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Kurden in Deutschland unter Druck

Beckstein fordert Distanzierung von PKK / Vereine geben Berlin Mitschuld an Entführung

Von Karin Leukefeld *

Kurdische Organisationen in Deutschland sehen sich wachsendem Druck ausgesetzt. Nach der Entführung dreier Bergsteiger in der Türkei durch eine PKK-Gruppe verlangt die Politik Distanzierungserklärungen.

Am Donnerstag (17. Juli) forderte Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) die 500 000 in Deutschland lebenden Kurden auf, sich von der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) zu distanzieren. Es schade der »Sache der Kurden massiv, wenn der Eindruck entsteht, dass hier lebende Kurden mit Terroristen, die Menschen kidnappen, sympathisieren«, sagte er in einem Interview.

Damit trägt Beckstein jedoch Eulen nach Athen. Die Entführung findet nicht den Beifall der Kurden in Deutschland. Vielmehr bemühen sich kurdische Organisationen um eine Freilassung. Am Donnerstag machten Vertreter der deutsch-kurdischen Dachorganisation Yek-Kom und des Kurdistan National Kongress (KNK) die Probleme dabei deutlich. Sie gaben Ankara und Berlin eine Mitschuld an dem Vorfall. Auch die Bundesregierung betreibe eine repressive Politik gegen die Kurden. Und derzeit erschwere das Agieren des türkischen Militärs eine Freilassung der Geiseln.

Die Kurden äußerten gar die Befürchtung, dass der Tod der Deutschen Ankara nicht ganz ungelegen käme. KNK-Sprecherin Nulifer Koc warf der türkische Armee vor, diese nehme den Tod der Deutschen billigend in Kauf, um die Tat anschließend den kurdischen Rebellen anzulasten.

Mit Terroristen in eine Ecke gestellt zu werden, damit müssen Kurden auch in Deutschland ständig leben. Dabei glaubt selbst der Berliner Innensenator Ehrhart Körting nicht, dass kurdische Unterstützer und Sympathisanten der PKK wieder für Unruhe auf deutschen Autobahnen sorgen könnten, wie noch im Jahre 1993. Damals hatten Blockaden und brennende Reifen zum Verbot der Betätigung für die PKK in Deutschland geführt. Seitdem werden von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft alle verfolgt, die durch eine Geldspende, eine Unterschrift oder das Heben einer PKK-Fahne auffallen. Sogar das Bild des früheren PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, der in türkischer Isolationshaft sitzt, ist verboten.

Schon lange nähmen Medien keine Notiz mehr von der Repression gegen kurdische Mitbürger in Deutschland, erläutert Monika Morres, Geschäftsführerin von AZADI e.V, einem Rechtshilfeverein, der verfolgten Kurden in Deutschland beisteht. (www.nadir.org/azadi) Als Anfang Juni die Medienproduktionsfirma VIKO und der kurdische Fernsehsender ROJ TV durch das Bundesinnenministerium verboten wurden, habe kein Medium sich dafür interessiert, sagt Morres. »Es gab keine Reaktion, nicht mal eine bösartige.« Es sei wie ein »organisiertes Totschweigen« gewesen. Auf die »spektakuläre Aktion der Geiselentführung« am Berg Ararat im Südosten der Türkei allerdings »stürzen sich die Journalisten.« Das Telefon habe fast nicht mehr stillgestanden.

Die aktuelle Empörung in Politik und Medien sei groß, doch einseitig. »Aber man muss sich doch fragen, warum etwas geschieht.« Morres hat den Eindruck, »dass Journalisten wenig Hintergrundwissen über die Situation der Kurden in der Türkei« haben. Der Alltag vieler Kurden in der Türkei sei nach wie vor bestimmt von Überfällen des Militärs und der Polizei auf zivilgesellschaftliche Gruppen, auf Parteibüros der DTP, die sogar im türkischen Parlament vertreten sei, »die täglichen Nadelstiche der Repression« seien so gut wie nie Thema deutscher Medien. »Der Versuch der Kurden, sich selbst einzubringen in eine Demokratisierung der Türkei wird ignoriert.«

Die deutsche Verbotspolitik gegen kurdische Medien sei »politisch motiviert«, meint Monika Morres. Andere Staaten wie Frankreich und England könnten dem Druck der Türkei besser widerstehen. Das Verbot gegen den Sender ROJ TV sei nicht das erste Beispiel für die enge deutsch-türkische Zusammenarbeit gegen kurdische Medien. Vor drei Jahren hatte Innenminister Otto Schily die Tageszeitung Özgür Politika verboten. Einen Monat später wies das Bundesverwaltungsgericht das Verbot als rechtswidrig zurück.

