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Tunesisches Wunder auf tönernen Füßen

Von abdelhaq tunsi

"Wenn man von Hassan II zu Ben Ali wechselt, bedeutet das auch, von der Aristokratie des Verbrechens zur trostlosen Mittelmäßigkeit eines Kleinstadt-Gauners herabzusteigen. Es geht hier nicht um die Länder, sondern um die Männer. Hassan hatte einen Kopf; Ben Ali hat nur Hände. Der Erste hatte, samt all seiner Laster, Qualitäten, darunter Intelligenz. Der Zweite, von seinen Untertanen ‚Präsident Abitur minus drei' genannt, zeichnet sich nur durch diese raschen Reflexe aus, die man in den Kasernen lernt. Der Eine war König bis zu seinen schlimmsten Exzessen; der Andere ist nur ein griesgrämiger Bulle, der einem der zivilisiertesten Völker der Welt die Einsperrung in eine Gorilla-Diktatur auferlegt hat.

Der Staatsstreich 1987: Wende zum Besseren?

Und dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen: Mit seinem "medizinischen Staatsstreich" vom 7. November 1987 (der vergreiste Präsident auf Lebenszeit, Habib Burgiba wurde unter Zuhilfenahme ärztlicher Gutachten wegen "Regierungsunfähigkeit" abgesetzt) hatte Zin el-Abdin Ben Ali, große Hoffnungen geweckt. Zu Ende schienen die Zeiten der politischen Sklerose, vorbei jene (den täglichen Gebetspflichten nachempfundenen) fünfmaligen Erscheinungen des vergreisten "obersten Kämpfers" (al-mudjahid al-akbar) im Staatsfernsehen, wo der mit weißem Schal und dicker Sonnenbrille vermummte Präsident wie von Geisterhand bewegt über den Bildschirm geschoben wurde und der ganze Staat nur noch für den Personenkult zu leben schien. 5.000 politische Gefangene wurden freigelassen, ein Aufatmen ging durch das Land voller Hoffnung auf eine neue Ära der Freiheit, des Pluralismus, der neuen Entfaltungsmöglichkeiten für dieses lebensfrohe Volk, das mit Abstand den höchsten Bildungsstand in der arabischen Welt besitzt. Das Präsidentenamt auf Lebenszeit wurde ebenso abgeschafft wie der Staatssicherheitsgerichtshof. Neben den gerade noch tolerierten drei "legalen" Oppositionsparteien konstituierten sich drei weitere, und selbst das islamistische MIT (mouvement de la tendance islamique) war, obwohl nicht legalisiert, an der Ausarbeitung eines "Nationalpakts" beteiligt, der ein Jahr nach dem Putsch zum Jahrestag des 7. November feierlich verabschiedet wurde.

Bei den Präsidentschaftswahlen vom 2. April 1989 erhielt Ben Ali als einziger Kandidat 99,27 % der Stimmen. Die Überraschung brachten allerdings die Parlamentswahlen. Zwar erhielt die in RDC (Rassemblement Constitutionnel Démocratique) umbenannte alte Staatspartei PSD (Parti Socialiste Destourien) dank des Wahlmodus (absolute Mehrheitswahl) alle 141 Parlamentssitze, die legalen Oppositionsparteien blieben alle weit unter fünf Prozent. Jedoch erreichten "unabhängige" Kandidaten, fast alles Anhänger der Islamisten, landesweit 14 %, in den Vorstädten der Großstädte bis zu 25 %. Von der Tolerierung wechselte das Regime nun zu wachsender Repression und zu Massenverhaftungen. Der überwältigende Wahlsieg der Islamischen Heilsfront (FIS) bei den Kommunalwahlen im Juni1990 in Algerien und ihre durch den Militärputsch in Algier verhinderte Machtübernahme nach den dortigen Parlamentswahlen im Januar 1992 versetzten anscheinend das Regime in Panik und waren zugleich willkommener Anlaß, die Repression weiter zu verschärfen, obwohl offenkundig war, daß die Islamisten bei freien Wahlen kaum Chancen hatten, nennenswert über die 20 %-Marke hinauszukommen. Die Proteste der tunesischen Menschenrechtsliga gegen die Massenverhaftungen, die Systematisierung der Folter, die unfairen Prozesse veranlaßten das Regime zur Auflösung dieser Organisation.

