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Sechs Monate danach

Barack Obama regiert ein halbes Jahr. Seine Administration muß sich an den Ankündigungen messen lassen. Echte Reformen sind weiter möglich.

Von Kurt Stand *

Sechs Monate nach Barack Obamas Amtseinführung sind jene fortschrittlichen Reformen immer noch möglich, die den Aktivismus in der Wahlkampagne inspiriert hatten. Doch das ist nicht leicht. Obamas Wahl hing auch von der Unterstützung durch Leute ab, die das kapitalistische System zwar vor seinen Exzessen bewahren möchten, die jedoch alles unternehmen, um wirklich tiefgehende Reformen zu begrenzen. Die bisherige Regierungstätigkeit zu bewerten bedeutet auch, die Fähigkeit der sozialen Bewegungen zu untersuchen. Vermag sie die Gunst der Stunde zu nutzen? Schauen wir beispielsweise auf den Kampf für eine besseres Gesundheitswesen.

Eine zentrales Versprechen in Obamas Programm war es, die privatisierte Gesundheitsfürsorge zu reformieren, die 40 Millionen Menschen ohne jegliche Krankenversicherung und weitere Millionen Unterversicherter zur Folge hat. Pharma- und Versicherungskonzerne haben jedoch bereits in den ersten drei Monaten von Obamas Amtszeit mehr als 100 Millionen Dollar ausgegeben, um Lobbyarbeit für die Bewahrung ihrer Konzerninteressen zu leisten. Um diesem gewaltigen Druck entgegenzuwirken braucht es eine Bewegung für eine allgemeine Gesundheitsversicherung, in der die privaten Versicherer keine Stimme haben. Es muß eine breite Massenbewegung organisiert werden, die als Minimum einen von der Regierung durchzuführenden öffentlichen Gesundheitsplan fordert. Denn der Ausgang dieses Kampfes ist noch nicht entschieden. Der Präsident hat den öffentlichen Plan befürwortet, aber auch erkennen lassen, daß er einen für die Konzerne günstigen »Kompromiß« ohne einen solchen Plan akzeptieren könne. Kern dieses Konfliktes ist es, daß massenhafte Forderung nach einem öffentlichen Gesundheitsplan diejenigen ernsthaft herausgefordert hat, die die Gesundheitsindustrie als erstklassige Quelle für private Profitmacherei sehen. Zugleich aber hat diese Massenbewegung Chancen eröffnet, diesmal eine tatsächliche Reform in Angriff zu nehmen, eine, die im Interesse aller 300 Millionen US-Bürger ist. Eine ähnliche Dynamik ist derzeit bei den Kämpfen für Klimakontrolle sowie für die Arbeitsrechtsreform sichtbar.

Völlig anders präsentieren sich der Bankenrettungsaktionen. Obwohl die Mehrheit der US-Bürger dieses »Bail out« ablehnt, ist ihr Widerstand zu schwach organisiert. Somit konnten die Finanzkonzerne praktisch jede Schlacht um die Rettung ihrer Interessen auf Kosten der Allgemeinheit gewinnen. Leicht läßt sich das an der unterschiedlichen Art erkennen, wie von der Regierung einerseits mit der Finanzbranche, andererseits mit der Automobilindustrie umgegangen wird. Bankenhilfe erfolgte ohne Vorbedingungen. Die Autobauer erfuhren indes deutlich weniger Unterstützung, und was dann unternommen wurde, geschah zu Lasten von Arbeitsplätzen, Löhnen und anderen Vergünstigungen der Arbeiter. Aktivisten der Bewegung für soziale Gerechtigkeit hatten sich für eine andere Lösung zusammengeschlossen, einer, in der die sozialen Bedürfnisse an erster Stelle rangierten. Doch deren Kräfte reichten nicht aus, um den wenigen Wirtschaftsberatern in der Regierung, die sich ebenfalls für einen solchen Kurs aussprachen, Stärke zu verleihen. Mangelnde Kraft kommt auch im Fehlen der Stimmen der Gewerkschaften in der öffentlichen Debatte zum Ausdruck. Die UAW (Vereinigte Automobilarbeitergewerkschaft), demoralisiert durch eine Reihe von Niederlagen und gefangen in einer Ideologie der Kollaboration von Gewerkschaft und Management, ist ein Symbol dafür. Sie vermag keinen Widerstand zu leisten gegen Forderungen der Konzerne auf Zugeständnisse. Unbeachtet blieb die Aussage der USLAW (US-Arbeiter gegen den Krieg): »Auch in einer ökonomischen Krise lassen sich Dinge tun, um die Art und Weise zu ändern, wie unser Land mit seinem Volk umgeht und sich in der Welt aufführt. Aber das verlangt, daß wir an unseren Arbeitsplätzen und in den Gemeinden weiter aktiv sind, den Kongreß fordern und auf die Straße gehen und verlangen, daß die Regierung ihr Versprechen des 'Change' einhält.«

Dringend bedarf die US-Außenpolitik einer rigorosen Änderung. Obamas Friedensversprechen brachte viele dazu, ihn zu unterstützen. In seiner Rhetorik wie auch in einigen Schritten seiner Administration ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber der Politik von George W. Bush festzustellen. Jedoch die Ideologie der globalen Vorherrschaft der USA besteht fort, und in mancher Hinsicht, so der militärischen Eskalation in Afghanistan, entwickelten die Dinge sich zum Schlechteren. Hier wird offenbar, daß ein Wahlergebnis für sich allein schon [nach der Logik der Argumentation muss es "nicht" heißen, AGF] dazu führt, den in die politischen und ökonomischen Strukturen der USA »eingebetteten« Militarismus zu beseitigen.

Die geringen, wenn auch realen, Veränderungen in Worten und auch in einigen Taten der letzten Monate, sind ein Zugeständnis an die Forderungen der Öffentlichkeit. Sie eröffnen weitere Möglichkeiten, sich gegen den Krieg zu organisieren. USLAW ruft deshalb auf, »das zu tun, wozu Obama selbst seine Unterstützer ermutigt hat -- eine Bewegung zu schaffen, eben das von ihm und vom Kongreß zu verlangen«. Das heißt, wir müssen »... unsere Bündnisse mit denen verbreitern, die die Reform des Gesundheitswesens anstreben, mit der 'blau-grünen Allianz' (einer Koalition von Stahlwerkern und Umweltaktivisten -- d. Ü.), mit den Bewegungen für die Rechte der Immigranten und all denen, die sich den vielen Erscheinungsformen des Krieges im Lande entgegen stellen«, so die Antikriegsbewegung.

Unser Autor, Gewerkschaftsfunktionär und Journalist, wurde 1997 wegen des Verdachts der Verschwörung und Spionage verhaftet und verbüßt eine 17jährige Freiheitsstrafe im US- Bundesgefängnis Petersburg (Virginia). Trotz Gittern und Kerkermauern ist er dicht dran am Geschehen in den USA.

* Aus: junge Welt, 30. Juli 2009 (Kolumne)


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