition kaufen konnte. Und sich ein Opfer aussuchte, auf das die politische Rechte seit Monaten ihre Hetze konzentriert. Die konservative Demokratin und Jüdin Gabrielle Giffords aus Arizona, die nach einem Kopfschuß Loughners um ihr Leben kämpft, ist nicht gerade ein Paradebeispiel für das Feindbild der Rechten. Die zentristische Repräsentantenhausabgeordnete setzte sich für das Recht auf den Besitz von Schußwaffen ein und unterstützte Forderungen zur Aufrüstung an der Grenze zu Mexiko mit Truppen der Nationalgarde. Doch sie sprach sich auch gegen ein von den Republikanern verabschiedetes Antieinwanderergesetz in ihrem Bundesstaat Arizona aus und plädierte für die Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama, ein Reizthema für die Rechte. Schon kurz nach der Abstimmung im März 2010 gab es zahlreiche tätliche Angriffe auf demokratische Politiker, die das Gesetz unterstützten. Auch das Büro Giffords wurde verwüstet.

Diese Stimmung heizten zahlreiche Leitfiguren der Rechten an. In ihrer neuen Rolle als Aufpeitscherin der Tea-Party-Bewegung verkündete die ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin zur Kongreßwahl im November ihren Schlachtruf »Gib nicht nach, lade nach!«. Zudem veröffentlichte sie 2010 eine in diesen Tagen kritisierte Karte. Fadenkreuze markierten 20 traditionell konservative Wahlkreise unter der Führung von Demokraten, die für die Gesundheitsreform gestimmt hatten und nun nach den Worten Palins wiedererobert werden sollten. Symbolisch anvisiert worden war auch das Ziel des Attentäters vom Samstag: Gabrielle Giffords. »Wenn Menschen so etwas tun, müssen sie sich darüber im klaren sein, daß dies Konsequenzen hat«, kommentierte Giffords die Aktion Palins damals. Die Karte, die kurz nach dem Blutbad von der Facebook-Seite letzterer verschwand, ist jedoch längst nicht das einzige Beispiel für die rechte Stimmungsmache.

Auch die republikanische Kongreßabgeordnete Michele Bachmann aus Minnesota hatte die Einwohner ihres Heimatstaates schon wenige Monate nach dem Amtsantritt Obamas wegen dessen Umweltpolitik dazu aufgerufen, »bewaffnet und gefährlich« bereitzustehen. Sharron Angle, die Tea-Party-Kandidatin aus Nevada, die bei den Kongreßwahlen im November 2010 das Rennen gegen den demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, nur knapp verlor, bezeichnete die US-Regierung als »tyrannisch«. Vergleiche Obamas mit Hitler oder seiner Reformen mit dem »Sozialismus« gehören zum Standardvokabular der Tea-Party-Bewegung, bei rechten Radiomoderatoren oder Rupert Murdochs Fernsehsender Fox News.

Während die Diskussion über Ursachen im Internet und in den Medien heftig geführt wird, reagierte die US-Regierung betont zurückhaltend auf das Massaker. Obama, der am heutigen Mittwoch Tucson besucht, bezeichnete es als einen »sinnlosen und grausamen Gewaltakt«. Der neue republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, sprach von einem »traurigen Tag für unser Land«.

Überraschend war die Tat in Anbetracht der rechten Hetze für viele nicht. Die haßerfüllte Rhetorik in den Vereinigten Staaten habe abscheuliche Ausmaße angenommen, sagte der für Tucson zuständige Sheriff Clarence Dupnik. Arizona sei zum Mekka der Vorurteile und Bigotterie geworden. Psychisch labile Menschen wie offenbar auch der Attentäter Loughner seien für diese Haßrhetorik besonders empfänglich, so Dupnik. Der demokratische Sheriff verweigert in seinem Bezirk die Umsetzung des Antieinwanderungsgesetzes, das er als »rassistisch« und »dumm« bezeichnete und wurde aufgrund seiner unverhüllten Empörung vom Samstag zur Mediensensation. Doch er ist mit seiner Einschätzung nicht alleine. Schon zwei Jahre vor dem Blutbad am Samstag warnte das Department of Homeland Security in einem internen Bericht davor, daß der wachsende Rechtsextremismus so- genannte lone wolves (Einzelkämpfer) zu Anschlägen veranlassen könnte. Die Zunahme von Einzelkämpfern und kleinen terroristischen Zellen mit rechtsextremer Ideologie seien zudem die »größte Bedrohung innerhalb der USA«, hieß es darin. Doch das Ministerium machte einen Rückzieher. Aufgrund von wütenden Attacken der Republikaner zog es den Bericht aus dem Verkehr und löste die Abteilung, die ihn erstellt hatte, auf.

* Aus: junge Welt, 12. Januar 2011


Zurück zur USA-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zur Seite "Rassismus, Ausländerfeindlichkeit"

Zurück zur Homepage