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Wut über Camerons Sparpaket

Der Öffentliche Dienst in Großbritannien streikt gegen Kürzungen und Rentenreform

Von Christian Bunke, London *

Gestern (30. Juni) streikten in Großbritannien 800 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst gegen die geplante Rentenreform der Koalitionsregierung aus Konservativen und Liberalen.

Schulen blieben zu und Flughäfen hatten Probleme, da die Angestellten der Einreisebehörde streikten. 350 Colleges sowie 75 Universitäten wurden bestreikt. Arbeitsämter waren ebenso geschlossen wie Museen und Galerien. In London wurde jeglicher Polizeiurlaub gestrichen, da Polizisten eingesetzt wurden, um streikende Beschäftigte zu ersetzen.

Vier Gewerkschaften hatten zu dem Streik im öffentlichen Sektor aufgerufen: Die Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS, die Gewerkschaft für Lehrende an Colleges und Universitäten UCU, sowie die Lehrergewerkschaften NUT und ATL. Letztere beteiligte sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte an einen Streik.

Auch das zeigt, der Unmut über die geplante Rentenreform ist groß. Darüber hinaus ging es aber um Widerstand gegen das gesamte Kürzungsprogramm, das bereits mehrere tausend Beschäftigte den Arbeitsplatz gekostet und vielen erhebliche Reallohnverluste beschert hat. Bis 2015 will die Regierung 330 000 Stellen streichen. Premierminister David Cameron will im Zuge seines Sparkurses außerdem durchsetzen, dass Staatsbedienstete länger arbeiten und mehr in die Rentenkasse einzahlen. Während die Regierung behauptet, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst nach Ende ihrer Karriere eine »goldene« Rente erhielten, beträgt die tatsächliche derzeitige Durchschnittsrente für sie 6000 Pfund (etwa 6700 Euro) im Jahr. Viele Pensionäre müssen mit gerade mal 120 Pfund (130 Euro) pro Woche über die Runde kommen. Das ist unter der britischen Armutsgrenze.

Zwar stimmt die Behauptung seitens der Regierungsbank, dass die Renten im öffentlichen Dienst höher sind als im privaten Sektor, aber die Beschäftigten im privaten Sektor mussten »grauenhafte Angriffe« auf ihre Renten hinnehmen, erklärt Mark Servotka, der Generalsekretär der PCS-Gewerkschaft. »Verantwortlich dafür sind die Aktionäre und Firmenbosse, die die Rentenfonds ihrer Konzerne zerstückelt haben. Die Bosse haben dagegen sehr gute Renten.«

Kurz vor dem gestrigen Streikbeginn waren Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Regierung gescheitert. Servotka bezeichnete die Verhandlungen anschließend als »Farce«, Dave Prentis von der Gewerkschaft UNISON dagegen sagte, er habe »echte Verhandlungen erlebt«, seine Gewerkschaft werde deshalb im Juli keine Urabstimmungen für Kampfmaßnahmen einleiten. UNISON organisiert Beschäftigte im kommunalen und im Gesundheitsbereich. Auch deren Renten sind von der Reform bedroht, sie werden aber durch einen anderen Topf finanziert.

Den gestrigen Streik werteten die beteiligten Gewerkschaften einhellig als »überwältigenden Erfolg«. Die Mehrheit aller Gewerkschaftsmitglieder habe sich beteiligt, heißt es in Stellungnahmen. In ganz Großbritannien gab es Demonstrationen. Die größte fand in London mit rund 30 000 Teilnehmern statt. In vielen anderen Städten demonstrierten jeweils Tausende.

Diesem ersten Streik gegen das Kürzungs- und Belastungsprogramm der britischen Regierung werden sehr wahrscheinlich weitere folgen. So stimmte die Delegiertenversammlung der Transportarbeitergewerkschaft RMT ebenfalls gestern für eine »gewaltige« Kampagne gegen Einsparungen bei den Eisenbahnen. Man werde diese Kampagne mit anderen Gewerkschaften koordinieren und gemeinsame Kampfmaßnahmen vorbereiten, so RMT Generalsekretär Bob Crow in einer Grußadresse an die Streikenden.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2011


»Labour ist keine Alternative«

Die Gewerkschaften müssen das Kürzungspaket der Regierung allein verhindern. Ein Gespräch mit Martin Powell Davies **

Martin Powell Davies ist aktiv im National Shop Stewards Network (NSSN), einem landesweiten Netzwerk betrieblicher Interessenvertreter. Er ist auch Mitglied im Vorstand der Lehrergewerkschaft NUT

Innerhalb der britischen Gewerkschaftsbewegung wird wieder über den Generalstreik diskutiert. Vor einigen Wochen drohte der Chef des Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (UNISON), Dave Prentis, mit einer Streikwelle, nun ist er wieder zurückgerudert und verhandelt mit der Regierung. Viele Organisationen lehnen Verhandlungen mit der Regierung ab. Wie positioniert sich das NSSN in dieser Frage?

Wir glauben, daß der Streik vom 30. Juni, an dem sich aller Voraussicht nach etwa 800000 Menschen beteiligen werden, zu einem einen Ausstand von vier Millionen Menschen im Herbst ausgebaut werden muß. Wir fordern die vier großen im kommunalen Bereich organisierten Gewerkschaften UNISON, GMB, PCS und UNITE dazu auf, Urabstimmungen für einen Generalstreik einzuleiten. Die Regierung ist sich der Gefahr bewußt, die ein solcher Arbeitskampf für sie bedeuten würde. Deshalb versucht sie, die Bewegung zu spalten, indem sie kommunalen Beschäftigten einen separaten Deal für ihre Renten anbietet. UNISON-Generalsekretär Dave Prentis sah sich durch die Proteste zu kämpferischen Aussagen auf dem Gewerkschaftstag gezwungen. Nun müssen er und andere Gewerkschaftsführer unter enormen Druck gesetzt werden, um Urabstimmungen für einen nationalen Ausstand einzuleiten. Wir dürfen es der Regierung nicht erlauben, die Bewegung gegen die Rentenkürzungen im gesamten öffentlichen Sektor zu spalten.

