Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ben Alis Premier zum Rücktritt gezwungen

Tunesien: Nach tagelangen Massenprotesten nimmt Ghannouchi seinen Hut. Mindestens vier Menschen getötet *

Die tagelangen Proteste gegen Tunesiens Übergangsregierung hatten Erfolg: Am Sonntag (27. Feb.) erklärte deren Chef, Mohammed Ghannouchi, in Tunis seinen Rücktritt. Ghannouchi hatte bereits dem am 14. Januar gestürzten langjährigen Staatsoberhaupt Zine El Abidine Ben Ali über Jahre als Premier gedient. Bei den Demonstrationen kamen nach Behördenangaben mindestens vier Menschen ums Leben. Über 200 Demonstranten wurden verhaftet.

Seit Freitag (25. Feb.) hatten Zehntausende Menschen gegen Ghannouchi und sein Kabinett demonstriert. Am Sonntag, im direkten Vorfeld des Premierrücktritts, lieferten sich Demonstranten erneut Straßenschlachten mit der Polizei. Die meist jungen Leute griffen in der Hauptstadt mit Steinen Gebäude an und errichteten Barrikaden, wie Korrespondenten berichteten. Die Protestierenden skandierten Parolen und bewegten sich in Richtung Innenministerium. Die Polizei ging in gepanzerte Fahrzeugen mit Tränengas und Warnschüssen gegen die Demonstranten vor. Erstmals seit Ben Alis Sturz wurde die zentrale Bourguiba-Allee bis zum späten Sonntag abend für Fahrzeuge und Fußgänger gesperrt.

Bereits am Samstag war es zu heftigen Auseinandersetzungen in Tunis gekommen. Das Ministerium machte dabei »eine Gruppe von Aufrührern« für die Zusammenstöße verantwortlich. Diese hätten sich unter die friedlichen Demonstranten gemischt und die Gewalt provoziert. Für viele Tunesier verkörpert die Polizei nach wie vor die Unterdrückung durch Machthaber Ben Ali, der sich nach seinem Sturz nach Saudi-Arabien abgesetzt hatte.

Die Übergangsregierung hatte vage »Reformen und Wahlen« angekündigt. Die Demonstranten erklärten dazu, daß das nicht ausreiche. Dafür hätten sie nicht im Aufstand gegen Ben Ali ihr Leben riskiert. Sie forderten insbeosndere eine Verbesserung ihrer sozialen Lage, die von Armut, Arbeitslosigkeit und steigenden Lebenshaltungskosten geprägt ist.

(AFP/jW)

* Aus: junge Welt, 28. Februar 2011


Zurück zur Tunesien-Seite

Zurück zur Homepage