Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Staatliche Blockaden bei Hilfsarbeiten und Berichterstattung nach dem Erdbeben / Spendenaufruf

Pressemitteilung verschiedener kurdischer Vereine in Deutschland zur Lage in der Region Van nach dem Erdbeben vom 23. Oktober 2011

Am Sonntag (23. Okt.) erschütterte ein schweres Erdbeben die Region Van, welche in den kurdischen Landesteilen im Osten der Türkei liegt. Mit der ausgewiesenen Stärke 7,2 auf der Richterskala ist das Beben mit dem aus dem Jahre 2010 auf Haiti vergleichbar. Bisher konnten lediglich knapp 400 Tote geborgen werden, Schätzungen gehen von 1.000 zu erwartenden Toten aus. Zahlreiche Menschen werden noch vermisst, unzählige sind auf einen Schlag obdachlos geworden.

Die Berichterstattung über die Hilfsarbeiten nach dem Erdbeben ist durchaus widersprüchlich. Selbst staatliche Stellen dementieren die offizielle Darstellung des Krisenstabes, der AKP-Regierung und des türkischen Roten Halbmondes, die behaupten Rettungskräfte würden in genügendem Maße vor Ort arbeiten, um Überlebende zu bergen, und die Versorgung der Betroffenen wäre ausreichend. Der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Van, Abdurrahman Bogan, gab auf Anfrage an, dass die Lage der Menschen in der Region katastrophal sei. Ein Großteil der nach dem Erdbeben Obdachlosen hätte die zweite Nacht in Folge auf offener Straße übernachten müssen, bei Regen und Kälte. Es fehle an allem: Rettungskräfte, Bergungsausrüstung, Decken, Zelte, Kleidung, Medikamente und Lebensmittel – vor allem Baby-Nahrung. In viele Dörfer der bergigen Region, die überwiegend von KurdInnen bewohnt wird, sei noch gar keine Hilfe vorgedrungen.

Dabei wird Hilfe aus dem Ausland konsequent von den türkischen Behörden der Zentralregierung abgelehnt. Ein deutsches Rettungsteam wurde bereits am Sonntag von der zuständigen türkischen Katastrophenschutzbehörde zurückgewiesen. Der Experte Andreas Teichert, Leiter des Krisenstabs Ostasien, hat für ein solches Verhalten kein Verständnis: „Das kann nicht sein. Es sind noch nicht einmal 24 Stunden nach dem Erdbeben vergangen. Innerhalb der ersten 72 Stunden nach so einer Katastrophe haben Verschüttete noch eine gute Chance gerettet zu werden.“ Auch die Europäische Union hat bereits auf das Fehlverhalten der türkischen Zentralregierung unter dem Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan reagiert und appelliert an die Verantwortlichen nicht gewissenlos und inhuman zu handeln.

Eyüp Can, Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Radikal, wies in seiner Kolumne vom 25.10.11 ebenfalls darauf hin, dass die „Türkei die Hilfe von über 30 Staaten, u.a. der USA, Israels, Griechenlands, Großbritanniens und Japans mit den Worten „Vielen Dank, wir brauchen eure Hilfe aktuell nicht“ zurückgewiesen hat“. Die gleiche Zeitung schreibt, dass auch 48 Stunden nach dem Erdbeben kein einziges der 84 Dörfer in Ercis Hilfsleistungen erhalten hat und die Menschen die Nächte auf den Straßen verbringen. Die Dorfvorsteher, die beim Landratsamt nach Zelten gefragt haben, seien mit der Begründung, die Stadt habe Vorrang, zurückgewiesen worden.

Das Bild, welches aktuell aus der Katastrophenregion übermittelt wird, entspricht einer gezielten Fehlinformation der internationalen Öffentlichkeit, um zu vermitteln, dass die Türkei nicht auf ausländische Hilfe angewiesen sei. Diese überhebliche Propaganda kostet Menschenleben. In den türkischen Medien wird derweil spekuliert, ob es sich bei dem Erdbeben nicht um eine gerechte Strafe Gottes gegen die KurdInnen handele, die seit über 30 Jahren um kulturelle, gesellschaftliche und politische Freiheiten ringen, oder gar über das Leid der überwiegend kurdischen Opfer frohlockt. Der Zusammenhang der nationalistischen Hetze gegen KurdInnen und dem Verhalten der

Zentralregierung entgeht auch nicht den abgewiesenen deutschen HelferInnen. „Ich kann mir auch vorstellen, dass es hier um die PKK geht“, fügt Teichert seinen Überlegungen hinzu. „Vielleicht denkt man, je weniger, desto besser.“

Dass mit dem Leid der Erdbebenopfer Politik getrieben wird, erzürnt auch viele Menschen in Europa. Gerade die hier lebenden KurdInnen sind wütend über die Blockade der Hilfsarbeiten und der Berichterstattung, welche ausschließlich wehrlose Menschen trifft und einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellt. So organisieren sie bereits am Tag des Erdbebens Hilfslieferungen für die betroffene Region. In kurdischen Kulturvereinen in ganz Europa werden Kleider und Nahrungsmittel gesammelt, die in die Krisenregion geschickt werden, denn bisher sind nur Hilfslieferungen aus Istanbul und den kurdischen Nachbarstädten Batman, Diyarbakir und Mardin eingeroffen.

Doch davon lassen sich die HerlferInnen nicht abschrecken. Was sollen sie auch erwarten von einem Staat, der seine eigenen BürgerInnen aus nationalistischem Großmanns-Gebaren in einer solchen Situation die bereitstehende Hilfe verwehrt? Abdurrahman Bogan: „Die Lage ist katastrophal, wenn die Arbeiten nicht bald intensiviert werden und Hilfe eintrifft, werden wir noch viel mehr Tote bergen müssen. Jede Unterstützung ist notwendig.“

Daher rufen wir Sie auf, ungeachtet der Blockaden zu spenden! Die Menschen in Van brauchen unsere / Ihre Hilfe!

YEK-KOM - Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.
KURD-AKAD - Netzwerk kurdischer AkademikerInnen e.V.
YXK - Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.
CENI - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
ISKU - Informationsstelle Kurdistan e.V.
Sarmasik-Efeu e.V.

Spenden an:
Heyva Sor a Kurdistanê e.V., Schäfer Str. 4, 53859 Niederkassel
Stadtsparkasse Neuwied, Konto-Nr.: 186098, BLZ: 57450120
Verwendungszweck: Hilfe für Van
IBAN: DE 62 57 45 01 20 00 00 18 60 98, BIC: MALADE 51 NWD


Zurück zur Türkei-Seite

Zurück zur Homepage