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Barack Obama: Der Absturz in die Niederungen der Realpolitik

Die Wirtschaftskrise hat im ersten Amtsjahr tiefe Spuren hinterlassen

Von Max Böhnel, New York *

Ein Jahr nach der feierlichen Amtseinführung Barack Obamas, der ein Höhenrausch mit traumhaften Umfragewerten folgte, ist der Supermann endgültig in den Niederungen der Realpolitik gelandet.

Das Datum ist nicht ohne Ironie: Exakt ein Jahr nach dem 20. Januar 2009 könnte eine Nachwahl im Bundesstaat Massachusetts zu Obamas politischem Sargnagel werden – für die Gesundheitsreform und für die eigene Präsidentenkarriere. Denn wenn die Demokraten den Sitz des verstorbenen Senators Edward Kennedy gestern verloren haben, fehlt ihnen die wichtige Mehrheit von 60 Stimmen im Washingtoner Oberhaus. Damit könnten die rechten Republikaner das Reformwerk mit sogenannten Filibustern (Endlosreden) sabotieren. Eine erfolglose Gesundheitsreform wäre für den Präsidenten, der unter anderem wegen seines Versprechens auf eine bezahlbare Krankenversicherung ins Amt gewählt worden ist, und für weitere Reformvorhaben aber eine politische Schmach sondergleichen.

Vor einem Jahr hätte niemand gedacht, dass Obama sich in die Niederungen der Regionalpolitik und dann ausgerechnet in eine traditionelle Hochburg seiner Partei begeben müsste. Aber am Montag flog der Präsident tatsächlich nach Boston. In einer Rede drängte er die Wähler, die demokratische Kandidatin Martha Coakley zu unterstützen. In Umfragen führte der Republikaner Scott Brown mit zwei bis vier Prozentpunkten. Gewinnt der Rechte, dann bricht er nicht nur die Vorherrschaft der Demokraten im Bundesstaat; zudem wäre auch der Erfolg weiterer Reformvorhaben in Frag gestellt, etwa die Finanzmarkt-Regulierung.

So oder so sind die Popularitätswerte Obamas in weiten Teilen der Bevölkerung stark gesunken. Nur noch 46 Prozent befürworten seine Amtsführung laut einer Umfrage des Fernsehsenders CBS. Dabei war er bei seinem Amtsantritt einer der beliebtesten Präsidenten aller Zeiten. ABC News ermittelte zusammen mit der »Washington Post«, dass 52 Prozent der Meinung sind, Obama habe in den zwölf Monaten seit der Amtseinführung »nicht viel, wenig oder gar nichts« erreicht. Politikwissenschaftler, die den Fall des Präsidenten analysieren, weisen allerdings auf Obamas Vorgänger Gerald Ford, Ronald Reagan und Bill Clinton hin, die sich im ersten Amtsjahr ebenfalls sehr unbeliebt machten. George Bush jr. war eine Ausnahme, da er die Zeit nach dem 11. September 2001 patriotisch »managte«.

Obamas Sturzflug bei den Umfragewerten erklärt sich zum großen Teil, aber nicht gänzlich, aus der schweren Wirtschaftskrise. Obwohl er sie von seinem Vorgänger Bush geerbt hat, wird er als mangelhafter Manager dafür verantwortlich gemacht – bei offiziell 15 Millionen Arbeitslosen und vielen Millionen schlecht Bezahlten kein Wunder. Dabei fällt die wirtschaftspolitische Bilanz, die Experten mit dem Hinweis »Es hätte schlimmer kommen können« anstellen, keineswegs vernichtend aus. Der sozialdemokratisch orientierte Wirtschaftskolumnist der »New York Times«, Paul Krugman, schrieb beispielsweise, ohne das 700-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm würde die Arbeitslosigkeit »viel höher ausfallen«.

Konservative bei den Demokraten wie den Republikanern bemängeln an Obamas Krisenbewältigung dagegen zu viel Staatsintervention und Verschuldungsbereitschaft seitens der Regierung sowie eine zu große politische Konzentration auf die Gesundheitsreform, die die Beschäftigung mit der Ökonomie hintenangestellt habe. Krugman widerspricht. Das Konjunkturprogramm sei »zu klein, die Politik gegenüber den Banken zu zaghaft« gewesen. Darüber hinaus habe die Obama-Regierung eine zu bescheidene wirtschaftspolitische PR-Politik betrieben. Obama habe versäumt, darauf hinzuweisen, dass die Finanzkrise mit der Deregulierungspolitik Bushs vorgezeichnet war.

