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Politisches Urteil im Hamburger PKK-Prozeß

Zweieinhalb Jahre Haft für Exilpolitiker Ali Ihsan Kitay ohne Vorwurf konkreter Straftaten

Von Martin Dolzer, Hamburg *

Nach sechs Monaten Verhandlung gegen den kurdischen Exilpolitiker Ali Ihsan Kitay vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg, wurde am Mittwoch das Urteil verkündet. Der 47jährige Kurde soll 2007 und 2008 Verantwortlicher der Arbeiterpartei Kurdistans PKK in Norddeutschland gewesen sein. Dafür verurteilte ihn das Gericht zu zweieinhalb Jahren Haft. Gegen Kaution wird er bis zur Entscheidung über die Revision aus der Untersuchungshaft entlassen. Konkrete Straftaten wurden ihm, genau wie weiteren sechs Kurden, die mit Verfahren nach Paragraph 129 b (Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland) konfrontiert sind, nicht vorgeworfen.

Das vermeintlich »milde« Urteil begründete das OLG Hamburg mit der persönlichen Geschichte Kitays. Die in 20 Jahren Gefängnis in der Türkei erlittene Folter, anhaltende Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und systematische Repression gegen die kurdische Bevölkerung wären strafmildernd berücksichtigt worden, hieß es. »Zum Teil hatten wir den Eindruck, die Türkei sitzt vor Gericht«, sagte ein Richter. Kitays Verteidigung hatte im Prozeß u.a. eine Strafanzeige gegen Ministerpräsident Erdogan und die letzten drei Generalstabschefs wegen Kriegsverbrechen, die 2011 von Menschenrechtsaktivisten und dem Bundestagsabgeordneten Harald Weinberg (Die Linke) gestellt worden war, thematisiert.

Dem Plädoyer der Anwälte, daß in der Türkei eine systematische, rassistische Unterdrückungs- und Kolonialpolitik gegenüber den Kurden betrieben wird und die PKK daher völkerrechtlich legitimiert ist, Widerstand zu leisten, folgten die Richter nicht. Das im Artikel 1 Absatz 4 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention festgelegte »Kombatantenprivileg« habe zwar in Südafrika für bewaffneten Widerstand gegen das Apartheidregime gegolten – die türkischen Kurden könnten sich aber nicht darauf berufen. In der Türkei finde keine rassistische Unterdrückung statt. Die rund hundert Zuschauer im Gerichtssaal waren offensichtlich anderer Meinung.

Kitays Anwälte kritisierten, daß im gesamten Verfahren kein Sachverständiger gehört wurde. Um die Beschäftigung mit der politischen Entwicklung und den inhaltlichen Zielen der PKK zu umgehen, unterstellte das OLG, daß die Stadtguerillaorganisation TAK (»Freiheitsfalken Kurdistans«) Teil der PKK sei. Distanzierungen der PKK von der Politik und den Anschlägen der TAK, bei denen auch Zivilisten getötet werden, seien bis 2010 rein taktisch motiviert gewesen, argumentierten die Richter. Der zuständige Ermittler des Bundes­kriminalamtes behauptete, es gebe »Indizien, daß die TAK eine Unterorganisation der PKK sein könnte«.

Die Verteidigung belegte anhand von Dokumenten die organisatorische Unabhängigkeit der TAK. Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2012 in den »Global Intelligence Files« eine Mail der CIA-nahen Agentur Stratfor veröffentlicht, in der ein Zeuge aus dem Nordirak das bestätigt. Das Vorgehen der TAK erinnere rhetorisch und in der Anschlagspraxis an Methoden der rechtsextremen türkischen Untergrundorganisation Ergenekon und des »Tiefen Staates«, einer ultranationalistischen Verschwörung, heißt es dort.

Letztlich wurde Kitay verurteilt, weil er in leitender Funktion Demonstrationen organisiert, Spenden gesammelt und immer wieder Streit in der kurdischen Exilgemeinschaft geschlichtet hatte. 2008 waren Verfahren gegen zwei Kurden wegen ähnlicher Aktivitäten noch eingestellt worden.

