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Botschafter der Türkei sorgt in Wien für Eklat

Österreichs Integrationspolitik in der Kritik

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Mit heftigen, undiplomatischen Worten hat der türkische Botschafter in Wien, Kadri Ecvet Tezcan, die Integrationspolitik Österreichs kritisiert. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bekam von Tezcan ihr Fett ab. Der Diplomat wurde noch am Mittwoch (10. Nov.) ins österreichische Außenministerium zitiert. Offene Worte werden im offiziellen Wien nicht gerne gehört.

Zwei Seiten ihrer Mittwochausgabe verwendete die Zeitung »Die Presse« für ein Interview mit dem Botschafter Kadri Ecvet Tezcan. Ein sensationell offen geführtes Gespräch, in dem der 61-jährige Diplomat mit den Verantwortlichen für die Ausländer- und Migrationspolitik hart ins Gericht geht.

»Unglaublich« nennt es Tezcan, dass in Österreich das Innenministerium für Integrationspolitik zuständig ist. »Die Innenministerin sollte aufhören, in den Integrationsprozess zu intervenieren. Wenn man dem Innenministerium ein Problem gibt, wird dabei eine Polizeilösung herauskommen«, kritisiert er die gesamte politische Struktur. Zur Person der Ministerin Maria Fekter fügt er hinzu: »Sie ist Mitglied einer Volkspartei, die sich als liberal versteht. Oder bin ich falsch informiert? Was sie vertritt entspricht nicht einer liberalen, offenen Geisteshaltung. Das gleiche gilt übrigens für Angela Merkel.«

Auch die Sozialdemokraten bleiben nicht verschont. »Normalerweise verteidigen Sozialdemokraten die Rechte von Menschen, wo immer sie auch herkommen. Wissen Sie, was mir Sozialdemokraten hier gesagt haben? ›Wenn wir etwas dazu sagen, bekommt Strache mehr Stimmen.‹ Das ist unglaublich.« Heinz-Christian Strache ist Chef der rechten FPÖ.

Konkret sprach sich der Botschafter gegen jede Debatte um ein Kopftuchverbot aus: »Wenn es hier die Freiheit gibt, nackt zu baden, sollte es auch die Freiheit geben, ein Kopftuch zu tragen.« Er schlug vor, türkische Lehrer für muttersprachlichen Unterricht aus der Türkei zu holen und die Möglichkeit einzuräumen, dass das Abitur auch in türkischer Sprache abgelegt werden kann. Gleichzeitig mahnte er seine Landsleute, Integrationswillen an den Tag zu legen und richtig Türkisch und Deutsch zu lernen: »Mit 500 Wörtern beherrscht man noch keine Sprache.«

Internationalen Organisationen wie der OSZE und der UNO empfahl Tezcan indirekt, wegen der erstarkenden rechtsradikalen FPÖ eine Verlegung ihres Sitzes zu bedenken: »Wenn ich Generalsekretär der UNO, der OSZE oder der OPEC wäre, würde ich nicht hier bleiben.«

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) nannten die Aussagen übereinstimmend »inakzeptabel«, Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) telefonierte mit seinem türkischen Amtskollegen und zitierte den Botschafter ins Ministerium. Die FPÖ forderte gar das Aussetzen der diplomatischen Beziehungen mit der Türkei.

Die harte Kritik des Botschafters zielt über Umwege auch direkt auf Deutschland und könnte eine wohl- kalkulierte Attacke gegen die von Angela Merkel postulierte Wende in der Integrationspolitik sein. Dass sich Ankara dafür österreichischen Boden aussucht, würde der internationalen Rolle des kleinen Landes als Vorfeld des größeren Nachbarn durchaus entsprechen. Zeitgleich bezeichnete der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu in Kuwait übrigens Merkels Bemerkung über das Scheitern des multikulturellen Konzepts als »bitteres Eingeständnis«.

Eine erste Reaktion des türkischen Außenministers auf das Interview, derzufolge Ankara nicht über die Aussagen Tezcans informiert worden war, lässt andererseits auch die Vermutung zu, dass es sich bei dem Interview um einen Versuchsballon gehandelt haben könnte, um mögliche Reaktionen auszuloten.

Die Stellungnahme des erfahrenen Diplomaten Tezcan, der zwischen 1987 und 1993 Generalkonsul in Hamburg war, zeigt in jedem Fall das erstarkende Selbstbewusstsein einer Türkei, die sich zunehmend von äußeren Einflüssen wie auch vom starren, vom Militär getragenen Atatürkismus im Inneren frei macht.

* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2010


Auszüge aus dem Interview in der Wiener "Presse"

Warum sind etwa Kinder kroatischer Eltern besser in der Schule?

Das ist sehr einfach. Weil die Kroaten Christen sind, sie sind willkommen in der Gesellschaft, die Türken nicht.

Vielleicht haben sie auch ein größeres Verlangen, sozial aufzusteigen.

Wenn man nicht willkommen ist und von der Gesellschaft immer an den Rand gedrängt wird, warum soll man dann Teil dieser Gesellschaft sein wollen?

Um besser als die anderen zu sein, um es ihnen zu zeigen.

Das ist eine westliche Mentalität. Wir haben nicht diese merkantilistische Philosophie. Unsere Philosophie im Islam lautet anders: Was immer du hast, von Gott gegeben, ist genug für dich. Das Einzige, was du tun musst, ist Gutes für deine Leute in der Familie und in deiner Umgebung. Die Türken in Wien helfen einander. Sie wissen, sie sind nicht willkommen.

Warum glauben Sie das?

In dieser Stadt, die behauptet, ein kulturelles Zentrum Europas zu sein, stimmten fast 30 Prozent für eine extrem rechte Partei. Wenn ich der Generalsekretär der UNO, der OSZE oder der Opec wäre, würde ich nicht hier bleiben. Wenn ihr keine Ausländer hier wollt, dann jagt sie doch fort. Es gibt viele Länder auf der Welt, in denen Ausländer willkommen sind. Ihr müsst lernen, mit anderen Leuten zusammenzuleben. Was für ein Problem hat Österreich?

(...)

Was hatten Sie für Erfahrungen mit österreichischer Gastfreundschaft?

Ich bin seit einem Jahr hier. Ich war nur einmal in das Haus einer österreichischen Familie eingeladen, vergangenes Wochenende in Krems. Es ist ein großer Unterschied zwischen Wien und dem Rest Österreichs. Wenn ich Wien verlasse, sind alle gastfreundlicher.

Es hat Sie niemand aus dem Außenamt zu sich nach Hause eingeladen?

Nein. Aber das macht nichts. Es laden mich so viele Türken ein.

Sie spiegeln sozusagen das Integrationsproblem auf höherem Niveau wider.

In den ersten Monaten nach seiner Ankunft macht ein Botschafter Höflichkeitsbesuche. Als ich um ein Treffen mit dem Außenminister ansuchte, hieß es, der Außenminister empfängt keine Botschafter. Können Sie das glauben? Ich bin ein Botschafter von 250.000 Menschen, die in diesem Land leben. Über welchen Dialog reden wir hier?

Aus: Die Presse, 9. November 2010 (Tezcan: "Warum habt ihr 110.000 Türken eingebürgert?")




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