Zuckerbrot und Peitsche
Türkische Regierung bemüht sich um langfristigen Waffenstillstand mit der PKK
Von Nick Brauns *
Die kurdische Frage ist rund acht Monate vor der nächsten Parlamentswahl
in den Fokus der türkischen Politik zurückgekehrt. Die
islamisch-konservative AKP-Regierung hat nach dem für sie erfolgreichen
Verfassungsreferendum vom 12. September eine Reihe von Maßnahmen
ergriffen, um die Arbeiterpartei Kurdistans PKK zu einem langfristigen
Waffenstillstand zu bewegen. Dabei setzt die AKP wie bereits bei ihrer
»kurdischen Öffnung« im vergangenen Jahr, die sich schließlich als
Luftnummer erwiesen hat, auf Zuckerbrot und Peitsche. So traf sich die
Regierung nicht nur mit Abgeordneten der prokurdischen Partei für
Frieden und Demokratie BDP, sondern gab erstmals auch zu, einen Dialog
mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan zu führen. Als Resultat
dieser Gespräche erklärte Öcalan Anfang Oktober gegenüber seinen
Anwälten, die AKP werde nach der Parlamentswahl Protokolle zur Gewährung
demokratischer Rechte der Kurden einbringen, eine Kommission für eine
neue Verfassung einsetzen und die Menschenrechtsverletzungen der
Vergangenheit untersuchen lassen.
Neben solchen unter Ausschluß der Öffentlichkeit gegenüber dem
PKK-Führer getätigten Versprechungen setzt die AKP weiterhin auf die
repressive Karte. So beantragte die Regierung vergangene Woche im
Parlament eine Verlängerung des Mandats für grenzüberschreitende
Militäroperationen. Der türkische Innenminister Besir Atalay einigte
sich Ende September in Ankara mit seinem deutschen Amtskollegen Thomas
de Maizière auf die Bildung einer gemeinsamen Antiterrorkommission
insbesondere gegen PKK-Finanzquellen in Deutschland. Schließlich hat die
dänische Generalstaatsanwaltschaft, wie schon lange von türkischer Seite
gefordert, vergangene Woche ein Verbot des in Dänemark lizensierten
kurdischen Satellitensenders Roj TV beantragt.
Weiterhin bemüht sich die AKP-Regierung analog zu den gegen die PKK
aufgestellten Dorfschützermilizen um die Schaffung »politischer
Dorfschützer«. Der türkische Innenminister Besir Atalay suchte hierzu
den Präsidenten der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, Masud
Barsani, auf, dessen Aufgabe darin bestehen soll, prominente kurdische
Politiker zu einer Einflußkommission gegenüber der PKK zu formieren.
Diese Bemühungen der Regierung um die Einbindung ihr genehmer
konservativer Kurden zielen auch auf die ostanatolischen
Unternehmerverbände, die sich für ein Ja beim Verfassungsreferendum
ausgesprochen hatten.
Beobachter wie das Aspen-Institut für Außenpolitik in Colorado gehen
davon aus, daß die treibende Kraft in diesem Prozeß die USA sind. So
stand am Anfang der jetzigen Manöver der Erdogan-Regierung Mitte
September ein Besuch des türkischen Geheimdienstchefs Hakan Fidan in den
USA. Die US-Regierung sicherte Fidan zwar zu, weiterhin auf die
europäischen Partner einzuwirken, damit diese gegen Medien und
Geldquellen der PKK vorgehen. Doch diese Maßnahmen würden von den
Europäern nur gebilligt, wenn zugleich politische Schritte zur Lösung
des Kurdenproblems erkennbar seien.
Der US-Regierung geht es darum, die von ihr aufgrund ihres neoliberalen
Kurses favorisierte AKP an der Regierung zu halten und nach dem
Teilrückzug ihrer Kampftruppen aus dem Irak die regionale Stabilität zu
sichern. In Washington hat sich dabei die Erkenntnis durchgesetzt, daß
eine einseitig repressive Strategie zur Aufstandsbekämpfung nicht
ausreicht. So hatte die PKK während einer Guerillaoffensive im Sommer
ihre militärischen Fähigkeiten trotz fortgesetzter Bombardierungen ihrer
Stellungen unter Beweis gestellt. Ebenso hat die zivile kurdische
Bewegung trotz der Verhaftungen von über 1700 Kommunalpolitikern während
der letzten anderthalb Jahre ihre Stärke beim massiv befolgten Boykott
des Verfassungsreferendums und einem nachfolgenden Schulstreik gezeigt.
* Aus: junge Welt, 11. Oktober 2010
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