Dem PKK-feindlichen Klima in Deutschland können sich scheinbar auch gestandene Politiker nicht entziehen. Eine kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag zum Verbot des Fernsehsenders ROJ TV und der Produktionsfirma VIKO wurde »fraktionsintern auf Eis gelegt«, hieß es im Büro der Abgeordneten Ulla Jelpke. Ein Antrag zur Aufhebung des PKK-Verbots wurde gestoppt. »Das Verhältnis zur PKK (müsse) überdacht« werden, sagte Pressesprecher Michael Schlick auf Nachfrage. Ansonsten gelte der Artikel von »Spiegel Online«, in dem der Vize-Fraktionsvorsitzende Bodo Ramelow mit dem Satz zitiert wurde: »Wir können uns nicht für die PKK in einer Phase einsetzen, in der sie Geiseln nimmt.«

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juli 2008


Türkei kein Urlaubsland

Von Julius Kaiser **

Die kurdische Guerilla der PKK ist bereit, die Anfang Juli in der Osttürkei verschleppten bayerischen Bergsteiger sofort frei zu geben. Das erklärten Vertreter des »Kurdistan-Nationalkongresses« (KNK) und der »Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland« Yek Kom am Donnerstag in den Räumen der Berliner Bundespressekonferenz. »Wir fordern die Bundesregierung auf, alles zu unternehmen, daß die türkischen Militäroperationen am Berg Ararat eingestellt werden und die Bergsteiger unversehrt zu ihren Familien zurückkehren können«, sagte KNK-Vertreterin Nilüfer Koc. Die Freilassung der Männer werde durch die türkische Armee verhindert. »Die Guerilla kann die Bergsteiger nicht freilassen, solange geschossen wird«, so Koc. Es sei zudem zu befürchten, daß das Militär sie nach ihrer Freilassung ermorde, um dies dann der PKK in die Schuhe zu schieben. Daher habe der KNK das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gebeten, die Gefangenen entgegenzunehmen. Doch die türkische Seite habe der Hilfsorganisation das Betreten des Gebietes untersagt.

Es handle sich bei der Geiselnahme nicht um eine politische Entscheidung der PKK, sondern um ein Zeichen der Wut einer Guerillaeinheit über die Repression gegen Kurden und das Verbot des kurdischen Fernsehsenders Roj TV in Deutschland. »Leider darf Roj TV aufgrund des Verbots nicht von unserer Pressekonferenz berichten. So ist es uns nicht möglich, direkt an die Guerilla zu appellieren«, erklärte die kurdische Politikerin. Sie wies Me­dienberichte zurück, wonach die PKK in Deutschland Gewaltaktionen plane oder deutsche Firmen in der Türkei attackieren wolle, stellte jedoch klar: »Die Türkei ist Kriegsgebiet und kein Urlaubsland.« KNK-Vertreter hätten auch direkten Kontakt mit den Familien der gefangenen Bergsteiger aufnehmen wollen. Dies sei jedoch von der bayerischen Polizei untersagt worden, so Koc gegenüber jW. Sie monierte zudem, der Krisenstab der Bundesregierung habe bisher kein einziges Mal den Kontakt zu kurdischen Organisationen in der BRD gesucht.

In Deutschland wie in der Türkei müsse aufgehört werden, die kurdische Frage als polizeilich oder militärisch zu lösendes Problem zu behandeln, forderte der stellvertretende Yek-Kom-Vorsitzende Mehmet Demir. Die verschärfte Repression gegen Kurden in Deutschland erschwere es der Föderation, die 65 Vereine mit 40000 Mitgliedern in Deutschland vertritt, integrativ zu wirken.

Die Abgeordneten der Fraktion Die Linke Inge Höger und Ulla Jelpke schlossen sich in einer Presseerklärung der Forderung an, die Bundesregierung solle auf ein Ende der Militäroperationen am Ararat drängen, um die sichere Übergabe der festgehaltenen Deutschen an das Rote Kreuz zu ermöglichen.