Die Internetausgabe der linken Wochenzeitschrift »The Nation« veröffentlichte anlässlich des ersten Obama-Amtsjahrs mehr als ein Dutzend Beiträge bekannter USA-Linker und -Liberaler, die jeweils eine kurze Bilanz zogen. Außenpolitisch waren die Einschätzungen weitgehend negativ, in punkto Wirtschafts- und Sozialpolitik durchwachsen. Die Linken gaben sich mehrheitlich »wenig überrascht« über den Mitte-Rechts-Kurs des Weißen Hauses. Obama sei schon zu seinen Chicagoer Zeiten jemand gewesen, der sich gerne in die politische Mitte stellt und im Zweifelsfall lieber Bündnisse mit rechts von ihm Stehenden eingeht, schrieb der Politikprofessor Adolph Reed jr., der seine Laufbahn seit zwei Jahrzehnten aufmerksam verfolgt.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2010


Barack Obama: Krieger mit Friedenspreis

Von Olaf Standke **

»Hope« heißt das Musical, das am Wochenende in der Frankfurter Jahrhunderthalle Premiere feierte. Sein Star ist Barack Obama. 2000 Besucher kamen, um der Geschichte des seit Jahrzehnten weltweit beliebtesten USA-Präsidenten zu lauschen. In Deutschland etwa ist er mit Umfragewerten von 60 Prozent noch immer geachteter als zu Hause.

Die von Vorgänger George W. Bush schwer beschädige Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit der Supermacht wiederherzustellen, das gehört zu seinen vorrangigen außenpolitischen Zielen. Kein USA-Präsident hat im ersten Amtsjahr mehr Auslandsreisen gemacht als er, 20 Staaten sind es gewesen. Und glaubt man den Demoskopen, gelang ihm dieser angestrebte Stimmungsumschwung auch. Doch ist die »Obamania« nach seinem Wahlsieg nicht nur hierzulande inzwischen deutlich abgeklungen.

Zwar ist die Zeit verbaler Aggressivität vorbei, der neue Mann im Weißen Haus zeigte sich dialogbereit, ob nun mit Blick auf Moskau, Teheran oder Havanna, er streckte der muslimischen Welt die Hand aus zum großen Friedensschluss und machte allen Hoffnung mit der Vision einer atomwaffenfreien Welt – doch seine konkrete Bilanz ist ernüchternd. Gerade erst hat Washington wieder einmal einen Friedensschluss in Nahost in maximal zwei Jahren versprochen. Das Fazit der Bemühungen im ersten Amtsjahr findet Israelis und Palästinenser aber in seltener Übereinstimmung: enttäuschend. Enttäuscht sind zum Beispiel auch die Landminengegner, weil sich die Obama-Regierung nicht gegen das Pentagon durchsetzen konnte und bei der Ablehnung der Ottawa-Konvention bleibt. Selbst die so vielversprechend begonnenen Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen des ausgelaufenen START-Vertrags zur Verringerung der strategischen Offensivwaffen erweisen sich als höchst problematisch. Auch wenn sich zwischen Moskau und Washington der Umgangston spürbar verbessert hat, Russland wartet weiter auf den angekündigten Neustart der bilateralen Beziehungen.

Sogar sein wichtigstes außenpolitisches Wahlkampfversprechen, das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo binnen eines Jahres zu schließen, kann der Präsident nicht einlösen. Noch immer sitzen dort rund 200 Terrorverdächtige ein, viele nach wie vor ohne Anklage, Prozess und unschuldig. An anderer Stelle greift zumindest etwas mehr Rechtsstaatlichkeit in der Terrorbekämpfung. So müssen sich die Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 in New York nicht vor einem Militärtribunal, sondern vor einem Zivilgericht verantworten.

In besonderer Weise spiegelte sich die Widersprüchlichkeit der Außenpolitik Obamas und ihrer weltweiten Wahrnehmung beim Thema Afghanistan. Kaum elf Monate im Amt, bekam der USA-Präsident den Friedensnobelpreis als eine Art Vorschuss auf all die von ihm ausgelösten Hoffnungen und Erwartungen überreicht – obwohl er ein paar Tage zuvor eine massive Eskalation des US-amerikanischen Militäreinsatzes am Hindukusch befohlen hatte. Obama, die Friedenshoffnung. Obama, der Kriegspräsident.

Er habe »viel Wohlwollen für die USA geschaffen, aber seine Außenpolitik ist im Wesentlichen die gleiche wie früher«, resümierte die »New York Times« sein erstes Amtsjahr auf der Weltbühne. Wie es mit dem Musical »Hoffnung« weitergeht, ist unklar. Am liebsten wäre den Machern jetzt eine Deutschland-Tournee. Termine gebe es jedoch noch keine.

** Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2010


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