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Wieder Tote in Tunesien

Zusammenstöße in der Stadt Kef / EU fror Konten des Ben-Ali-Clans ein

Auch drei Wochen nach dem Sturz des tunesischen Staatschefs Zine el Abidine Ben Ali bleibt die Lage in dem nordafrikanischen Land angespannt.

Am Wochenende wurden bei Protesten gegen den Polizeichef der Stadt Kef im Nordwesten Tunesiens mindestens vier Menschen getötet. Mitglieder des EU-Parlaments, die sich derzeit in Tunesien befinden, forderten eine Aufklärung des Vorfalls.

Hunderte Menschen hatten sich in Kef vor der Präfektur versammelt und forderten die Entlassung des dortigen Polizeichefs Khaled Ghazouani wegen Amtsmissbrauchs, wie Gewerkschaftsvertreter und die amtliche Nachrichtenagentur TAP berichteten.

Die Situation eskalierte, als der Polizeichef eine Demonstrantin ohrfeigte. Einwohner der Stadt zogen daraufhin zum Polizeihauptquartier und setzten es in Brand. Als Demonstranten auf Ghazouani Jagd machten, zog dieser nach Angaben eines Gewerkschaftsvertreters, Jamii el Rabhi, seine Waffe und schoss auf seine Verfolger. Zwei Menschen seien sofort gestorben. Polizisten hätten Warnschüsse abgegeben und Tränengas eingesetzt, um die Menschenmenge aufzulösen. Gewerkschaftsangaben zufolge starben später zwei schwer verletzte Demonstranten. Gewerkschaftsvertreter Abdelatif Bouguera sagte, es seien vier Menschen getötet und rund 15 weitere verletzt worden. Den Angaben zufolge wurde Ghazouani nach den Vorfällen festgenommen und nach Tunis gebracht. In seinem Haus seien Waffen und große Mengen Alkohol entdeckt worden, der vermutlich Schmuggelware sei, sagte Bouguera.

Der spanische EU-Parlamentarier José Ignacio Salafranca, Leiter einer Delegation von Parlamentariern, die in Tunesien weilt, sagte in Tunis, der Vorfall sei »besorgniserregend«. Die Schuldigen für den Tod von vier Menschen müssten ausgemacht und der Justiz übergeben werden.

Tunesien war Schauplatz wochenlanger heftiger Demonstrationen gegen die Regierung, in deren Folge der langjährige Staatschef Ben Ali am 14. Januar aus dem Land floh. Nach wie vor kommt es in dem Land immer wieder zu Protesten gegen Regierungsvertreter und Beamte. Am Freitag hatten Hunderte Demonstranten in der Stadt Sidi Bouzid, Ausgangspunkt der landesweiten Proteste, vor einer Polizeiwache demonstriert, nachdem zwei dort festgehaltene Menschen gestorben waren. Wegen des Vorfalls wurden laut TAP zwei Sicherheitsbeamte festgenommen.

Die tunesische Regierung verkürzte am Sonnabend (5. Feb.) die nächtliche Ausgangssperre um zwei Stunden. Wegen der »Verbesserung der Sicherheitslage im Land« gelte das Verbot fortan lediglich von Mitternacht bis vier Uhr morgens, teilten die Behörden mit.

Unterdessen kommen Tunesiens geflohener Ex-Machthaber Ben Ali und seine Familie in Europa nicht mehr an ihr Geld. Die EU hat die Konten von 48 Familienmitgliedern eingefroren. Sie macht den Ben-Ali-Clan »für die rechtswidrige Verwendung staatlicher Gelder Tunesiens verantwortlich«.

Die Namensliste der Mitglieder des Clans, deren Konten mit sofortiger Wirkung eingefroren sind, wurde am Wochenende im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Darunter sind Ben Ali selbst, seine Ehefrau Leila Trabelsi sowie Verwandte. Sie seien nicht nur für die Veruntreuung von Staatsgeldern verantwortlich, sondern hätten auch die Entwicklung der Demokratie in Tunesien untergraben. Grundlage ist ein Beschluss der Außenminister der 27 EU-Staaten von Ende Januar. Das Einfrieren umfasst neben Bargeld und Kontoguthaben auch Aktien und Bürgschaften, die in den Staaten der EU liegen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


In Algerien wächst der Widerstand **

Unter dem Eindruck der Ereignisse in Tunesien formiert sich auch im großen Nachbarland Algerien weiterer Widerstand gegen das herrschende System. Am Wochenende bestätigten Anhänger der Opposition eine für den 12. Februar geplante Demonstration in Algier für einen Sturz des Systems. Sie soll trotz des Versprechens von Präsident Abdelasis Bouteflika einer »baldigen« Abschaffung des seit 19 Jahren geltenden Ausnahmezustands stattfinden. Es gab in den vergangenen Wochen bereits Streiks und Demonstrationen sowie Selbstverbrennungen im Lande.

Algerische Sicherheitskräfte haben unterdessen im Südwesten des Landes offenbar 14 mutmaßliche Mitglieder des nordafrikanischen Al-Qaida-Ablegers Aqmi festgenommen, die Terroranschläge auf europäische Staaten vorbereitet haben sollen. Die Männer seien bereits im Dezember des vergangenen Jahres in der Region Batna etwa 450 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Algier aufgegriffen worden, berichtete die algerische Tageszeitung »Al Watan« am Sonntag unter Berufung auf Geheimdienstkreise. Unter den Festgenommenen befänden sich auch zwei Mauretanier.

** Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


Protest regt sich auch in Saudi-Arabien ***

Die Schockwellen, die der Aufstand in Ägypten durch die arabische Welt sendet, haben nun offenbar auch Saudi-Arabien erreicht. Vor allem Äußerungen des Muftis von Saudi-Arabien, Scheich Abdelasis al-Alscheich, sorgten am Wochenende für Unmut. Der Mufti hatte in einer Predigt in einer großen Moschee in der Hauptstadt Riad erklärt, hinter den Demonstrationen in Tunesien und Ägypten steckten »Feinde des Islams«, deren Ziel es sei, die arabischen und islamischen Staaten zu schwächen. Er appellierte deshalb an die Jugend von Saudi-Arabien, sich von diesen »Chaoten« nicht anstecken zu lassen. Im privaten Rahmen und in Internet-Foren übten daraufhin viele Saudis scharfe Kritik an Alscheich und verwiesen auf die hohe Arbeitslosigkeit, die Armut, die Wohnungsbaukrise und die Korruption.

In Riad protestierten Dutzende Familienangehörige von Inhaftierten vor dem Innenministerium und forderten die Freilassung der Häftlinge. Wie Augenzeugen berichteten, waren vor allem verschleierte Frauen unter den Demonstranten, aber auch Kinder und Männer waren zu sehen. In Saudi-Arabien sind öffentliche Demonstrationen eigentlich verboten.

*** Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


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