Islamistische Gefahr?

Der Verweis auf eine drohende islamistische Gefahr, insbesondere mit Blick auf die Entwicklung in Algerien, entbehrt bei näherem Hinsehen jedoch jeder Grundlage: Schon vor der Kolonisation hatten sich in Tunesien territorial definierte Staatlichkeit und Nationalbewußtsein entwickelt, bereits 1861, also 20 Jahre vor der Kolonisation, gab sich das Land eine Verfassung, in der bürgerliche Grundrechte festgeschrieben wurden. Als Protektorat behielt der tunesische Staat die Kontrolle über Teile der Verwaltung und des Erziehungswesens, Arabisch blieb selbstverständlich Nationalsprache, auch wenn dem Französischen eine herausragende Rolle eingeräumt wurde, wie sich dies in der Gründung des zweisprachigen Collčge Sadiki im Jahre 1975, also sechs Jahre vor der Kolonisation, zeigte. Diese historischen Ausgangsbedingungen sind nicht mit Algerien zu vergleichen, das als rechtlicher Bestandteil des Mutterlandes betrachtet wurde, wo der Unterricht des arabischen in den Schulen verboten war, die algerischen Muslime aber aufgrund der Unterwerfung unter das statut muslman ihrer Bürgerrechte beraubt blieben und wo ein brutale Siedlungskolonisation die Entstehung von Mittelschichten verhinderte. In Tunesien dagegen "investierten" sowohl das Bürgertum wie die im Keim vorhandenen Mittelschichten in die Ausbildung ihrer Kinder. Die 1933 gegründete nationalistische Neo-Destour-Partei, die sich von der 1920 gegründeten Destour-Partei abgespalten hatte, war im wesentlichen getragen von aus der Mittelschicht stammenden Intellektuellen. Bereits in den zwanziger Jahren entstand eine bemerkenswert starke und kämpferische nationalistische Gewerkschaft, in deren Führung die Intelligenz immer stark vertreten war.

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund und angesichts der bemerkenswerten wirtschaftlichen Erfolge Tunesiens, gerade seit der Machtübernahme Ben Alis, ist es nicht verwunderlich, daß über 80% der Bevölkerung Tunesiens der Mittelschicht zugerechnet werden, nur 6% leben in absoluter Armut, eine für die übrigen arabischen Länder (von den Petro-Despotien abgesehen) kaum vorstellbare Zahl. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei durchschnittlich 2000 US $ und damit weit über dem Durchschnitt der Länder des Maghreb. Damit wären beste Voraussetzungen für eine friedliche soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklung gegeben, zumal Mittelschichten sich immer als die Träger politischer Kompromisse erwiesen haben. Zu diesem Tableau muß die Tatsache hinzugefügt werden, daß es, wiederum im Gegensatz zu Algerien, im praktisch zu 100% arabisierten Tunesien keine ethnischen Gegensatz zwischen Berbern und Arabern gibt, geschweige denn mußte das Arabische mit staatlichen Zwangsmaßnahmen "revitalisiert" werden.

Während der letzten zehn Jahre verzeichnete Tunesien ein kontinuierliches wirtschaftliches Wachstum von jährlich rd. 4%. Lobend stellt das Bundesministerium für Wirtschaft fest: "Tunesiens Wirtschaft wird auch 1998 und 1999 weiter wachsen und damit eine in Nordafrika einmalige Erfolgsgeschichte fortsetzen, die auf ein Dutzend Jahre ununterbrochener Expansion verweisen kann. Zeiten krisenhafter wirtschaftlicher Entwicklungen, wie sie die "Emerging Markets" in anderen Regionen der Weilt heimgesucht haben, sind in Tunesien nicht absehbar. Auch bleiben die politischen Rahmenbedingungen in kurz- und mittelfristiger Perspektive stabil." Trotz Liberalisierung einerseits, trotz der Bildung von "Freien Produktionszonen", in denen ausländisches Kapital "Lohnveredelung" betreibt, was die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Betriebe erheblich behindert, blieben andrerseits soziale Errungenschaften aus den Zeiten der linkssozialdemokratischen Ära Ahmed Ben Salahs (1962 bis 1970) erhalten: Schulbildung und medizinische Grundversorgung sind nach wie vor kostenlos, Grundnahrungsmittel wie Brot werden subventioniert.

