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Ilisu-Staudamm soll gebaut werden

Projekt am Tigris ist auch international umstritten

Von Jan Keetman, Istanbul *

Unter Berufung auf nicht namentlich genannte Mitarbeiter der Generaldirektion des staatlichen Wasserwirtschaftsamtes (DSI) teilte die Zeitung »Sabah« jetzt mit, dass der Bau des umstrittenen Ilisu-Dammes am Tigris im April beginnen soll. Kurz zuvor hatte auch der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan von einem baldigen Baubeginn gesprochen. Ähnliche Ankündigungen gab es allerdings bereits mehrfach.

Erst am vergangenen Donnerstag (11. Feb.) forderte das Europäische Parlament einen Baustopp für Ilisu. Außerdem hat ein Gericht in Diyarbakir am 13. Januar die Enteignung einer Landparzelle für die erforderliche Umsiedlung durch den Bau für ungültig erklärt. Es berief sich dabei darauf, dass keine Entscheidung der Kommission zum Schutze von Kulturgütern und Naturreichtümern über den Ilisu-Damm vorliege. Im In- Und Ausland wurde insbesondere die Überflutung des historischen Städtchens Hasankeyf kritisiert. Zudem wurden Bedenken wegen der Umsiedlung nie ausgeräumt. Ein Konsortium von Firmen aus verschiedenen Ländern, dem auch die Schweizer UBS angehörte, zog sich vor einigen Jahren wegen derartiger Kritik aus dem Projekt zurück. Ein zweites Konsortium von Unternehmen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland trat an. Doch auch dieser Versuch scheiterte im vergangenen Sommer. Da die Türkei die Auflagen für Kultur, Umwelt und Umsiedlung einfach ignorierte, zogen alle drei Länder ihre Exportrisikogarantien zurück.

Nun wollen die türkischen Akbank und Garanti Bank mit wahrscheinlich 350 Millionen Euro in die Bresche springen. Der Rest der Finanzierung für das mit 1,1 bis 1,5 Milliarden Euro veranschlagte Projekt scheint gesichert zu sein. Es ist jedoch nicht bekannt, ob die beiden Banken den Vertrag wie angekündigt unterschrieben haben. Unklarheit herrscht auch bei den Baufirmen; der österreichische Maschinen- und Anlagenbauer Andritz Hydro ist jedenfalls nicht mehr dabei, wie die Firma auf Anfrage Ende Januar erklärte.

Die Bedeutung des Gerichtsurteils gegen die Enteignung der Parzelle wurde laut »Sabah« von Verantwortlichen der DSI heruntergespielt. Dies betreffe nur ein Prozent des zu enteignenden Landes, sagten sie der Zeitung. Ob das ein Gericht auch so sehen würde, bleibt abzuwarten. Indessen ist mit Protesten in der Türkei zu rechnen. Viele prominente Künstler, darunter Orhan Pamuk, unterstützen die Kampagne gegen Ilisu. Der Literaturnobelpreisträger hat sich sogar ein Anti-Ilisu-T-Shirt zugelegt.

Aber auch ein potenzieller Verbündeter beim Damm-Bau hat abgewinkt. Nach Informationen der österreichischen Umweltorganisation ECA-Watch hat Pekings Botschafter in Ankara erklärt, dass keine chinesischen Exportrisikogarantien für Ilisu geplant seien. Inoffiziell hatte man immer wieder das Argument hören können, »wenn die Europäer sich zurückziehen, dann machen es halt die Chinesen«.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2010


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