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Rückzug beginnt

PKK beginnt Abzug aus Türkei und will »mit anderen Mitteln« weiterkämpfen. Europarat nennt Guerilla nicht mehr terroristisch

Von Nick Brauns *

Der vor einem Monat vom Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, angekündigten Abzug der Guerillakämpfer aus der Türkei steht unmittelbar bevor. Der Abgeordnete der links-kurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Sirri Süreyya Önder benannte am Dienstag abend den heutigen 25. April als Beginn des Rückzuges. Önder hatte sich in den vergangenen Woche mehrfach mit Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali und der PKK-Führung in den nordirakischen Kandil-Bergen getroffen. Eine offizielle Erklärung letzterer steht noch aus.

PKK-Kommandanten wiesen in den vergangenen Tage darauf hin, daß der Rückzug der Guerilla aufgrund geographischer und klimatischer Bedingungen bis zu einem halben Jahr dauern könne. Die Kämpfer werden sich über die Wege zurückziehen, über die sie zuvor ins Land gekommen seien, erklärte die Kommandantin der Frauenguerilla, Delal Amed, und fügte hinzu: »Wir werden Sicherheitsmaßnahmen treffen müssen.«

Die PKK-Führung hatte Gesetzesgarantien für freies Geleit gefordert, um nicht wie bei einem Rückzug im Jahr 1999 von der Armee attackiert zu werden. Hinter den Kulissen fand nun offenbar eine Einigung statt, so daß Öcalan die Guerilla davon überzeugen konnte, auch ohne solche von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verweigerten parlamentarischen Garantien, mit dem Abzug zu beginnen. Auf eine solche Einigung deutet auch ein von der Nachrichtenagentur Dogan gemeldeter Abzug von Truppen, Panzern und Artillerie der türkischen Armee aus dem Grenzgebiet zum Irak in weiter westlich gelegene Stützpunkten hin. »Wir wissen, daß uns niemand etwas schenken wird. Wir werden mit anderen Mitteln weiterkämpfen und glauben, damit erfolgreich zu sein«, kündigte PKK-Führungskader Duran Kalkan im Interview mit der türkischen Tageszeitung Vatan eine Intensivierung des Freiheitskampfes nach einem Rückzug der Guerilla an.

Diese Zuversicht führt bei türkischen Nationalisten zu Befürchtungen über eine Stärkung der PKK im Zuge des Friedensprozesses. »Die Weise, wie die Regierung den Lösungsprozeß vorantreibt, wird nur dazu beitragen, den Einfluß des kurdischen Nationalismus auf die kurdische Politik zu verstärken«, befürchtet der Sicherheitsexperte der im Staatsapparat einflußreichen islamisch-nationalistischen Fethullah-Gülen-Bewegung, Emre Uslu, in der Tageszeitung Todays Zaman. Die PKK habe über ihr Rätenetzwerk in kurdischen Städten inzwischen eine solche Stärke erreicht, daß sie keine Waffen mehr zur Mobilisierung brauche. Wenn sich die kurdischen Nationalisten siegreich fühlen und die türkischen Nationalisten geschlagen, seien Frieden und Stabilität nicht möglich, warnte Uslu.

Auf Kundgebungen der faschistischen Partei der Nationalen Bewegung gegen die Verhandlungen der Regierung mit Öcalan hatten in den letzten Tagen Zehntausende »Graue Wölfe« skandiert: »Sag uns ›schlag zu‹, so schlagen wir zu, sag uns ›stirb, so sterben wir‹«, worauf MHP-Führer Devlet Bahceli antwortete: »Auch die Zeit dafür wird kommen.«

Unterstützung für den Friedensprozeß kommt unterdessen durch die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE). Die Abgeordneten von 47 nationalen Parlamenten votierten am Mittwoch im französischen Strasbourg mit 150 gegen elf Stimmen für einen Antrag des türkischen BDP-Abgeordneten Ertugrul Kürkcü, in ihrem Türkei-Report nicht mehr von »Terroristen«, sondern von »PKK-Aktivisten« zu sprechen. An der Auflistung der PKK auf der EU-Terrorliste ändert das Votum von PACE nichts. Die PACE-Versammlung beschloß zudem, anstelle von »türkischen Institutionen und dem türkischen Volk« von »Bürgern und Institutionen der Türkei« zu sprechen, um der ethnischen Vielfalt des Landes Rechnung zu tragen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. April 2013


Dokumentiert:

Türkei/Nordkurdistan: Abzug der Guerillakräfte beginnt am 8. März

In einer Presseerklärung der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), die vom Exekutivratsvorsitzenden der KCK Murat Karayilan am 25.04.2013 verlesen wurde, wurde angekündet, dass der Rückzug der kurdischen Guerillaeinheiten der Volksverteidigungskräfte (HPG) vom Territorium der Republik Türkei am 8. Mai 2013 beginnen wird. Damit folgt die KCK der Forderung des inhaftieren Vorsitzenden der PKK (Arbeiterpartei Kurdistan) Abdullah Öcalan, der in einem Brief vom 14.04.2013 die Guerillaeinheiten der PKK zum Rückzug aufforderte.

Der Rückzug ist ein weiterer Schritt im Rahmen des aktuellen Dialog- und Lösungsprozesses zwischen dem türkischen Staat mit seiner AKP Regierung und der PKK.

Sechs Punkte, die für den Rückzug wichtig sind:
  1. Unsere Guerillakräfte werden auf Eigeninitiative und ohne den Raum für Gefechte zu bieten den Rückzug auf den von ihr davor genutzten Wegen durchführen. (…)
  2. Der Rückzug wird mit dem 8. Mai 2013 beginnen. Der Rückzug wird gruppenweise auf Grundlage der Praxis der Guerilla erfolgen. (…)
  3. Bei dem Rückzugsraum unserer Kräfte handelt es sich um Südkurdistan (Kurdistan-Irak). Wir erwarten von den betreffenden Kräften, allen voran der Regierung des Föderativen Kurdistans, dass unseren sich zurückziehenden Guerillakräften Verständnis entgegengebracht wird.
  4. Während des Rückzuges haben die Kräfte der türkischen Armee mit Sensibilität und Ernsthaftigkeit zu agieren. Sollte es zu Angriffen, Operationen oder Bombardierungen jeglicher Art auf unsere sich zurückziehenden Guerillakräfte kommen, wird der Rückzug umgehend gestoppt und unsere Kräfte werden auf der Basis der legitimen Selbstverteidigung von ihrem Recht auf Vergeltung gebraucht machen.
  5. Während des Rückzuges der Guerillakräfte haben die Kräfte des türkischen Staates keinerlei Absichten zu unternehmen, die zu militärischen Aktivitäten und Gefechten führen könnten und keinen Platz für eigennützige Vorgehensweisen bieten. Es ist von besonderer Wichtigkeit, auf die Punkte, die wir in den Briefen an unseren Vorsitzenden geäußert haben, und von denen auch der Staat weißt, besondere Achtung zu schenken, damit die Rückzugsphase positiv und erfolgreich verläuft.
  6. Unabhängige Delegationen, die diese Phase überwachen und fehlerhafte Verhaltensweisen beider Seiten überprüfen, werden dazu beitragen, dass die Phase eine positive Entwicklung nimmt.
Quelle: ANF, 25.04.2013, ISKU




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