Die Auslandsverschuldung hält sich mit knapp 11 Mrd. tunesischen Dinar noch in handhabbaren Grenzen, die Schuldendienstrate konnte von 17,6% in 1995 auf 16,4% in 1997 gesenkt werden. Zwar wurden auch in Tunesien kleinere Vorkommen von Erdgas und Erdöl entdeckt, und die Erdgasförderung wuchs in den Jahren 1998 und 1999 in zweistelligen Raten. Dennoch hält sich der Export dieses Rohstoffs gesamtwirtschaftlich in engen Grenzen: Die Einnahmen aus dem Kohlenwasserstoffexport belaufen sich auf weniger als zehn Prozent der gesamten Exporteinnahmen. Damit entgeht Tunesien dem Fluch der Rente (zum Vergleich: 98 % der Staatseinnahmen Algeriens stammen aus dem Kohlenwasserstoffexport), der sich geradezu vernichtend auf die Entwicklung einer einheimischen produktiven Ökonomie auswirkt, da die Deviseneinnahmen die Sicherung der Grundbedürfnisse ohne eigene Produktivität ermöglichen und zusätzlich das Entstehen korrupter Strukturen befördern.

Kooperation mit der EU: Chancen und Risiken

Als erstes "Mittelmeer-Drittland" (MDL) hat Tunesien am 1.3.1998 mit der EU ein sogenanntes Europa-Mittelmeerabkommen in Kraft gesetzt, das binnen zwölf Jahren zur vollständigen Verwirklichung einer Freihandelszone mit der EU führen soll. Ausgenommen bleiben, aufgrund des Drucks der europäischen Agrarlobby, die Agrarprodukte, was eine schwere Behinderung für die Exportwirtschaft der MDL darstellt. Hinzu kommt der Anpassungsdruck an den europäischen Markt und die beschränkte Konkurrenzfähigkeit gerade der - im Vergleich zu den privilegierten ausländischen Lohnveredelungsbetrieben ohnehin benachteiligten - tunesischen Firmen, die der billigen Konkurrenz europäischer Massenprodukte oft nicht werden standhalten können. Ob das dadurch verursachte massenhafte Anwachsen der Arbeitslosigkeit durch neue Investitionen und die Schaffung zusätzlicher neuer Arbeitsplätze aufgefangen werden kann, bleibt mehr als zweifelhaft, da investitionswilliges Kapital nicht notwendigerweise jene relativ wenig qualifizierten Arbeitskräfte suchen wird, die in den niederkonkurrierten Betrieben freigesetzt werden.. Hier könnten soziale Verwerfungen entstehen, die auch politische Folgen haben könnten. Allerdings scheint das Regime diese Gefahr durch verstärkte Investitionen im Bildungsbereich kompensieren zu wollen: Auf eine Gesamtzahl von gut neun Mio. Einwohnern verfügt Tunesien mittlerweile über vier Universitäten, ein fünfte ist im Aufbau. Hinzu kommen zahlreiche Fachschulen und technische Lehreinrichtungen.

Insgesamt ist jedoch festzuhalten, daß Tunesien mit großem Abstand vor allen anderen Ländern der Region über wirtschaftliche, soziale, kulturelle und intellektuelle Voraussetzungen verfügt, die nicht nur die Perspektive zu weiterer sozio-ökonomischer Entwicklung eröffnen, sondern die auch geradezu zwingend nach politischer Öffnung und Liberalisierung verlangen: Ökonomische Liberalisierung kann nicht einhergehen mit wachsendem Autoritarismus und sich immer weiter verschärfender Repression, da diese Liberalisierung einerseits zu weiterer sozio-ökonomischer Differenzierung in der Gesellschaft, zur Entstehung neuer Widersprüche führt, die politisch von den innergesellschaftlichen Akteuren ausgetragen werden müssen, durch autoritäre Entscheidungen nicht regulierbar sind. Nicht zuletzt kommt hinzu, daß auch ausländisches Kapital ein sicheres Investitionsklima sucht, welches Rechtsstaatlichkeit und Transparenz voraussetzt, so sehr die "politische Stabilität" auch gelobt werden mag.

