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Terrororganisation vs. Nationalstaat

Der türkisch-kurdische Konflikt lässt sich nur auf der Basis gegenseitiger Anerkennung lösen

Von Rainer Schmitt *

Jahrelang schwelte er im Hintergrund, monatelang brodelte er als Nebenschauplatz des Irakkonflikts. Jetzt scheint der Konflikt zwischen Türkei und PKK vor einer explosiven Entladung zu stehen. Medien berichten von vermehrten Gefechten, Verletzten und sogar Toten auf beiden Seiten. Im Vorfeld dieser Eskalation wurden Überlegungen laut, wonach die türkische Regierung eine härtere Gangart, einen militärischen Einmarsch in Kurdengebiet zur Unterbindung kurdischer Anschläge, erwäge. Genau zu dem Zeitpunkt, da die türkische Regierung gegenüber der PKK die Rhetorik verschärft, kommt es zum offenen Ausbruch des Konflikts. Zufall oder politisches Kalkül, bewusste Aggression der PKK oder Angstreaktion einer sich in die Enge gedrängt fühlenden kurdischen Gruppierung?

Schon das öffentliche Sinnieren über eine militärische Operation ist oftmals als ein alternatives Mittel der Kriegserklärung zu sehen. In einer Zeit, in der der „traditionelle“ zwischenstaatliche Konflikt zunehmend zu einer Seltenheit wird, verändern sich auch die Regeln der Kriegsführung oder werden völlig obsolet. Offizielle Kriegserklärungen sind schon lange nicht mehr notwendig, Kriegsführung wird zu einer politischen Herausforderung, zu einem argumentativen Versuch, dem Gegner den schwarzen Peter für die Eskalation eines Konflikts zuzuschieben. Nun lässt sich darüber nachdenken, ob auch im vorliegenden Fall das öffentliche Debattieren der Türkei über eine militärische Aktion eine kalkulierte und intendierte Handlung der PKK hervorrief oder ob die PKK aus Gründen der Autonomiegewinnung bewusst auf Eskalation setzt. Niemals zu vernachlässigen ist bei einer Konfliktsituation die ökonomische Komponente, schon gar nicht in einer erdölreichen Region wie „Kurdistan“.

Die Frage, warum es zum Ausbruch des Konflikts kam, ist, wie immer in einer solchen Situation, nicht einfach zu klären. Einfach erscheinen immer nur einseitige Schuldzuweisungen, die in der politischen Rhetorik zu einem Rechtfertigungsinstrument der eigenen Aggression instrumentalisiert werden. Wenn in einem Bericht der Tagesthemen [1] die Aussage getroffen wird, die PKK setze auf Eskalation, so weist dies eine klare Einseitigkeit auf. Ein kurdischer Vertreter gibt in demselben Bericht Auskunft über Informationen, nach denen die Türkei schon seit Monaten einen Angriff auf die Gebiete der PKK plane. Ob diese Informationen richtig sind und aus welchen Quellen diese stammen, sei einmal dahingestellt. Wesentlich erscheint mir, dass sich nicht nur die Türkei bedroht fühlt, sondern ebenfalls die PKK bzw. die Kurden. Insofern kann man behaupten, beide Seiten setzten genauso auf Eskalation des Konflikts wie sie auf Deeskalation und Diplomatie setzen.

Der Unterschied in der Bewertung von Aussagen der beiden Konfliktparteien liegt meiner Meinung nach in einer sprachlichen Komponente. Die Türkei ist von der Staatengemeinschaft als Nationalstaat anerkannt, die PKK wird den Terrororganisationen zugeordnet. Nur logisch erscheint dann auch die Äußerung des türkischen Außenministers Babacan nach einem Treffen mit seinem irakischen Amtskollegen zum Kurdenkonflikt. Einen Waffenstillstand könne es demzufolge lediglich zwischen zwei Staaten und nicht mit einer terroristischen Organisation geben [2]. Auf die Regeln des zwischenstaatlichen Krieges kann man sich anscheinend auch heute noch problemlos berufen. Die Einhaltung derselbigen ist hingegen wohl nicht nötig, insofern man es mit einer terroristischen Rebellenorganisation zu tun hat. Der Sichtweise, bei der PKK handele es sich um eine Terrororganisation, steht deren Selbstbild entgegen. Dieses zeigt eine Kämpferbewegung, die eine den Kurden bereits 1920 im Vertrag von Sèvres als Recht auf Selbstbestimmung zugebilligte Freiheit anstrebt.

