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Schüsse auf Chokri Belaïd

Linker tunesischer Oppositionspolitiker und Kritiker der Islamisten ermordet

Von Pepe Egger *

Chokri Belaïd war Generalsekretär der marxistischen »Bewegung der demokratischen Patrioten« und einer der Anführer der Volksfront zur Verteidigung der Revolution, eines Zusammenschlusses mehrerer linker Parteien und Gruppierungen. Als Anwalt und Oppositionspolitiker hatte Belaïd zuletzt scharfe Kritik an der moderat-islamischen Übergangsregierung der Partei Ennahda geübt und vor der zunehmenden politischen Gewalt gewarnt, für die er Ennahda verantwortlich machte.

Unmittelbar nach dem Attentat beschuldigte der Bruder Belaïds die Regierung und den Ennahda-Führer Rached Ghannouchi als Verantwortliche für die Tat. Schon wenige Stunden später kam es zu spontanen Kundgebungen mehrerer tausend Menschen vor dem Innenministerium in Tunis und in anderen Städten. In Mezzouna (Bezirk Sidi Bouzid) und in Gafsa setzten Demonstranten nach Angaben von AFP Ennahda-Parteilokale in Brand. In der Bezirkshauptstadt Sidi Bouzid, dem Ausgangspunkt der Revolution vor zwei Jahren, versuchten Demonstranten, Räumlichkeiten der Polizei zu stürmen; die Polizei feuerte mit Tränengasgranaten.

Sowohl Ministerpräsident Hamadi Jebali als auch Ghannouchi verurteilten das Attentat und warnten vor einer Eskalation der Gewalt. Dabei hatte Belaïd noch am Sonnabend im Radiosender Shems FM Mitglieder von Ennahda und salafistische Aktivisten beschuldigt, ihn und andere Mitglieder seiner Partei bei einer Kundgebung tätlich angegriffen zu haben. Bei der Eröffnung eines Kongresses der Bewegung der demokratischen Patrioten in Le Kef am selben Tag hatte eine Gruppe »Bärtiger« den Saal gestürmt und die Veranstaltung erheblich gestört.

Dass viele Beobachter hinter den noch unbekannten Tätern Islamisten vermuten, liegt auch daran, dass Belaïd durch seine Arbeit als Anwalt in der »Affäre Kazdaghli« zu einem prominenten Gegner der Salafisten geworden war. Er vertrat Habib Kazdaghli, den Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Manouba, vor Gericht. Dieser ist angeklagt, im Rahmen einer Auseinandersetzung über das Tragen des Gesichtsschleiers Niqab auf dem Universitätsgelände eine Studentin geohrfeigt zu haben.

Kazdaghli ist inzwischen ein Symbol des »Kulturkampfes« zwischen säkularen und islamistischen Kräften geworden, der einen Teil der politischen Auseinandersetzung im postrevolutionären Tunesien ausmacht.

Die Ermordung Belaïds markiert eine deutliche Verschärfung des politischen Klimas in Tunesien. Seit der Revolution, und zunehmend in den vergangenen Monaten, kam es zwar immer wieder zu Tätlichkeiten bei Kundgebungen und Schlägereien zwischen politischen Gruppen. Politische Attentate mit Schusswaffen allerdings hat es seit den 60er Jahren nicht mehr gegeben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 07. Februar 2013


Mord in Tunis

Chef von tunesischer Linkspartei erschossen. Proteste in zahlreichen Städten **

In Tunesien ist am Mittwoch der Generalsekretär der linksgerichteten »Bewegung der patriotischen Demokraten«, Chokri Belaïd, ermordet worden. Der 48jährige sei beim Verlassen seines Wohnhauses in der Hauptstadt Tunis durch zwei Kugeln tödlich getroffen worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TAP. Auch der Vorsitzende der Partei, Mohamed Jmour, bestätigte den Tod seines Mitstreiters. Dieser sei von »Profikillern« erschossen worden.

Die Hintermänner des Attentats und das Motiv für die Tat waren zunächst unklar. Die Partei ist Teil der oppositionellen Volksfront, die sich gegen die von der islamistisch orientierten Ennahada geführte Regierung positioniert. Belaïd galt als einer der prominentesten Regierungsgegner und hatte dem Kabinett vorgeworfen, eine Marionette des Golfstaats Katar zu sein. Erst am Dienstag hatte Belaïd TAP zufolge bei einer Pressekonferenz die Einberufung einer nationalen Konferenz gegen die Gewalt vorgeschlagen, an der alle Parteien teilnehmen sollten. Die in den vergangenen Monaten eskalierten Auseinandersetzungen seien »das Ergebnis der Regierungskrise und der Konflikte innerhalb der Ennahada-Bewegung«, sagte er dabei.

Tunesiens Ministerpräsident Hamadi Jebali verurteilte den Mord an seinem Gegner. Staatschef Moncef Marzouki sagte einen Besuch in der ägyptischen Hauptstadt Kairo ab und reiste zurück nach Tunis. Trotzdem bezichtigten Anhänger des Getöteten die Regierung, hinter dem Verbrechen zu stehen. Noch am Mittwoch versammelten sich mehr als 1000 Demonstranten vor dem Innenministerium in Tunis, um gegen die »politisch motivierte Hinrichtung« zu protestierten, wie der Sender France 24 berichtete. Zudem versammelten sich zahlreiche Trauernde vor dem Krankenhaus, in das der Leichnam gebracht worden war. In den Städten Mezzouna und Gafsa wurden Büros der regierenden Ennahada-Partei in Brand gesetzt und verwüstet.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Februar 2013


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