"Welcher kurdische Politiker soll in Deutschland exekutiert werden?"
Ein Beitrag aus den wöchentlichen Informationen aus Kurdistan und der Türkei *
Der stellvertretene AKP-Vorsitzende Mehmet Ali Şahin hat auf einer Veranstaltung in seinem Wahlort Karabük bezugnehmend auf die Morde an drei PKK-Mitgliedern in Paris davor gewarnt, dass ähnliche Fälle auch in Zukunft in Deutschland passieren könnten.
Şahin erklärte, dass nun eine Phase seitens der Regierung eingeläutet wurde, in der die PKK dazu gebracht werde, ihre Waffen niederzulegen. „Aufgrund dessen befinden sich nun einige Kreise in Aufruhr. Sie versuchen alles in Gang zu setzen, um diese Phase zu sabotieren. Der Mord in Paris ist in diesem Kontext zu bewerten", so Şahin.
Zugleich kritisierte er die Haltung der europäischen Staaten, welche PKK-Verantwortliche in ihren Ländern angeblich schützen würden: „Wir machen die Länder der EU, Frankreich und Deutschland immer wieder darauf aufmerksam. Wir sagen ihnen, dass sie falsch handeln, indem sie die Mitglieder der PKK Terrororganisation in ihren Ländern freies Handeln gewähren. 'Ihr ernährt die Schlange in eurem Schoß', das sagen wir ihnen. Aber sie haben es bisher nie ernst genommen. Wir haben so oft die Auslieferung von PKK-Mitgliedern verlangt. Aber sie haben nie darauf reagiert. Aber so langsam sehen sie auch, was ihnen dadurch zustoßen kann. Ich befürchte, dass sich in den folgenden Tagen und Wochen auch in Deutschland ähnliche Vorfälle ereignen können. Deswegen denke ich, hat die Türkei die Verantwortung, sich von dieser Last zu befreien", erklärt Şahin.
Demirtaş: „Welcher kurdische Politiker soll in Deutschland exekutiert werden?“
Der Co-Vorsitzende der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Selahattin Demirtaş hat während einer Fraktionssitzung erklärt: „Der Ministerpräsident Erdoğan soll seine Bemühungen einstellen, die BDP nach seinem Wunsch umzuprogrammieren. Wir erwarten von ihm weder Mitleid noch Almosen. Wir fordern lediglich die Rechte eines entrechteten Volkes zurück."
Demirtaş hat auch zu den Morden in Paris und im Zuge dessen zu den Äußerungen Mehmet Ali Şahins, dem Stellvertretenden Vorsitzenden von Erdoğans AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung), Stellung bezogen.
Die Veröffentlichungen der französischen Staatsanwaltschaft sind unbefriedigend
Demirtaş hat auf die Erklärung der französischen Staatsanwaltschaft zum dreifachen Mord in Paris seine Enttäuschung zum Ausdruck gebracht: „Die Informationen, die die französische Staatsanwaltschaft zu diesem Fall veröffentlicht hat, sind nicht von besonderer Tragweite und befrieden unser Bedürfnis nach Aufklärung bei weitem nicht. Wir wollen wissen, wer und warum diese Morde begangen wurden. Dies aufzuklären, ist die dringlichste Aufgabe der französischen Ermittlungsbehörden und der Regierung, da ihnen die dafür benötigten Mittel bei weitem zur Verfügung stehen. Seit dem Mord an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez sind nunmehr 10 Tage vergangen und die französischen Ermittlungsbehörden wollen uns weismachen, dass dieses magere Ergebnis alles ist, was sie zu bieten haben. Ist das wirklich alles was sie erreicht haben? Der Staatsanwalt weist ja darauf hin, dass es Videoaufnahmen zum Beschuldigten gibt, die aufzeigen, wie er das Gebäude zum Büro betritt. Dies bedeutet wiederum, dass der Eingang zum Bürogebäude rund um die Uhr aufgezeichnet wird, so dass wir uns aufgrund der Masse des Materials ernsthaft fragen, ob das wirklich alles ist, was sie innerhalb der letzten 10 Tage herausbekommen haben. Bedeutet dieser Umstand, dass sie keine weiteren Informationen zum Fall ermitteln konnten?“
Demirtaş weist darauf hin, dass auch den türkischen Behörden eine Verantwortung zur Aufklärung des Falles zufällt. Demirtaş hinterfragt auch die Aussagen von Mehmet Ali Şahin, dass Morde dieser Art auch jederzeit in Deutschland passieren können. Demirtaş fordert daher den Ministerpräsidenten Erdoğan auf, Klarheit zu dieser Aussage zu schaffen und die Grundlage dieser indirekten Drohung offenzulegen. „Der Ministerpräsident soll daher offen legen, wer wen wo exekutieren wird. Wir wollen wissen, welcher kurdische Politiker laut Ihrer Liste als nächstes exekutiert werden soll? Sie müssen diesen Sachverhalt aufklären und offen legen, ob auch die Morde in Paris mit Ihrem Einvernehmen passiert sind. Ihr stellvertretender Vorsitzender erklärt punktgenau, wo die nächste Exekution stattfinden soll.
