Erdogans Anruf und die Dollars im Schuhkarton
Der türkische Ministerpräsident bezeichnet einen belastenden Telefonmitschnitt als »dreckiges Komplott«
Von Jan Keetman *
Die türkische Regierung hat belastende Mitschnitte von Telefonaten zwischen Ministerpräsident Erdogan und seinem Sohn Bilal als Fälschung und »dreckiges Komplott« zurückgewiesen.
Nach der Verabschiedung des neuen Internetgesetzes vor wenigen Tagen glaubte sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan endlich sicher. So sicher, dass er schon seinen Sieg über die Gülen-Bewegung ausrief, die dem Premier seit Dezember mit der Verbreitung von Korruptionsvorwürfen und entsprechenden Dokumenten unter anderem via Internet schwer zugesetzt hatte. Doch Erdogan irrte, am Montagabend erschienen auf YouTube Mitschnitte von Telefongesprächen, die, wenn echt, alles Bisherige in den Schatten stellen.
Die Aufnahmen sollen vom 17. und 18. Dezember stammen. Am 17. Dezember hatten Staatsanwälte, von denen angenommen wird, dass sie zu den Anhängern des im Exil in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen gehören, mit Hausdurchsuchungen und Festnahmen wegen Korruptionsverdachts im Regierungsumfeld begonnen. Demnach rief der Ministerpräsident an jenem Tag seinen Sohn Bilal an und bedeutete ihm, das in mehreren Häusern gelagerte Geld wegzubringen.
Bilals Stimme ist gut zu hören, während die bekanntere Stimme seines Vaters leiser und mit Knistern kommt, wie die Stimme von jemandem, der absichtlich gedämpft oder auch durch ein Tuch spricht. Tayyip Erdogan macht seinen Sohn auch darauf aufmerksam, nicht zu viel am Telefon zu sprechen. Dieser hat offenbar Schwierigkeiten, so viel Geld verschwinden zu lassen. Am Abend, erfährt man, hat er noch umgerechnet 30 Millionen Euro im Haus. Man einigt sich, das Geld zwei befreundeten Geschäftsleuten zu geben.
Erdogan hat dementieren lassen, dass es derartige Gespräche gegeben habe. Der angebliche Mitschnitt sei eine Montage, hieß es kurze Zeit nach der Veröffentlichung auf der Webseite seines Amtes. Am Dienstagmorgen war das Video technisch nicht mehr zu erreichen.
Anders sieht es die größte Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei (CHP). Nach einer Krisensitzung der Parteispitze noch in der Nacht forderte der stellvertretende Vorsitzende der CHP Haluk Koc den Rücktritt der Regierung aufgrund der Korruptionsskandale.
Die angeblichen Anrufe bei seinem Sohn sind nicht die einzigen Tonaufzeichnungen, die dem Ministerpräsidenten in letzter Zeit Ärger bereiten. Im Juni 2013, während die Kämpfe mit den Demonstranten um den Gezi-Park in Istanbul tobten, besuchte Erdogan Marokko. Dort, so erfährt man, schaltet er das türkische Fernsehen ein und sieht, dass im Videotext Zitate aus einer Rede des Oppositionspolitikers Devlet Bahceli erscheinen. Erdogan greift zum Telefon und beschwert sich bei dem Sender, wo man für seinen Anruf viel Verständnis hat. Einige Monate später wiederholt sich das bei einem anderen Fernsehkanal. Bei dessen Besitzer beschwerte sich Erdogan darüber, dass eine Nachricht über den Bürgermeisterkandidaten der Opposition in Istanbul verbreitet wurde. Der Angerufene spricht danach von einer »Montage«, während Erdogan sich lediglich darüber beschwert, dass »tägliche Routinetelefongespräche« abgehört werden.
Nun ist Erdogan wieder zur Taktik zurückgekehrt, sich einerseits darüber zu beklagen, dass selbst die Telefonate mit seiner Familie abgehört werden, andererseits aber den Inhalt der Gespräche zu dementieren.
Vielleicht wird sich alles am Ende als ganz harmlos herausstellen, so wie beim Direktor der staatlichen Halkbank, Süleyman Arslan. Dessen Haus wurde just zur selben Zeit, da das erste Telefongespräch zwischen Bilal und Tayyip Erdogan stattgefunden haben soll, durchsucht. Dabei fanden sich 4,5 Millionen Dollar, in Schuhkartons verstaut. Wie die Zeitung »Hürriyet« am Dienstag unter Berufung auf Abgeordnete von Erdogans Partei schrieb, habe Arslan das Geld lediglich »für wohltätige Zwecke« aufbewahrt. Es sei für eine Koranschule und eine Universität bestimmt gewesen. Glaubt man dieser Version, hieße das allerdings im Umkehrschluss, dass es nicht möglich ist, bei der Halkbank ein legales Spendenkonto einzurichten.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Februar 2014
Gülen hört mit
Türkei: Telefongespräche von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan belauscht
Von Nick Brauns **
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist im derzeitigen Korruptionsskandal durch am Montag im Internet veröffentlichte Mitschnitte von Gesprächen mit seinem Sohn Bilal weiter unter Druck geraten. Die abgehörten Telefonate, in denen der Regierungschef seinen Sohn aufgefordert haben soll, gemeinsam mit Verwandten Schwarzgeld in Sicherheit zu bringen, führte Erdogan am 17. Dezember 2013. Damals waren Dutzende Politiker der Regierungspartei AKP und Geschäftsleute einschließlich der Söhne von drei Ministern unter Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Der ebenfalls in Verdacht geratene Bilal Erdogan war daraufhin ins Ausland abgetaucht, hat sich aber zwischenzeitlich der Staatsanwaltschaft gestellt.