»Mit der Kriminalisierung gemäß Paragraph 129 b verfolgt die Bundesregierung wirtschaftliche und strategische Ziele. In einem Verteilungskrieg im Mittleren Osten sehen sowohl die Türkei als auch die EU die selbstbewußte demokratische Organisierung der Kurden als Hindernis«, kritisierte ein Vertreter des Bündnisses »Freiheit für Ali Ihsan« auf einer Kundgebung direkt vor der Urteilsverkündung. »Das OLG flankiert diese Interessen juristisch und trägt dazu bei, einen ernsthaften Friedensdialog zu verhindern.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. Februar 2013


Unerlaubte Propaganda

Weil die PKK auf der deutschen Terrorliste steht, wird ein kurdischer Aktivist verurteilt

Von Reinhard Schwarz, Hamburg **


Der Hamburger Staatsschutzsenat wirft der Türkei schwere Menschenrechtsverletzungen vor und verurteilt ein PKK-Mitglied zu einer Haftstrafe. Dessen Anwalt kritisiert die Einäugigkeit der deutschen Justiz.

Haftstrafe für einen mutmaßlichen PKK-Funktionär: Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Hamburg verurteilte Ali Ihsan Kitay zu zwei Jahren und sechs Monaten. Weil der Angeklagte bereits 16 Monate in Untersuchungshaft saß, wurde er unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt; er darf Deutschland aber nicht verlassen. Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert. Der 47-jährige kurdische Aktivist war in der Türkei bereits lange Jahre in Haft gewesen und wurde schwer gefoltert. Freunde des Angeklagten forderten während der Urteilsbegründung »Freispruch«, woraufhin das Gericht die Sitzung unterbrach und einen der Rufer aus dem Saal entfernte. Auch vor dem Justizgebäude protestierten Unterstützer.

Kitay war angeklagt, einer »ausländischen, terroristischen Vereinigung« nach Paragraf 129b Strafgesetzbuch als führendes Mitglied anzugehören. Gemeint ist damit die 1978 gegründete Kurdische Arbeiterpartei PKK, die auf den »Terrorlisten« der USA und EU geführt wird. Kitay soll zwischen Mai 2007 bis September 2008 als »hauptamtlicher Kader« für die PKK in der Region Hamburg, später auch für die Gebiete Kiel, Bremen und Oldenburg tätig gewesen sein.

In seiner zweistündigen Urteilsbegründung befasste sich der Vorsitzende Richter Klaus Rühle mit dem Nachweis zahlreicher Anschläge in der Türkei, die in den Jahren 2007 bis 2008 auf das Konto der PKK gegangen sein sollen. Abgehörte Telefongespräche würden beweisen, dass Kitay im Norden Deutschlands eine leitende Funktion gehabt habe. So habe der Angeklagte »als Entscheider und Streitschlichter« im Hintergrund gewirkt. Er sei zuständig gewesen, »wenn es um Propaganda und den Zusammenhalt ging«. Auch habe er den Kartenverkauf für kurdische Veranstaltungen organisiert. Rühle: »Klar ist, dass der Angeklagte den Verkauf im Hintergrund steuerte.«

Der Richter räumte ein, dass die Kurden im Staatsgebiet der Türkei zahlreichen Repressionen ausgesetzt seien - Rühle sprach von der »Räumung kurdischer Dörfer«, dem »Verschwindenlassen von Menschen« sowie »systematischen Verstößen gegen das Folterverbot«. Allerdings, so der Richter, habe ihrerseits die PKK »nicht das Recht zu töten«. Die Zielsetzung der kurdischen Organisation sei »auf die Begehung von Mord und Totschlag ausgerichtet«.

Verteidiger Carsten Gericke warf dem Staatsschutzsenat Einäugigkeit vor: »Das Gericht geht davon aus, dass die Menschenrechte der Kurden verletzt werden, doch es meint, daraus keine Konsequenzen ziehen zu müssen.« Der türkische Staat und seine Repressionsorgane blieben hingegen unbehelligt. Das Urteil gegen Kitay sei »eine vergleichsweise hohe Strafe, wenn man bedenkt, dass es für die Organisation von Demonstrationen und Veranstaltungen verhängt wird, was in Deutschland nicht strafbar ist«. Gericke ließ offen, ob die Verteidigung gegen das Urteil Revision einlegen werde.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 14. Februar 2013


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