Welche Unsicherheit mit Begriffen wie „Terrorismus“ und „terroristischer Organisation“ besteht, zeigt die Unfähigkeit von UNO, EU und ebenso der Bundesregierung, eine eindeutige Definition der Begriffe zu liefern. Es scheint lediglich Einigkeit darüber zu bestehen, dass der Gebrauch solcher Begriffe vom Standpunkt des Betrachters abhängt. Einst gab die UNO in ihrer organisationseigenen Zeitschrift folgende Aussage zur Definition des Terrorismusbegriffs bekannt: „Als gemeinsamer Nenner lässt sich sagen, dass er ein negativer Begriff ist.“[3] Soviel zur Klarheit der Begrifflichkeiten. Wenn die Bundesregierung überdies in einer Anfrage der Partei „Die LINKE“ zu dem Begriff des „Staatsterrorismus“ im Einvernehmen mit der EU zu verlauten gibt, „Terrorismus“ sei ein Phänomen, „dass von Personen und den von ihnen gegründeten Organisationen, nicht aber von Staaten begangen wird“[4], wird Unverhältnismäßigkeit deutlich. Das Anerkennen des Begriffs „Staatsterrorismus“ würde die Legitimität des Staates unterminieren und ihm die rechtliche Basis entziehen. Insofern ist das Ablehnen dieses Begriffs eine verständliche Reaktion. Soviel ist klar. Wieso allerdings vor dem Hintergrund der geschilderten Fakten eine Auftauchen der PKK unter anderem auf der Terrorliste der EU rechtens sein sollte, wo diese Liste ohnehin lediglich auf einer rein politischen Entscheidung fußt, scheint höchst fraglich. Ein gewisses Interesse am Auftauchen der PKK auf dieser Liste kann man der Türkei unterstellen. Nicht nur, dass sie damit trotz oder gerade wegen einer möglichen Friedensbereitschaft der PKK fast schon eine Legimitation für eine kriegerische Auseinandersetzung in der Tasche hat. Auch hier kommt wieder die bereits angedeutete ökonomische Komponente ins Spiel. Ein Aufnehmen der PKK auf die EU-Terrorliste hat ökonomische Konsequenzen. Ein Ziel der „offiziellen“ Nominierung zur Terrororganisation durch die EU soll eine wirtschaftliche Isolierung sein, welche den finanzielle Spielraum für „terroristische“ Gruppierungen eingeengt und damit deren „Überleben“ erschwert. Eine Tatsache, die nicht nur der Türkei gelegen kommen könnte.

Ob man im Konflikt zwischen der Türkei und der PKK vor diesem Hintergrund auf eine diplomatische Lösung hoffen kann, scheint fraglich. Geht es um den eigenen (ökonomischen) Vorteil, um das globale Phänomen des Terrorismus, um Freiheit und Selbstbestimmung oder um höhere Werte wie Gerechtigkeit und Frieden? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Fest steht indessen nur: Konflikte lassen sich nur auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung und des Argumentierens auf gleicher Augenhöhe lösen. Dieser Sachverhalt ist keinesfalls gegeben. Es mangelt somit schon an den Grundlagen der Konfliktlösung. Wenn es denn die Absicht der beiden Konfliktparteien ist, eine friedliche Lösung anzustreben, so sollten erst einmal die Voraussetzungen dafür erfüllt sein. Die PKK und die Türkei müssten sich als gleichgestellte Verhandlungspartner anerkennen. Dann erst ist der Weg frei für die Möglichkeit des Friedens.

Fußnoten
  1. „PKK-Kämpfer in den irakischen Bergen“, Tagesthemen 22:15 Uhr, 23.10.2007, Stefan Buchen, NDR (http://www.tagesschau.de/ausland/pkk12.html)
  2. Homepage Tagesschau, 24.10.2007: Irak will gegen PKK vorgehen: "Wir werden diese Plage überwinden" (http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkeikurden24.html)
  3. Vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25188/1.html
  4. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen und der Fraktion DIE LINKE: Bekämpfung des internationalen Terrorismus und Staatsterrorismus; BT-Drucksache 16/3412 (14.11.2006)
Rainer Schmitt, Berlin, ist Dipl. Geograph und freier Journalist


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