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Erneuerer: Hamadi Jébali

Der Ingenieur und Verleger soll Ministerpräsident Tunesiens werden *

Der Mann ist 62 und strahlt Gelassenheit und Würde aus. Sie entspringen seiner Lebensleistung und haben einer Mehrheit in Tunesien bei den Wahlen vor einem Monat das Gefühl gegeben, dass sie diesem Mann vertrauen können.

Hamadi Jébali (eigentlich arabisch al-Jibali) ist seit zehn Monaten das Aushängeschild der religiösen Bewegung Ennahda (arabisch: die Wiedergeburt), der haushohen Gewinnerin des Urnengangs. Dabei ist Jébali kein Berufspolitiker.

Im Gegenteil. Er verfügt über der Menschheit nützliche Fähigkeiten. An der Universität Tunis erwarb er einst ein Ingenieursdiplom, veredelte dieses anschließend in Paris mit Studien u. a. über Solartechnik. Zurück in Tunesien gehörte er zu den Pionieren der Branche Erneuerbare Energien in seinem Land. Jébali war aber auch Publizist, und das hat ihn geradezu gezwungen, sich mit der Politik in seinem Staat auseinanderzusetzen.

Seine Geradlinigkeit und Unerschrockenheit führten ihn geradewegs ins Gefängnis, denn in Fragen der Legitimität seiner Macht kannte der vor allem bei europäischen Sozialdemokraten während seiner Amtszeit so beliebte Präsident Ben Ali kein Pardon. Als Chefredakteur der religiösen Zeitschrift »Al-Fajr« (die Morgenröte) ließ Jébali 1990 in einem Beitrag fragen: »Wann werden die Militärgerichte in Tunesien abgeschafft?« Der Staat antwortete umgehend und verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis wegen Beleidigung der Justiz, begnügte sich damit aber nicht damit.

1992 wurden Hunderte Intellektuelle unter der Beschuldigung verhaftet, einen – heute würde es heißen – islamistischen Staatsstreich vorbereitet zu haben. Trotz fehlender Beweise hagelte es hohe Strafen. Auch für Jébali. Er erhielt 16 Jahre wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation.

Mehrfach trat er in den Hungerstreik, einmal für 36 Tage, kam aber erst 2006 durch eine Amnestie frei. Nun will der angebliche Islamist den Staat erneuern, aber nicht in allem. Für deutsche Touristen hatte er am Montag die tröstliche Mitteilung, dass es mit ihm auch künftig in Tunesien weder Kopftuchzwang noch Alkoholoder Bikiniverbot geben werde.

Roland Etzel

* Aus. neues deutschland, 24. November 2011


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