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"Es geht um Wasser als Waffe und Ware"

Die türkische Regierung kündigt wieder einmal den Baubeginn für den Ilisu-Staudamm an. Ein Gespräch mit Ercan Ayboga


Der Wasserbauingenieur Ercan Ayboga ist Sprecher der Initiative zur Rettung der Stadt Hasankeyf und Aktivist der europäischen Kampagne gegen den Ilisu-Staudamm



Im Juli hatten Deutschland, Österreich und die Schweiz Exportrisikogarantien über 450 Millionen Euro für den Ilisu-Staudamm am Oberlauf des Tigris zurückgezogen, weil die türkische Regierung Auflagen im Bereich Umsiedlungen, Umweltschutz und Kultur nicht erfüllt hat. Jetzt hat diese Regierung angekündigt, im April mit dem Bau des Damms, der zur Überflutung von 199 Dörfern und der 12000 Jahre alten Stadt Hasankeyf führen wird, zu beginnen. Wie glaubwürdig ist das?

Das müssen wir abwarten. In den vergangenen vier Jahren hat die türkische Regierung den Baubeginn immer wieder angekündigt und im August 2006 bereits offiziell den Grundstein gelegt. Die bislang beteiligten europäischen Unternehmen wie Züblin und Andritz haben erklärt, daß sie jetzt nicht dabei sind. Offenbar versorgen türkische Banken einheimische Unternehmen mit Krediten, und die Regierung kommt für deren Absicherung auf.

War nicht immer wieder die Rede von chinesischen Firmen, die einspringen könnten?

Mit dieser Drohung versuchte die türkische Regierung, die europäischen Staaten zu erpressen. Tatsächlich hat der türkische Finanzminister im September China besucht, und es gab auch weitergehende Gespräche. Doch nachdem wir als Betroffene die chinesische Botschaft in Ankara angeschrieben hatten, versicherte sie im Dezember, daß keine chinesischen Firmen beteiligt sind.

Wie ist jetzt die Situation vor Ort?

Die neuen Häuser für die Umsiedler von zwei Dörfern am Baustellenortes sind fast fertig, und die Bewohner sollen im Sommer umziehen. In Hasankeyf selbst sind keine Aktivitäten zu sehen. Umweltminister Eroglu hat Anfang Februar angekündigt, im März die ersten Bäume für Neu-Hasankeyf direkt am geplanten Stausee zu pflanzen. Doch einen Tag später gab es ein Gerichtsurteil, wonach die Enteignung dieses Landes nicht rechtens war.

Auch bekannte Künstler wie der Sänger Tarkan und Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk unterstützen die Kampagne gegen den Ilisu-Damm. Warum besteht die Regierung so auf den Bau?

Stauseen und Wasserkraftwerke sind der einfachste Weg, um Strom zu produzieren und Flächen zu bewässern. Dann braucht der Staat nicht die wirklich erneuerbaren Energien zu fördern und eine sozial-ökologische Landwirtschaft zu entwickeln. Bei Staudammprojekten in den kurdischen Provinzen sind aber neben der Energiegewinnung und der regionalen Entwicklung mindestens genauso die strategisch-politischen Aspekte entscheidend.

Es geht um die totale Kontrolle des Wassers von Euphrat und Tigris, das in den Irak und Syrien fließt. Angesichts der politischen Instabilität und des Kampfes um Ressourcen soll es langfristig um den Einsatz von Wasser als Waffe gehen. Eng damit verbunden ist die Betrachtung des Wassers als Ware. In der Türkei sollen neben den schon bestehenden 1400 Staudämmen und Wasserkraftwerken mindestens 2000 weitere gebaut werden. Damit wären alle Flüsse mehrmals aufgestaut, und die Feuchtgebiete und Seen würden ausgetrocknet. Fast alle wichtigen Ökosysteme sind somit ernsthaft bedroht. Die Zahl der bisher bisher 400000 Menschen, die den Stauseen weichen mußten, würde sich verdoppeln.

Wie geht der Widerstand gegen die Staudammprojekte weiter?

Die staudammkritischen Bewegungen der Türkei kamen am 12. Januar 2010 zum ersten Mal zusammen und stellten einen Aufruf zu einer neuen demokratisch-ökologischen Wasserpolitik vor. Europäische Bau- und Hydrounternehmen sind an Dutzenden weiteren zerstörerischen Dammprojekten beteiligt - und es besteht die Gefahr, daß sie in das Ilisu-Projekt wieder einsteigen, wenn die Umsiedlung und der Rohbau abgeschlossen sind. Es wird daher am 14. März - dem Internationalen Tag der Flüsse - in zehn Städten der Türkei und auch in Deutschland Protestaktionen geben.

Interview: Nick Brauns

* Aus: junge Welt, 23. Februar 2010


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