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Marzouki gegen Al-Sebsi

Tunesier stimmen am Sonntag in Stichwahl über neuen Präsidenten ab

Von Sofian Philip Naceur *

Tunesiens Präsidentschaftswahl geht in die zweite Runde. Am kommenden Sonntag stehen sich die beiden bestplazierten Kandidaten Moncef Marzouki und Béji Caïd Al-Sebsi in der Stichwahl gegenüber. Der Chef der antiislamistischen und neoliberal ausgerichteten Partei »Nidaa Tounes« (Ruf Tunesiens), Al-Sebsi, erreichte im ersten Durchgang 39,4 Prozent der Stimmen. Sein sozialdemokratischer Herausforderer ist der amtierende Übergangspräsident und Chef der sozialdemokratischen Partei »Kongress für die Republik« (CPR), Marzouki. Er hatte am 23. November mit 33,4 Prozent überraschend stark abgeschnitten. Das Rennen um das höchste Staatsamt gilt als völlig offen.

Der Wahlkampf wurde von beiden Kandidaten aggressiv geführt, wobei sich Marzouki und Al-Sebsi weniger inhaltliche Debatten um ihre politischen Programme lieferten. Vielmehr attackierten sie sich gegenseitig scharf. Dabei ging es nicht zuletzt auch um die Unterstützung anderer Parteien. Denn deren Wähler werden am Sonntag entscheidend sein.

Marzouki warf seinem Gegner wiederholt vor, der Kandidat des alten Regimes zu sein. Al-Sebsi diente dem 2011 gestürzten Diktator Zine el-Abidine Ben Ali als Minister, während Nidaa Tounes als Sammelbecken für ehemalige Kader gilt. Al-Sebsi bezeichnete Marzouki im Gegenzug als Kandidat der Islamisten und warnte eindringlich davor, ihn ins höchste Staatsamt zu wählen. Damit würde der gemäßigten islamistischen Partei »Ennahda« (Wiedergeburt) Einfluss auf das Amt erlaubt.

Marzouki entstammt zwar dem sozialdemokratischen Lager, doch seine Partei CPR war nach der Wahl zum Übergangsparlament 2011 als Juniorpartner in die von Ennahda geführte Regierung eingetreten. Bis heute pflegt Marzouki gute Beziehungen zu der konservativ-islamistischen Partei, die keinen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufgestellt hatte. In der ersten Runde des Urnengangs hatte Al-Sebsi vor allem im Norden und den Küstenregionen Stimmen auf sich vereinigen können. Marzouki hingegen gewann in den Ennahda-Hochburgen im Süden, obwohl die Partei keine explizite Wahlempfehlung abgegeben hatte. Doch aufgrund des stark antiislamistischen Kurses Al-Sebsis ist wie schon im ersten Wahlgang zu erwarten, dass die islamistische Wählerschaft Marzouki unterstützen wird.

Derweil bleibt Marzouki schlicht keine andere Wahl, als auf die Unterstützung islamistischer Kräfte zu setzen, will er seine Chancen auf einen Wahlsieg am Sonntag wahren. Sein Ruf im sozialdemokratischen, aber auch im linken Lager hatte durch seine Kooperation mit Ennahda stark gelitten.

Die »Volksfront«, ein Bündnis von neun sozialistischen und linken Parteien, das bei den Parlamentswahlen im Oktober als viertstärkste Kraft in das neue Parlament eingezogen war, rief ihre Anhängerschaft dazu auf, Marzouki zu verhindern. Die Volksfront steht nach den Morden an den beiden Politikern Mohamed Brahmi und Chokri Belaïd durch militante Islamisten im Jahr 2013 mit Marzouki auf Kriegsfuß. Die Front wirft ihm politisches Versagen im Umgang mit den Morden vor. Er sei nicht entschieden genug gegen die islamistische und polarisierende Politik Ennahdas vorgegangen.

Die Volksfront befindet sich derweil in einer delikaten strategischen Lage. Denn auch Al-Sebsi kommt für sie aufgrund seine Nähe zu Ben Ali und seiner wirtschaftsliberalen politischen Agenda als Präsident nicht in Frage. Daher begnügte sich die Partei mit der Ablehnung Marzoukis, der momentan das größere Übel darstellt.

Unterdessen ist Nidaa Tounes weiter mit der Regierungsbildung beschäftigt. Die Partei war aus der Parlamentswahl im Oktober als stärkste Kraft hervorgegangen. Medienberichten zufolge dürfte sie eine Koalition mit den Parteien »Freie Patriotische Union«, Afek Tounes und Elmoubadara sowie einigen unabhängigen Abgeordneter eingehen. Gewinnt Al-Sebsi die Präsidentschaftswahl, würden Kader des alten Regimes sowohl wieder die Exekutive als auch die Legislative Tunesiens kontrollieren.

* Aus: junge Welt, Freitag, 19. Dezember 2014


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