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In Bushs Fußstapfen

Rückblick 2010. Heute: Die USA. Steuergeschenke und faule Kompromisse – der innenpolitische Niedergang des einstigen Hoffnungsträgers Barack Obama

Von Philipp Schläger, New York *

Knapp zwei Jahre nach seinem Amtsantritt und einen Monat vor Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs hat Obama sein Lächeln wieder gefunden. Zum ersten Mal seit langem zeigte sich der US-Präsident nach dem Steuerdeal mit den Republikanern strahlend vor den Kameras. Die von ihm als Kompromiß bezeichnete Einigung mit den Republikanern, die er zuvor angesichts ihrer Blockadedrohungen noch mit »Geiselnehmern« verglichen hatte, verlängert die Ende 2010 auslaufenden, von seinem Vorgänger George W. Bush vorgenommenen Steuersenkungen um zwei Jahre.

Obwohl Wirtschaftsexperten sich davon kaum eine wirtschaftliche Erholung erwarten und Obama im Wahlkampf stets Bushs Geschenke für Reiche abgelehnt hatte, sind sie nun zu Obamas Steuersenkungen geworden. Durch die Vereinbarung verschiebt sich die Kontroverse um den Rabatt bei den Abgaben für die reichsten zwei Prozent der Amerikaner nunmehr auf das Jahr der Präsidentschaftswahl 2012. Auch seine Zustimmung zur Senkung der Erbschaftssteuer überraschte und erfüllte die bis dahin kaum diskutierte republikanische Forderung nach einem Freibetrag von fünf Millionen Dollar und einem Steuersatz von 35 Prozent. Ohne den Kompromiß wäre die 2010 auf null gesunkene Steuer mit 55 Prozent und einem Freibetrag von einer Million Dollar zurückgekehrt.

Im Gegenzug wurde dem US-Präsidenten eine Arbeitslosengeldverlängerung für die nächsten 13 Monate zugestanden. In den Vereinigten Staaten erhalten Arbeitslose maximal 99 Wochen Geld vom Staat. Anschließend ist die stetig wachsende Gruppe der sogenannten »99er’s« auf die Unterstützung ihrer Familien und Freunde angewiesen. Nach zurückhaltenden Schätzungen erhalten zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Krise schon mehr als eine Million Menschen keinerlei staatliche Unterstützung mehr. Auch der Kompromiß Obamas ändert für sie nichts.

Halbe Reform

Die Vereinbarung war bezeichnend für das zweite Jahr seiner Präsidentschaft, das schon zu Beginn im Januar vom Verlust der strategischen Mehrheit der Demokraten im Senat geprägt war. Bei der Nachwahl für den verstorbenen Edward Kennedy im Januar eroberte der Außenseiter Scott Brown mit Hilfe der erzkonservativen Tea Party-Bewegung den Senatsposten für Massachusetts. Mit der Niederlage drohte auch das Ende seiner Gesundheitsreform und damit eines Eckpunkts der sozialpolitischen Programmatik der Demokraten.

Der US-Präsident beharrte auf einer umfassenden Reform, nach dem bis 2019 etwa 30 der mindestens 46 Millionen unversicherten Amerikaner eine Krankenversicherung erhalten sollen. Die nunmehr durchgesetzte basiert auf einem – wegen der explodierenden Kosten kaum umsetzbaren – republikanischen Entwurf des Gouverneurs von Massachusetts, Mitt Romney. Alle Beteiligten, von der Pharmaindustrie über Ärzte und Krankenhäuser bis zur Versicherungsindustrie, werden verschont. Eine allgemeine staatliche Krankenversicherung wird es auch unter Obama nicht geben. Millionen neuer Kunden werden mit der 2014 eintretenden Versicherungspflicht in das private, profitorientierte Versicherungssystem gezwungen.

Kaum besser gelang Obama der Umgang mit der größten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression. Mit ihm dem 44. US-Präsidenten, erlebten die Programme Bushs einen reibungslosen Übergang. Und sie zeitigten – wie zuvor – keinen Erfolg. 15 Millionen Menschen sind weiterhin ohne Arbeit. Programme, die – wie unter Bush –lediglich mit Anreizen für Banken arbeiten und Zwangsverkäufe von Immobilien verhindern sollten, scheiterten.

