Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Cameron zerknirscht – "in der Rückschau"

Britischer Premier musste sich im Unterhaus zum Abhör- und Korruptionsskandal äußern *

Kritiker hatten schon für die Zeit nach Premierminister Cameron geplant. Im britischen Abhör- und Korruptionsskandal wand sich Cameron am Mittwoch (20. Juli) durch eine mehrstündige Unterhausdebatte und zog den Kopf aus der Schlinge – zunächst.

Premierminister David Cameron hat in einer Sondersitzung des Parlaments zum Abhörskandal um die Zeitung »News of the World« die Anstellung des früheren Chefredakteurs des Blattes als Pressechef bedauert. »In der Rückschau« hätte er Andy Coulson nicht eingestellt, sagte Cameron am Mittwoch. Oppositionsführer Ed Miliband warf ihm vor, er habe die Augen vor der Wahrheit verschlossen und verlangte eine Entschuldigung.

»Natürlich« bedauere er den durch Coulsons Ernennung ausgelösten Skandal, sagte Cameron, der eine Afrikareise abgebrochen hatte, um vor dem Unterhaus Stellung zu nehmen. »Man trifft Entscheidungen nicht in der Rückschau, man trifft sie in der Gegenwart. Man lebt und lernt, und glauben Sie mir, ich habe gelernt«, versicherte der immer wieder von Zwischenrufen unterbrochene Cameron. Er habe aber eine »altmodische Haltung zur Unschuldsvermutung« und lehne es ab, sich für die Einstellung Coulsons zu entschuldigen, bevor dessen Schuld bewiesen wurde.

Coulson war 2003 bis 2007 Chefredakteur der infolge des Skandals inzwischen eingestellten »News of the World«. In dieser Zeit sollen Journalisten des Blattes die Telefone von Prominenten, aber auch von Angehörigen von Kriminalitäts- und Anschlagsopfern abgehört und Polizisten bestochen haben. Coulson bestreitet, von den Aktionen gewusst zu haben. Kurz nach seiner Ablösung als Chefredakteur engagierte ihn Cameron als seinen Pressechef. Er behielt ihn auch, als er im Mai 2010 Premier wurde. Im Januar musste Coulson jedoch wegen des Abhörskandals zurücktreten und wurde vergangene Woche vorübergehend festgenommen.

Miliband warf Cameron vor, durch die Beschäftigung Coulsons in einen Interessenkonflikt geraten zu sein. Sein Büro habe ihn nicht über die Ermittlungen informiert, weil sie sich gegen einen seiner engsten Mitarbeiter richteten. »Es war ein gezielter Versuch, die Fakten über Herrn Coulson zu verstecken«, so der Labour-Chef.

Am Dienstag (19. Juli) hatte der Medienausschuss des Parlaments bereits den Medienmogul Rupert Murdoch und dessen Sohn James vernommen. Dabei hatte ein Mann einen Teller mit Rasierschaum auf den 80-jährigen Rupert Murdoch geworfen. Der Präsident des Unterhauses, John Bercow, kündigte am Mittwoch eine umfassende Untersuchung des Vorfalls an. »Es ist völlig inakzeptabel, dass ein Mitglied der Öffentlichkeit einen Zeugen so behandelt – und so behandeln kann«, sagte Bercow. Gegen den Täter, den 26-jährigen Komiker Jonathan May-Bowles, wurde ein Verfahren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eingeleitet. Rupert Murdoch verließ unterdessen London und beendete damit seinen elftägigen Besuch in Großbritannien.

Am Vormittag hatte ein Untersuchungsausschuss des Parlaments einen ersten Bericht zur Abhöraffäre vorgelegt. Der Ausschuss wirft Murdochs britischer Zeitungsgruppe News International vor, versucht zu haben, die Ermittlungen in der Affäre zu vereiteln. Zugleich kritisiert er die »sehr mangelhaften« Ermittlungen der Polizei in den Jahren 2005 und 2006.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2011


Zurück zur Großbritannien-Seite

Zur Medien-Seite

Zurück zur Homepage