Was ist das NSSN, und wer ist dort beteiligt?

Das NSSN wurde 2007 mit Unterstützung der Transportarbeitergewerkschaft RMT gegründet. Ziel war es, lokale, regionale und nationale Netzwerke von gewerkschaftlichen Aktivisten in Betrieben aufzubauen, um gewerkschaftliche Kämpfe zu stärken und zu unterstützen. Das NSSN wird derzeit von sechs Gewerkschaften und Aktiven aus ganz Großbritannien unterstützt.

Welche Rolle spielt das NetzwerkN in der Bewegung gegen Kürzungspläne der Regierung?

Im Kern versuchen wir, ein stärkeres gewerkschaftliches Engagement in der Bewegung gegen die Kürzungen hereinzutragen.

Die Regierung erscheint schwächer, als sie eingestehen möchte. Gleichzeitig schwanken einige Gewerkschaftsführer und suchen den schnellstmöglichen Kompromiß. Gibt es überhaupt einen Verhandlungsspielraum?

Auf jeden Fall ist die Regierung schwächer, als sie zugibt. Aber das Vorhaben, Renten im öffentlichen Sektor zu beschneiden, will sie durchsetzten. In Verhandlungen wird es für die Gewerkschaften kaum Spielraum für Zugeständnisse geben. Das NSSN wird gemeinsam mit den an einem ernsthaften Kampf interessierten Organisationen an gemeinsamen Aktionen arbeiten. Beispielsweise wollen wir im September beim Kongreß des britischen Gewerkschaftsbundes TUC eine Demonstration organisieren, auf der wir koordinierte nationale Aktionen fordern werden.

Wie wird sich die Bewegung nach den Protesten vom 30. Juni entwickeln?

Es wird ein unausweichliches Abflauen über den Sommer geben, weil die Schulen und Colleges Ferien machen. Aber danach muß die Streikbewegung dringend verstärkt werden. Und das geht nur, indem die Anzahl der beteiligten Gewerkschaften erweitert wird und konkrete Termine für Aktionen im Herbst angekündigt werden.

Falls die gegenwärtige Regierung irgendwann wieder durch Labour ersetzt werden sollte, würde das den Protest hinfällig machen?

Nein. Ich glaube, daß die Gewerkschaften neben betrieblichen Kämpfen auch ihrer politische Stimme wieder Gehör verschaffen müssen. Ich halte es für notwendig, daß Gewerkschaften unabhängige Kandidaten bei Wahlen unterstützen, die ihre Stimme klar gegen die Kürzungen erheben.

Labour ist keinesfalls eine Alternative. Vielmehr beteiligt sich die Partei momentan an den Kürzungen, nämlich in den von ihr gestellten Stadtverwaltungen. In vielen Städten macht Labour die schmutzige Arbeit für die Tories.

Interview: Christian Bunke, Manchester

** Aus: junge Welt, 30. Juni 2011


Why Stop the War opposes cuts in pensions and public services

The same people who tell us that the country can't afford to pay pensions or provide public services are happy to spend billions of pounds a year on bombing Afghanistan.

By Lindsey German ***


The week that the government admitted its spending on the war in Libya is running at £260 million -- rather than the tens of millions it projected only three months ago -- was the same week that ministers launched their war of words on public sector workers striking to protect their pensions.

Around three quarters of a million civil servants, teachers and lecturers will strike on 30 June against plans which would make them work longer before they received a pension, force them to pay much more for the privilege, and sharply reduce their retirement payments.

Ministers argue that the country can’t afford it and that anyway public sector pensions are much better than those in the private sector. That may be true after years of private companies attacking their own pension schemes. This is so typical of the race to the bottom, which has driven down wages and conditions in recent years.

But what about the "can’t afford it argument?" In every major country, working people are being told the same story since the economic crisis began nearly three years ago. We have all maxed on our collective credit cards, there is a huge deficit and the only way it can be reduced is for everyone to make sacrifices through wage freezes, pension cuts, cuts in benefits.

War always seems to be ring fenced when it comes to public spending. Costs that come in at ten times what was predicted are brushed aside as part of the price of war. Weapons and machinery which literally burn up millions of pounds a day are justified as absolutely necessary indeed essential to the public good.

Isn’t it amazing as well that while you won’t find a banker or top industrialist who will criticise bailing out the banks, you also will spend a long time looking for one who will criticise these wars.

That’s because wars have increased hand in hand with the spread of globalisation over the last 20 years or so. The same people who want the Greeks, the Portuguese and the Irish to accept austerity are happy for billions of pounds a year to be spent on bombing Afghanistan. They want to make countries safe for privatisation and western investment -- whatever it takes.

And the same people who tell us that the country "can’t afford" to pay pensions or provide public services have now entered into their third major war in ten years -- with no end in sight.

What about doing it the other way round? Ring fencing spending on pensions, welfare, education and health. And facing up to the fact that we can’t afford all these wars?

*** Stop the War Coalition, National Convenor

Source: Stop the War Coalition, 29 June 2011; www.stopwar.org.uk



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