Nepotismus, Korruption und (Staats-)Kriminalität

Und unterhalb der offiziellen Zahlen über Wachstum und relativen Wohlstand zeigen sich die wahren Gründe des politischen Autoritarismus: Nepotismus und Korruption sind die zentralen Themen der alltäglichen Diskussion im Lande: Präsidentenclan und zentrale Figuren der Staatspartei bereichern sich immer hemmungsloser. Die Prozesse der Globalisierung und der Druck des Internationalen Währungsfonds auf weitere Privatisierungen werden genutzt, um profitabel Teile der noch in staatlicher Hand befindlichen Unternehmen zu verschachern, der Präsidentenclan schafft sich sein privates ökonomisches Imperium. Investoren, die sich nicht des Geflechts aus politischen Beziehungen und dunklen Machenschaften bedienen können, bleiben chancenlos.

Zur kriminellen Schattenseite des Regimes gehört auch die sogenannte couscous connection, eine Organisation, die kriminelle Gelder aus dem Drogenhandel unter dem Schutz des Diplomatenstatus transportierte. Als Kopf der Organisation wurde der Bruder des Präsidenten Habib Ben Ali, genannt Moncef, am 30 November 1992 von einem Pariser Gericht in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt - ein Akt der Majestätsbeleidigung, von dem sich die französisch-tunesischen Beziehungen bis heute nicht erholt haben. Und in aller Munde sind die "gefräßigen" Clans von Slim Chiboub (zugleich Präsident des Fußballclubs von Tunis-Stadt) und von Slim Zarrouk, den Schwiegersöhnen des Präsidenten und der Trabelsi-Clan, bestehend aus den elf Brüdern und Schwestern der zweiten Ehefrau des Präsidenten. Soweit der Gerüchteküche des Polizeistaats glaubhaft zu entnehmen ist, steht eine dritte Hochzeit des Präsidenten unmittelbar bevor, was die Entstehung eines weiteren Clans oder aber harte Auseinandersetzungen unter diesen absehbar werden läßt.

Doch Legitimität ist in Tunesien herstellbar: Am 24. Oktober 1999 ließ sich Ben Ali mit 99,44% der Stimmen für eine dritte Amtszeit von fünf Jahren wiederwählen. Wie und wo könnte es einen besseren Beweis für die Popularität eines Präsidenten geben? Doch: Wie stabil kann ein System sein, in dem willkürliche Verhaftungen an der Tagesordnung sind, wo systematisch mit den übelsten und grauenvollsten Methoden gefoltert wird? Die Formen der Repression haben in Tunesien eine Subtilität und Allgegenwart erreicht haben, die ihresgleichen suchen: Frauen werden gefoltert, um sie zur Scheidung von ihren politisch verfolgten Ehemännern zu zwingen. Kinder werden inhaftiert und gefoltert, um Geständnisse ihrer Eltern zu erpressen. Menschen werden verfolgt, weil sie die mittellose Familie eines wegen islamistischer Betätigung Inhaftierten Unterstützung zukommen lassen. Schüler und Studenten werden wegen z.T. lächerlicher Protestaktionen zu harten Gefängnisstrafen verurteilt. In diesem Falle verlieren sie lebenslänglich jeden Anspruch auf Fortsetzung ihrer Schulausbildung oder ihres Studiums. In jüngster Zeit mehren sich Hinweise auf dubiose Autounfälle politisch mißliebiger Personen und auf das Verschwinden von Kindern. Von einer Unabhängigkeit der Justiz kann längst keine Rede mehr sein. Wie perfekt das System auf allen Ebenen funktioniert, zeigt die Tatsache, daß Universitätsdozenten vor Beginn des Universitätsjahres zum 1. September die Skripte Ihrer Vorlesungen dem Innen(!)minister zur Genehmigung vorlegen müssen. Und da sie wissen, daß zumindest ein Agent dieses Ministeriums im Hörsaal sitzt und gesprochenes Wort und geschriebenen Text genauestens vergleicht, werden sie sich auch peinlich genau an den purgierten und genehmigten Text halten. Die Gründer des collčge sadiki dürften sich im Grabe drehen!