Entweder wird die Türkei offen legen, welcher kurdische Politiker in Deutschland ermordet werden soll oder Sie werden den Mord verhindern, da im Gegenteiligen Sie allein die Verantwortung zu übernehmen haben. Dies ist kein simpler Sachverhalt, so dass Sie, wenn Sie an einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage interessiert sein sollten, durch Ihr Verhalten Ihre ehrenhafte Motivation beweisen könnten. Daher sollte auch die türkische Regierung alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um diese Morde aufzuklären", so Demirtaş.
Eine faschistoide Staatspolitik
Auf die Aussage Erdoğans während der AKP-Fraktionssitzung, dass es keine „kurdische Frage“ gäbe, fragt Demirtaş: „Ich frage den Ministerpräsidenten Erdoğan, erkennen Sie das kurdische Volk als ein Volk an? Haben Sie vor, das kurdische Volk als ein Volk anzuerkennen? Die Antwort auf diese Frage ist zugleich der Beleg für das Verständnis und die Auslegung der momentanen Phase. Ihre Aussagen dahingehend, dass wir Brüder und Schwestern oder Gate und Gattin werden sollten, sind zwar nett, aber werden Sie uns auch als ein Volk anerkennen? Sie behaupten, dass es keine kurdische Frage gibt. Ich stimme Ihnen zu, denn es gibt viel mehr einen faschistoiden Staat mit einer Verleugnungs- und Assimilationspolitik. Jedoch glaube ich nicht, dass wir dasselbe anklagen."
Die Assimilation wird fortgeführt
Erdoğan hat auch behauptet, dass mit der AKP-Regierung die Assimilations- und Verleugnungspolitik ein Ende gefunden habe. Zu diesem Punkt hat Demirtaş folgendes angeführt: „Es ist eine Heuchelei zu behaupten, dass die Assimilation beendet ist. Es ist Ihr ernannter Gouverneur, der sich erst kürzlich gegen den in Amed (Diyarbakir) errichteten Park wegen seines kurdischen Namens ‚Beybun‘ gerichtet hat. Das Türkische wird zu einer olympischen Disziplin ausgebaut und das Kurdische darf sich nicht einmal im Namen eines Parks widerspiegeln. Die Kurden können nicht einmal ihre eigene Muttersprache nutzen und Sie behaupten, dass die Assimilation beendet wurde. Wer hat denn Ihrer Ansicht nach die Kurden erschaffen? Ihrer Weltanschauung nach hat ja der Schöpfer alle Völker gleich geschaffen. Dabei ist nicht die Rede von Verboten in Bezug auf die kurdische Sprache. Sie sagen zwar hin und wieder nette Dinge, aber die Realität sieht ganz anders aus. Statt unentwegt den Versuch zu unternehmen uns umprogrammieren zu wollen, sollten Sie sich vielleicht besser anschauen, was Sie angerichtet haben. Wir erwarten von Ihnen weder Mitleid noch Almosen. Wir fordern lediglich die Rechte eines entrechteten Volkes zurück. Falls es Ihnen daran liegt einen Dialog anzustoßen, so bitten wir auf diese Fragen zu antworten. Wenn die Erklärungen, die der Ministerpräsident in den letzten zehn Tagen abgegeben hat von uns gekommen wären, dann hätten uns die türkischen Medien längst an den Galgen gehängt. Der in Nisêbîn (Nusaybin) erschossene Polizist ist ein Mensch und seine Mutter hat ein Herz, aber auch die in Malatya aufbewahrten und ihren Eltern nicht ausgehändigten Leichname der Guerilla waren Menschen und ihre Mütter haben Herzen. Diese Phase wird eine Bewährungsprobe, aber wir haben vollstes Vertrauen in unser Volk und unsere Fähigkeiten."
Quelle: Nûçe - wöchentliche Informationen aus Kurdistan und der Türkei, Nr. 604, 25. Januar 2013, hrsg. von ISKU-Informationsstelle Kurdistan
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