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Spaltender Kandidat

Türkei: Kemalistische und faschistische Opposition mit gemeinsamem Präsidentschaftsanwärter

Von Nick Brauns *

Die beiden größten türkischen Oppositionsparteien wollen bei der Wahl zum türkischen Staatspräsidenten im August die regierende islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) mit einem gemeinsamen Kandidaten schlagen. Zu Wochenbeginn einigten sich die kemalistisch-sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP) und die faschistische Partei der Nationalen Bewegung (MHP) – besser bekannt als Graue Wölfe – auf den Wissenschaftshistoriker und Diplomaten Ekmeleddin Ihsanoglu als gemeinsamen Kandidaten. Der parteipolitisch nicht gebundene 70jährige Ihsanoglu, dessen Fachgebiet das Osmanische Reich ist, hatte die Türkei bis Jahresbeginn an der Spitze der aus 57 Staaten gebildeten Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) vertreten. Für diesen Posten war er 2004 von der AKP nominiert worden. Dort fiel er allerdings wegen seines Schweigens zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär im Sommer vergangenen Jahres in Ungnade.

Es wird davon ausgegangen, daß Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan für die Regierungspartei als Präsidentschaftskandidat bei der ersten Direktwahl des Staatsoberhauptes durch das Volk am 10. August antritt. Allerdings hat Erdogan seine Kandidatur bislang noch nicht offiziell bekanntgegeben, wohl weil er dann das Amt des AKP-Vorsitzenden niederlegen müßte. Mit der Nominierung des konservativen Moslems Ihsanoglu – eines Absolventen der islamischen Al-Azhar-Universität in Kairo – zielt die CHP-MHP-Koalition auf Wähler des religiös-konservativen Spektrums. Bereits bei den Kommunalwahlen im März hatte die CHP in Istanbul und Ankara mit konservativen und religiösen Kandidaten vergeblich versucht, die AKP zu schlagen. Innerhalb der CHP stößt die Nominierung Ihsanoglus auf Kritik sowohl des sozialdemokratischen wie des kemalistischen Parteiflügels. So sprach die Istanbuler Abgeordnete Nur Serter, eine Vertreterin des kemalistischen Parteiflügels, der für eine klare Trennung von Religion und Staat eintritt, von einem »Dolchstoß in das Herz der CHP«. Der CHP-Abgeordnete Hüseyin Aygün aus der alevitisch-kurdischen Provinz Tunceli (Dersim) twitterte, er habe sich einen »linken Kandidaten« gewünscht.

Bei einem Treffen zwischen dem CHP-Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu und der Spitze der aus sozialistischen und kurdischen Parteien gebildeten Demokratischen Partei der Völker (HDP) hatte die HDP-Führung in der vergangenen Woche ihre Bereitschaft erklärt, im zweiten Wahlgang einen CHP-Kandidaten zu unterstützen, wenn dieser für demokratische Freiheiten und eine Lösung der kurdischen Frage einträte. Insbesondere von der alevitischen Minderheit in der Türkei, die traditionell die CHP oder die pro-kurdischen Parteien unterstützt, war diese Ankündigung gefeiert worden. Es sei schwierig, einen von der MHP getragenen Kandidaten zu unterstützen, stellte jetzt die Kovorsitzende der HDP-Fraktion Pervin Buldan diese Entscheidung in Frage. Für den ersten Wahlgang will die HDP einen eigenen Kandidaten aufstellen. Da so eine notwendige absolute Mehrheit eines der Anwärter im ersten Wahlgang kaum möglich ist, käme den kurdischen Wählern die Rolle des Königsmachers in einer Stichwahl am 24. August zu.

Ankündigungen aus der AKP, den ins Stocken geratenen Friedensprozeß mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) voranzutreiben, zielen auf die kurdischen Wähler. Die PKK fordere nun konkrete Gesetzesinitiativen noch vor der parlamentarischen Sommerpause, einen Stopp des Baus neuer Militärstützpunkte und die Freilassung kranker politischer Gefangener, berichtete die HDP-Politikern Pervin Buldan am Montag nach einem Treffen mit der PKK-Führung in den nord­irakischen Kandil-Bergen. Daß die Regierung es ernst meint, ist an ihren Taten jedoch kaum zu erkennen. Eine Woche nach dem Tod von zwei Demonstranten durch Polizeischüsse nahe der kurdischen Stadt Lice erschossen Beamte am Sonntag in Adana erneut einen kurdischen Jugendlichen. »Wir gehen Vögel schießen«, hatten die Polizisten vor ihrem Angriff auf eine HDP-Kundgebung gerufen. Zehntausende Menschen gaben am Montag dem 15jährigen Ibrahim Aras das letzte Geleit. Am Dienstag griff die Polizei das Kondolenzzelt für Aras an, dabei wurden Warnschüsse abgegeben.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juni 2014


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