Das Büro des Ministerpräsidenten bezeichnete die Abhörbänder dagegen nach einem Krisentreffen Erdogans mit Geheimdienstchef Hakan Fidan als Fälschung und »Produkt einer Montage«. »Diejenigen, die einen dreckigen Putsch gegen den Ministerpräsidenten begonnen haben«, würden vor Gericht zur Rechenschaft gezogen. Gemeint sind damit offenbar die lange mit der AKP verbündeten, ihr aber nun im Kampf um Posten und Pfründe gegenüberstehenden Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen. Dieser soll nach Erdogans Überzeugung in Justiz und Polizei einen »Parallelstaat« errichtet haben.
Schon kurz vor der Veröffentlichung der Telefonmitschnitte hatten die regierungsnahen Tageszeitungen Star und Yeni Safak gemeldet, daß die Polizei Tausende Bürger einschließlich des Ministerpräsidenten und des Geheimdienstchefs, Politiker verschiedener Parteien, Journalisten, Geschäftsleute, Künstler und Wissenschaftler abgehört habe. Protokolle darüber seien in der Istanbuler Staatsanwaltschaft gefunden worden, nachdem die bislang dort tätigen Beamten versetzt worden waren. Vizeministerpräsident Bülent Arinc bestätigte, daß 107 Akten mit 2280 abgehörten Telefonnummern sichergestellt worden seien. Der Lauschangriff soll 2011 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen eine »Selam-Terrororganisation« eingeleitet worden sein. Der frühere Staatsanwalt mit Sondervollmachten Adnan Cimen bestätigte zwar gegenüber der Presse die Existenz eines solchen Ermittlungsverfahrens. Doch seien die genannten Personen weder in das Verfahren verwickelt gewesen noch abgehört worden.
Erdogan ist offenbar entschlossen, gegen den »Parallelstaat« der Gülenisten und gegen erneut drohende soziale Proteste auf den Aufbau eines starken Staates zu setzen. Seit Dezember wurden über 4000 Gülen-nahe Polizisten und Juristen im ganzen Land versetzt und die Kontrolle des zuständigen Ministeriums über die Justizbehörden gestärkt. Ein Gesetz zur weitreichenden Internetzensur wurde verabschiedet – und eine Gegendemonstration am Istanbuler Taksim-Platz mit Wasserwerfern und Gasgranaten auseinandergetrieben. Bis zu den Kommunalwahlen Ende März hat die Polizei in der Istanbuler Innenstadt nun Sondervollmachten zur Kontrolle und Ingewahrsamnahme von Protestierenden erhalten.
Mit einem nun vorgelegten Gesetzentwurf zur Stärkung des Nachrichtendienstes MIT will sich Erdogan nach Meinung der Opposition seinen Privatgeheimdienst schaffen. Dadurch würden die Agenten nahezu unantastbar für die Strafverfolgungsbehörden. Zudem dürfte der MIT direkte Gespräche mit als terroristisch geltenden Organisationen führen. Das würde dem Geheimdienst einerseits den Rücken bei Friedensgesprächen mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) stärken. Doch auch die Hilfe für in Syrien kämpfende Al-Qaida-Gruppen könnte so rechtlich abgesichert werden, nachdem in den letzten Monaten mehrere dieser Waffentransporte des Geheimdienstes von der Polizei gestoppt worden waren
** Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. Februar 2014
Die Republik Erdogan
Roland Etzel zu einem Telefongespräch des türkischen Premiers ***
Hat der türkische Ministerpräsident seinem Sohn geholfen, Schwarzgeld auf die Seite zu bringen? Nein sagt oder besser: brüllt vor allem Erdogan sen. Damit ist die Causa um die versteckten Schuhkartons voller Dollar von Erdogan jun. möglicherweise schon abgeschlossen.
Zwar könnte man die Sache juristisch untersuchen, aber wer sollte das tun? Wer wird sich im Interesse der Wahrheitsfindung opfern und bescheiden auf eine eventuelle Rehabilitierung am St. Nimmerleinstag hoffen? Denn wer das in Rede stehenden Telefonat der Erdogans nicht von vornherein zur Fälschung erklärt, hat damit wohl sein Karriereende verkündet. Erdogan sen. erklärt jeglichen Verdacht gegen sich zum »Angriff gegen die Türkei und ihren Ministerpräsidenten«. Mehr als 2000 Polizisten und Justizangehörige, die seit der Razzia gegen korrupte Ministersöhne im Dezember auf Anordnung Erdogans entlassen wurden, wissen bereits, wie sehr er sich als eins mit der Türkischen Republik betrachtet und gegenüber Zweiflern unnachsichtig ist.
Vor drei Wochen gab die Bundeskanzlerin Erdogan in Berlin Gelegenheit, vor Tausenden von Landsleuten des langen und des breiten vom »kriminellen Putsch der Justiz« gegen ihn in der Türkei zu schwadronieren. Deshalb ist das zweifelhafte politische Selbstverständnis dieses Mannes nicht nicht nur eine türkische, sondern auch eine deutsche Peinlichkeit.
*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Februar 2014 (Kommentar)
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