Unterdessen hat die Linksfraktion ihren erst Ende Juni eingereichten Antrag »Friedliche Lösung der kurdischen Frage stärker ins Zentrum der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stellen« wieder zurückgezogen. Darin war auch ein Ende des seit 15 Jahren bestehenden Betätigungsverbots der PKK in Deutschland gefordert worden. »Wir können uns nicht für die PKK in einer Phase einsetzen, in der sie Geiseln nimmt«, begründete Fraktionsvize Bodo Ramelow den Schritt gegenüber Spiegel online.

** Aus: junge Welt, 18. Juli 2008


Zensur in Ankara

Türkisches Innenministerium schließt linksgerichteten Fernsehsender. Föderation der Demokratischen Arbeitervereine startet Solidaritätskampagne

Von Mehmet Ata *


Auf dem Kanal, wo der Fernsehsender Hayat TV zu empfangen war, ist seit Mittwoch nachmittag nur ein schwarzes Bild zu sehen. Auf Druck des Innenministeriums und des »Obersten Rates Radio und Fernsehen« wurde der linksgerichtete türkische Sender, der auch in Europa empfangen werden konnte, abgeschaltet.

Den Machern von Hayat TV wird vorgeworfen, der seit 2004 aus Dänemark über Satellit sendenden pro-kurdischen Station »Roj TV« bei ihrer »Propaganda« geholfen und damit die Arbeiterpartei Kurdistans PKK unterstützt zu haben. Das weist Hayat TV entschieden von sich. Die Macher des Programms vermuten die Gründe woanders: »Hayat TV wurde wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der AKP-Politik abgeschaltet«, erklärte der Leiter des Senders, Aydin Cubukcu, am Donnerstag in Istanbul vor Journalisten.

Schlag gegen Pressefreiheit

Die regierende islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) versucht seit geraumer Zeit, ihren Einfluß auf die Medien zu vergrößern. Der neueste Coup war die Übernahme der Mediengruppe Sabah-ATV durch die AKP-nahe Calik Holding. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wird vorgeworfen, die Holding bei den Verhandlungen begünstigt zu haben. Jetzt soll der AKP-Einfluß offenbar dadurch ausgebaut werden, daß man einen regierungskritischen Sender schließen läßt.

Sehr schnell hat sich auch in Deutschland Protest gegen die Zensurmaßnahme des türkischen Staates formiert: Der Vorsitzende der türkischen Föderation der Demokratischen Arbeitervereine (DIDF), Hüseyin Avgan, kündigte am Donnerstag gegenüber junge Welt eine Unterstützungskampagne an. »Wir können der Sperrung nicht einfach so zusehen. Die Begründung für die Schließung ist mehr als fadenscheinig.«

Auch aus Deutschland sendet Hayat TV. In seinem Kölner Studio stehen Themen rund um türkischstämmige Migranten in Deutschland und die Beziehungen der Türkei zu Europa ganz oben auf der Liste. »Wir leisten einen wichtigen Beitrag für das Zusammenleben der Menschen«, sagt Kurtulus Mermer, Leiter des Deutschlandbüros. Hayat TV produziert nicht nur in Deutschland, er konnte hier auch empfangen werden. Der Sender war für die rund zwei Millionen Türkischstämmigen eine Möglichkeit, sich in der Herkunftssprache über das politische Leben in Europa zu informieren. Deshalb folgert der DIDF-Vorsitzende Avgan: »Die Schließung von Hayat TV ist ein Schlag gegen die Pressefreiheit in der Türkei und für das friedliche Miteinander der Menschen in Deutschland.«

Breiter Protest

Weil DIDF das nicht akzeptieren will, hat die Organisation, in der hauptsächlich türkisch- und kurdischstämmige Arbeiter in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz organisiert sind, eine Unterschriftenkampagne gestartet. Nafiz Özbek vom IG-Metall-Vorstand, der Schriftsteller Metin Gür und die Europa-Abgeordnete Feleknas Uca haben den Aufruf bereits unterzeichnet. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke), die ebenfalls zu den Erstunterzeichnern gehört, sieht einen massiven Eingriff in die Presse- und Medienfreiheit. »Ich protestiere entschieden gegen die Sperrung und fordere, das Verbot schnellstens aufzuheben«, erklärte sie gegenüber junge Welt. Auch eine Postkartenaktion ist geplant. »Das türkische Innenministerium und der Satellitenbetreiber sollen eine Flut von Protestkarten erhalten«, so Avgan. Kommende Woche werde eine Delegation mit bekannten Persönlichkeiten in die Türkei reisen, um Hayat TV zu unterstützen. ** Aus: junge Welt, 18. Juli 2008


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