Vermeintliche Erfolge verblassen vor einer umfassenderen Betrachtung. Einerseits sollen bei der fast vollständigen Rückzahlung der 700-Milliarden-Spritze für Banken im Rahmen des Troubled Asset Relief Program (TARP) von 2008 dem Steuerzahler nun, so aktuelle Schätzungen des Finanzministeriums, »nur« noch 25 Milliarden Dollar verloren gehen. Andererseits kaufte die US-Notenbank Fed den Banken seit Beginn der Krise ihre faulen Anlagen zum Preis von mehr als 1,1 Billionen Dollar ab. Dieses Vorgehen erleichterte zwar die Aufstellung der Bankenbilanzen, führte allerdings auch dazu, daß das Vermögen der Fed inzwischen fast zur Hälfte aus Anlagen besteht, die auf dem Markt, wenn überhaupt, nur noch einen Bruchteil ihres Nennwertes erbringen würden. Und solange es keinen Markt für diese Anlagen gibt, trägt der Steuerzahler den Verlust.

Weichspülen der Krise

Es folgte die Reform des Finanzmarktes, die nach den Worten Obamas eine Wiederholung der Krise verhindern sollte. Banken investierten Millionen gegen die Reform. Verhindern konnten sie sie nicht. Weichspülen schon. Das Gesetz macht nur einen Bereich des Derivatehandels transparenter. Es beschränkt den Eigenhandel nur teilweise. Eine neue Einrichtung soll in Zukunft den Mißbrauch gegen Verbraucher unterbinden. Zudem überläßt das Gesetz die Konkretisierung dieser ohnehin schon schwachen Regelungen den Regulierungsbehörden, die vor Ausbruch der Krise kläglich versagt hatten.

In der Umweltpolitik geschah allerdings noch weniger. Das große Klimaschutzgesetz Obamas endete im Kongreß. Die Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon löste die größte Ölpest der Geschichte aus und offenbarte die Schwäche und Unentschlossenheit Obamas und seiner Regierung im Umgang mit dem Ölkonzern BP.

Auch die Herrschaft des Rechts wollte Obama »wiederherstellen«. Doch das Guantánamo-Straflager und Militärtribunale sind weiter in Betrieb und mit ihnen die Methoden Bushs. Die unbegrenzte Inhaftierung von Menschen ohne jegliches Verfahren verteidigte Obama bald schon nach seiner Amtseinführung. Whistleblower (Hinweisgeber), die Informationen über Mißstände in der Regierung und bei Behörden öffentlich machen, verfolgt Obama so vehement, wie kein Präsident vor ihm. Er übernahm selbst Verfahren im Ermittlungstadium aus der Bush-Zeit, um Anklagen zu erheben. Dies erklärt die fieberhafte Suche des Justizministeriums nach einem einschlägigen Straftatbestand gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange.

Der Fall Manning

Ein weiteres Beispiel ist die Behandlung von Bradley Manning, dem die Weitergabe der geheimen Dateien an Wikileaks vorgeworfen wird. Obwohl er bislang von der Militärgerichtsbarkeit weder angeklagt noch verurteilt wurde, wird der 22jährige Gefreite nach Medienberichten seit mehr als sieben Monaten in Isolationshaft gehalten, eine Folterbehandlung, die Menschen in den Wahnsinn treiben kann. In den 23 Stunden in seiner Zelle darf er sich kaum bewegen, selbst Leibesübungen sind verboten. Elementarste Gegenstände wie eine Decke und ein Kopfkissen verweigert ihm das Militär. Für einen Präsidentschaftskandidaten, der sich vehement für die Stärkung des Schutzes für Whistleblower und gegen Folter ausgeprochen hatte, vollzog Obama einen erstaunlichen Wandel.

Die Kongreßwahlen vom November verschoben die Machtverhältnisse weiter zugunsten der Republikaner. Die Demokraten verloren im Repräsentantenhaus ihre Mehrheit sowie sechs Sitze im Senat.

Versprechen eingelöst

Dennoch kamen nach der Niederlage auch einige Erfolge Obamas. In der »Lame-Duck«-Phase – »lahme Ente«, da zahlreiche Abgeordnete nach der Niederlage vom November ihren Sitz im nächsten Kongress verloren haben – konnte Obama endlich doch noch ein längst überfälliges Wahlversprechen einlösen. Nachdem auch Verteidigungsminister Robert Gates und führende Militärs die »behutsame« Abschaffung der Diskriminierung von Homosexuellen in der US-Armee empfahlen, stimmten kurz vor Beginn der neuen Kongreßperiode im Januar immerhin 65 von 100 Senatoren dafür, darunter auch einige Republikaner. Auf der Grundlage eines Kompromisses William Clintons von 1993 wurden bislang Schwule und Lesben nach der »Don’t Ask, Don’t Tell (DADT)« genannten Regelung aus dem Dienst entlassen, sobald ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde.

Zwei Jahre nach der historischen Wahl Obamas ist von dem einstigen Hoffnungsträger nichts mehr übrig. Obama verhandelt mit Geiselnehmern. Seine Erfolge basieren im wesentlichen auf der Aufgabe eigener und der Übernahme republikanischer Positionen.

* Aus: junge Welt, 31. Dezember 2010


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