Verfassung der Türkei soll reformiert werden
Regierungspartei AKP will auch im eigenen Interesse Parteienverbote erschweren
Von Jan Keetman *
Mit einer Änderung der türkischen Verfassung will die islamisch-konservative Regierungspartei AKP
unter anderem Parteienverbote erschweren.
Parteienverbote sind in der Türkei eher die Regel als die Ausnahme. Seit der Gründung des
türkischen Verfassungsgerichtes Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hat das
Gericht im Schnitt alle zwei Jahre eine Partei verboten. Erst im Dezember wurde eine größere
kurdische Partei für illegal erklärt und selbst die im Jahre 2001 gegründete AKP des
Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan hat schon zwei Verbotsverfahren nur knapp überstanden.
Künftig soll ein Verbotsverfahren nur dann zulässig sein, wenn ein Ausschuss des Parlaments, in
den jede Fraktion fünf Parlamentarier entsendet, zugestimmt hat. Mit der Verfassungsänderung
sollen auch die Beamten gewerkschaftliche Rechte erhalten. Außerdem soll ein Paragraf
aufgehoben werden, mit dem sich die Junta, die das Land nach dem Militärputsch von 1980 bis
1983 regierte, selbst vor Strafverfolgung geschützt hat. Zudem wird die Möglichkeit erweitert,
Soldaten vor einem zivilen Gericht anzuklagen.
Andererseits sollen Entscheidungen des Hohen Militärrates (YAS) künftig gerichtlich anfechtbar sein.
Der YAS ist dafür bekannt, dass er jedes Jahr Dutzende von Offizieren wegen angeblicher
islamistischer Tendenzen aus den Streitkräften ausschließt.
Komplizierte neue Regelungen sollen für die Ernennung von Verfassungsrichtern und die Besetzung
eines Ausschusses von Richtern und Staatsanwälten gelten, der für Beförderungen, Zuständigkeiten
und Versetzungen im Justizapparat verantwortlich ist. In diesen Bestimmungen mag sogar der
Hauptzweck der Reform verborgen liegen, sie sind aber recht undurchsichtig und dies wohl auch
deshalb, weil die Regierung, den Vorwurf fürchtet, ihr ginge es um eine Einschränkung der
Unabhängigkeit der Justiz.
Der stellvertretende Ministerpräsident Cemil Cicek hielt es denn auch für notwendig, ausdrücklich zu
erklären, dass es der Regierung nicht um eine Stärkung ihrer Position, sondern um eine
funktionierende Demokratie gehe. Die Verfassungsänderungen sind laut Cicek auch wegen der
Annäherung an die EU notwendig.
Die Regierung will in Gesprächen mit der Opposition für Unterstützung werben und ist laut Cicek zu
Veränderungen des Entwurfs bereit. Nicht eingehen wird sie wohl auf die Forderung der
kemalistischen CHP über die einzelnen Punkte des Entwurfes, insbesondere über die Straffreiheit
der Putschisten gesondert abzustimmen. Die Vereinigung von Forderungen
der Opposition mit Anliegen der Regierung in einem Paket haben Sprecher der CHP schon vor dem
Bekanntwerden des genauen Wortlautes als »spitzbübisch« bezeichnet.
Ebenfalls nicht berücksichtigt wurde die Forderung der kurdischen Opposition, die Zehn-ProzentHürde
für den Einzug ins Parlament zu senken. Da eine Einigung der Opposition über das Paket
unwahrscheinlich ist, wird die Regierung wohl versuchen, die Verfassungsänderung mit einem
Referendum absegnen zu lassen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich das Verfassungsgericht
einschaltet, zum Beispiel weil es die Gewaltenteilung bedroht sieht. Dies könnte zu einer erneuten
Konfrontation zwischen Regierung und Justiz mit ungewissem Ausgang führen.
* Aus: Neues Deutschland, 24. März 2010
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