Das vielseitige Lob für den wirtschaftlichen Aufstieg Tunesiens und seine vielerseits gelobte politische Stabilität erhält so nicht nur einen bitteren Nachgeschmack. Es stellt sich nämlich die Frage, ob der zunehmende Nepotismus und die wachsende Korruption nicht auf dem besten Wege sind, das "tunesische Wunder" zu unterminieren. Noch viel schlimmer scheint es um die viel gelobte Stabilität bestellt: Ist sie nicht zunehmend eine auf tönernen Füßen stehende Fassade? Zeigt nicht gerade der Umfang der Spitzelei und der Repression, daß das Regime sich zunehmend unsicher fühlt, durch seine Willkürmaßnahmen erst die Wut im Volke schürt? Sicher können die schrecklichen Ereignisse in Algerien für das Regime ein willkommenes Argument liefern, um sich als vorderstes Bollwerk im Kampf gegen einen militanten Islamismus zu präsentieren, um gewissermaßen als Vorposten des Westens diesen vor der Gefahr islamistischer Militanz zu schützen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese ideologisch verbrämte Apologetik jedoch auch als Nebelwand, hinter der die eigenen korrupten Machenschaften versteckt werden. Unter diesen Bedingungen ist der Feststellung zuzustimmen, "...daß Begriffe wie ‚Terrorismus' relativ sind und sich leicht für die Kriminalisierung politischer Gegner mißbrauchen lassen. So können in autoritären Regimen damit auch Oppositionsgruppen kriminalisiert werden, gerade weil sie demokratische Ziele verfolgen."

Tunesien - ein bedauernswertes Land

Tunesien ist damit mehr als ein bedauernswertes Land, das diese Art von Regime, Terror und Unterdrückung nicht verdient hat, dessen zivilisierte Tradition durch diese Art der Unterdrückung und Brutalität zerstört werden könnte. Der Fall Tunesien und die aus kurzsichtigen politischen und ökonomischen Erwägungen gelobte "politische Stabilität" machen auch in extremer Weise die Doppelbödigkeit europäischer Politik deutlich: Immer wieder wird die Respektierung der Menschenrechte als Grundvoraussetzung für politische und Entwicklungszusammenarbeit eingefordert. Sie sollen Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der in Barcelona beschlossenen Bildung einer Europa-Mittelmeer-Partnerschaft sein. In der praktischen Politik scheint jedoch das unmittelbare Interesse an einer "Stabilität" zu dominieren, ganz gleich um welchen Preis sie erreicht wird. Wahlen, die jedes demokratischen Sinnes entleert sind, werden zum willkommenen Anlaß für die Unterstützung von Regimen herangezogen, die sich nur durch Terror gegen die eigene Bevölkerung an der Macht halten können. Genau durch solche Politik werden den radikalen Islamisten alle Argumente geliefert, deren sie für anti-westliche Agitation bedürfen: "Die turnusgemäße Veranstaltung von Wahlen unter den Bedingungen systematischer Manipulation, fehlender Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung mit dem Ziel, den tatsächlichen Volkswillen von der politischen Artikulation auszuschließen, erscheint dann als empirisch fundierte Bestätigung des von den Islamisten erhobenen Vorwurfs ‚Demokratie ist Volksbetrug'".
[Der Artikel von abdehaq tunsi erscheint demnächst in der Zeitschrift INAMO; auf Fußnoten und Quellenhinweise haben wir verzichtet; Zwischenüberschriften von uns]

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