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Mit der Krise in die Arbeitslosigkeit

Rezession in USA und Europa trifft besonders Migranten aus Lateinamerika

Von Benjamin Beutler *

In der vergangenen Wochen in Mexiko vorgestellte Zahlen zeigen: Wirtschaftskrisen treffen zuerst die Schwächsten.

Um 30 Prozent ist die Zahl mexikanischer Wirtschaftsflüchtlinge ins Nachbarland USA zurückgegangen, weiß Marina Ariza Castillo vom Institut für Sozialstudien an der Autonomen Universität Mexiko zu berichten. Damit bestätigt sich eine Migrationsstudie der »Organisation Amerikanischer Staaten« (OAS) von Mitte des Jahres. Das Papier mit dem Titel »Internationale Migration in den Ländern Amerikas« hatte aufgezeigt, dass die Wirtschaftskrise in Europa und Nordamerika zuerst bei Immigranten und vor allem bei Frauen aus Lateinamerika einschlägt. Sie seien der Teil der Gesellschaft, der »während der Rezessionen am schwersten betroffen ist«. Krisenbedingte Arbeitslosigkeit bekommen somit zuerst Arbeitsmigranten aus Lateinamerika zu spüren, so die erste Studie zum Thema Migration und Krise, ausgearbeitet in Kooperation zwischen der UN-Wirtschaftskommission für Karibik und Lateinamerika CEPAL und dem neu geschaffenen »Berichtssystem über internationale Migration in den Amerikas« (SICREM) unter dem Dach der »Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit« (OECD).

Ohne Bildung schneller arbeitslos

Dem Abschwung haben die Schwächsten am wenigsten entgegenzusetzen. Stieg die Arbeitslosigkeit bei »im Land geborenen« Arbeitern im Krisenjahr 2009 im Vergleich zu 2006 von 6,7 auf 9,1 Prozent, so schoss sie bei »Arbeitsimmigranten« im selben Zeitraum von 5,3 auf 13,8 Prozent. Immigranten aus Osteuropa und anderen Weltregionen wurden weniger zahlreich entlassen, hier stieg die Arbeitslosenrate im Durchschnitt nur um 3,5 Prozent. Besonders häufig verloren Arbeiter ohne hohe Bildung und Qualifikation ihren Job, bei Immigranten aus Ländern mit einem regional niedrigen Bildungsniveau wie Bolivien, Ecuador und Kolumbien waren es 15 Prozent.

Für die daheimgebliebenen Familien heißt Entlassung weniger Einkommen. So gingen die Rücküberweisungen der Latino-Migranten (Remesas) zwischen 2008 und 2009 gen Karibik und Lateinamerika im Schnitt um zwölf Prozent zurück, in Mexiko sogar um mehr als 18 Prozent. Dass es sich bei den Migranten um reine Wirtschaftsflüchtlinge handelt, zeigt der sofortige Einbruch in den Einwanderungszahlen gen Norden. Seit Beginn der US-Rezession 2007 machten sich durchschnittlich eine Viertel Million weniger Latinos auf den Weg ins »Land der unbegrenzten Möglichkeiten«, so das OAS-Papier damals.

Für die Ausgewanderten wird das Leben in der Krise noch härter. Verlieren Männer ihre Arbeit, sind auch Frauen gezwungen, ihre billige Arbeitskraft auf dem kriselnden Arbeitsmarkt anzubieten.

Frauen werden Hauptverdienerinnen

Wegen des verschärften ökonomischen Drucks auf die Familie werden vor allem Arbeiten im Niedriglohnsektor angenommen. Schlecht bezahlte Jobs in Reinigung, Alten- und Krankenpflege werde von Frauen nur deshalb akzeptiert, weil sie »einen besseren Zugang zu einem Teil des Arbeitsmarktes haben, den die Männer nicht leicht finden oder nicht wünschen«, beschreibt der Bericht dieses »häufige Phänomen in wirtschaftlich schwierigen Situationen«. In Zeiten der Wirtschaftskrise lässt der »Effekt des zusätzlichen Arbeiters« die Beschäftigungszahlen von Frauen in die Höhe schnellen, so dass die Beschäftigungsraten von Frauen sogar über der der Männer liegen, erklären die Wirtschaftsexperten. Zur Arbeit mit Kind, Herd und Waschmaschine kommt der Job in fremden Haushalten, Kliniken und Altenheimen.

Entwarnung ist nicht in Sicht. Stattdessen stieg die Arbeitslosigkeit unter Immigranten in den Vereinigten Staaten im Jahr 2010 sogar noch leicht auf zwölf Prozent an. Für Europa sei derselbe Trend zu erwarten. Das »Überangebot an Arbeit« werde weiter bestehen, prognostizieren die Ökonomen eine anhaltende Talfahrt. Auch im »zwischenzeitlichen Wirtschaftswachstum« sieht der Bericht keinen »Impuls« für mehr Beschäftigung unter Immigranten.

* Aus: neues deutschland, 27. Dezember 2011


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