Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Minister gibt sich trotzig

Türkei will an Staudamm-Projekt festhalten

Von Jan Keetman, Istanbul *

Nicht nur der Rückzug der Risikoversicherer bringt den Bau des Ilisu-Staudamms abermals erneut in Schwierigkeiten.

Nach dem Ausstieg der Schweiz, Österreichs und Deutschlands aus dem umstrittenen Ilisu-Staudamm am Tigris reagiert der türkische Minister für Umwelt und Wälder, Veysel Eroglu, trotzig. Für die Schweiz wollte die Exportrisikoversicherung zusammen mit der Österreichischen Kontrollbank und der deutschen Hermes Kreditversicherung Darlehen für das umstrittene Staudammprojekt absichern. Nachdem sich herausstellte, dass die Türkei Auflagen zur Umsiedlung der Bewohner des Flusstales und zum Schutz von Kulturgütern in dem historischen Städtchen Hasankeyf nicht erfüllt hatte, mahnten die staatlichen Risikoversicherer im vergangenen Dezember die Türkei ab. Nachdem eine Frist von sechs Monaten ohne ausreichende Fortschritte verstrichen war, wurde der Vertrag von den drei Staaten am 7. Juli gekündigt.

Veysel Eroglu sieht keine sachlichen Gründe für den Rückzug. »Der Staudamm wird gebaut werden!«, bekräftigte er. Das Ilisu-Projekt sei eine Chance, Hasankeyf zu retten. Denn, so die Logik des Ministers, nur der untere Teil der Stadt werde überflutet. Hasankeyf, dessen Kulturgüter hauptsächlich in der Oberstadt lägen, könne nach der Überflutung, ein »prächtiges und attraktives Zentrum« werden. Hinter dem Rückzug der Exportversicherer vermutet Eroglu rein politische Gründe. Die Türkei sei jetzt in der Region eine große Macht, was natürlich einige Länder beunruhige.

Beunruhigt wegen einer möglichen Verschärfung seiner Wasserknappheit aufgrund des Ilisu-Dammes ist indessen der irakische Nachbar. Nach einer Meldung der französischen Zeitung »Le Monde« hat Irak von den beteiligten Ländern offiziell die Rücknahme des Projektes gefordert. Von verschiedenen irakischen Diplomaten in Ankara war weder eine Bestätigung noch ein Dementi zu diesem Vorgang zu erhalten.

Der Rückzug der Versicherer bedeutet nicht automatisch das Ende des Ilisu-Projektes. Nun sind zunächst die Banken gefragt, ob sie ohne Risikoabsicherung weitermachen wollen. Als erste hat allerdings bereits die UniCredit/ Bank Austria ihren Rückzug verkündet. Es wird erwartet, dass die deutsche Dekabank und die französische Société Générale folgen. Ohne Garantien dürften sich die Kreditkosten für das auf 1,1 Milliarden Euro veranschlagte Staudammprojekt erheblich erhöhen.

Die Planungen für den Bau des Ilisu-Staudamms haben in der Türkei vor 55 Jahren begonnen, das Projekt hat bereits mehrfach gestockt. 1996 blieb eine Ausschreibung ohne Antwort, weil das vorgeschlagene Finanzierungsmodell unattraktiv war. Im Jahr 2002 lag das Projekt erneut auf Eis, nachdem sich Firmen aus verschiedenen europäischen Ländern aufgrund öffentlichen Drucks zurückgezogen hatten. Damals hatte insbesondere der Londoner Premier Tony Blair versucht, das Projekt gegen alle Bedenken in Großbritannien durchzusetzen. Trotzdem gab der Rückzug der britischen Ingenieursfirma Balfour Beatty den Ausschlag für die Aussetzung.

Auch in der Türkei ist Ilisu heftig umstritten. In den letzten Wochen haben sich viele prominente Künstler für den Erhalt von Hasankeyf engagiert. Zudem haben die Ilisu-Gegner ein neues Projekt: Sie wollen, dass Hasankeyf von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt wird. Chancen hätte der nach neueren Forschungen seit 15000 Jahren besiedelte Ort mit seinen Höhlen und mittelalterlichen Gebäuden durchaus.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2009


Zurück zur Türkei-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage