Waterloo für Ankaras Generäle
Türkische Armee nach neuen Enthüllungen über Putschpläne in Erklärungsnot
Jan Keetman, Istanbul *
Das türkische Militär macht erneut eine schwere Krise durch. Generalstabschef Ilker Basbug steht
im Verdacht, einen Aktionsplan des Militärs zur psychologischen Kriegführung gegen die gemäßigt
islamische Regierung unter Recep Tayyip Erdogan vertuscht zu haben.
Im Juni hatte die Zeitung »Taraf« über den Aktionsplan berichtet. Er enthielt eine pessimistische
Lageeinschätzung angesichts der mangelnden Unterstützung des Militärs durch Medien und
gesellschaftliche Gruppen und sah weiter die Gefahr einer schleichenden Islamisierung des Staates.
Dem Militär wurde empfohlen, mögliche Spannungen in Erdogans AK-Partei auszunutzen. Man solle
zugleich den Verdacht erregen, eine religiöse Bewegung, die von dem pensionierten Prediger an der
Blauen Moschee in Istanbul, Fethullah Gülen, geleitet wird, sei zur Anwendung bewaffneter Gewalt
bereit. Auch zu Provokationen der religiösen Minderheit der Alewiten rät das Papier. Das alles liest
sich wie ein Drehbuch, in dem zum Schluss die Militärs mit ihren Panzern vor das Parlament fahren,
um die Nation zu retten.
Eine Kopie des Plans wurde bei einer Hausdurchsuchung gefunden und gelangte dann an die
Zeitung. Generalstabschef Ilker Basbug leitete sofort eine Untersuchung ein, die zu dem Ergebnis
kam, dass dieser Plan nicht von den Streitkräften stammte. Die Kopie bezeichnete Basbug als »ein
Stück Papier«. Das Gegenteil ließ sich nicht beweisen.
Bis vor zwei Wochen. Da erreichte der anonyme Brief eines Offiziers die Staatsanwaltschaft und mit
etwas Verzögerung die Medien. Darin wird behauptet, Basbug habe von der Veröffentlichung des
Plans in den frühen Morgenstunden vor Erscheinen der Zeitung erfahren und angewiesen, alle
Spuren zu beseitigen. Der Brief enthielt eine Liste mit Namen von Offizieren, die damit beauftragt
waren, und die Aufstellung der Computer, deren Festplatten manipuliert wurden. Als Anlage enthielt
er weitere geheime Unterlagen, darunter das Original des besagten Plans, versehen mit einer
echten Unterschrift. Es gibt Versuche der Opposition, die Echtheit auch dieses Dokuments in Zweifel
zu ziehen, doch bisher hat sich der Generalstab zu keinem neuerlichen Dementi aufgerafft.
Seit ihrer Niederlage im Ersten Weltkrieg hat die Armeeführung keine so schweren Zeiten erlebt wie
in den letzten Jahren -- und das nicht im Kampf gegen die PKK, sondern an der Heimatfront.
Zunächst tauchten Putschpläne unter den schillernden Namen »Blondine«, »Mondlicht« und
»Meeresleuchten« auf. Dahinter sollen hohe Kommandeure gestanden haben, denen aber die
Zustimmung des damaligen Generalstabschefs Hilmi Özkök fehlte. Die Zeitschrift »Nokta«, die über
die Vorhaben berichtete, musste im Frühjahr 2007 ihr Erscheinen auf Druck des Militärs einstellen.
Pensionierte Generäle verfolgten aber weiter ähnliche Pläne. Das jedenfalls behauptet die Anklage
in einem Mammut-Prozess gegen die »Ergenekon« genannte Verschwörergruppe.
Der Nachfolger des liberalen Hilmi Özkök, Yasar Büyükanit, versuchte es gar mit einer Art
»Internetputsch«. Zu mitternächtlicher Stunde platzierte er auf der Webseite des Generalstabs eine
harsche Warnung, mit der er die Wahl von Erdogans Vertrautem Abdullah Gül zum
Staatspräsidenten verhindern wollte. Doch als die AK-Partei im Juli 2007 einen hohen Wahlsieg
einfuhr, war auch das hinfällig.
Der zuletzt aufgetauchte Aktionsplan wurde zwei Monate nach der Wahl abgeschlossen. Er zeigt,
dass sich die Generäle mit ihrer Niederlage keineswegs abgefunden hatten. Es gibt bisher keine
Anhaltspunkte dafür, dass auch unter Büyükanits Nachfolger Ilker Basbug an der Umsetzung des
Plans gearbeitet wurde. Vernichtet wurde er aber erst, als die Presse davon Wind bekam. Ein neues
politisches Waterloo für die einst so mächtigen Generäle.
* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2009
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