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Bundesregierung wegen Rüstungsexporten in der Kritik

Zum Weltfriedenstag prangert die Kampagne "Tatort Kurdistan" deutsche Waffenlieferungen in die Türkei an

Von Stefan Otto *

Durch ihre Rüstungsexporte mache sich die Bundesrepublik mitverantwortlich für die militärische Auseinandersetzung in der Türkei, kritisieren antimilitaristische Gruppen. Darauf wollen sie heute bundesweit mit Aktionen aufmerksam machen.

Seine Heimatstadt Sirnak im Südosten der Türkei erinnert den Kurden Fehmi H. an ein Gefängnis: »Zehntausende Soldaten sichern die Stadt. Auf der Straße kann man von einem Checkpoint zum anderen schauen, und es herrscht eine gespenstische Ruhe.« Die Lage hat sich in den kurdischen Provinzen zugespitzt. Der 24-jährige Fehmi H. macht die Kommunalwahlen im Frühjahr 2009 als Ursache für eine neuerliche Eskalation fest. Nachdem die mittlerweile verbotene kurdische demokratische Partei DTP große Stimmengewinne erzielte, änderte sich das Klima. Seitdem gibt es auf Demonstrationen immer wieder willkürliche Verhaftungen und drakonische Bestrafungen. Die »kurdischen Öffnung«, von der Ministerpräsident Erdogan sprach, lässt weiter auf sich warten.

Vorwürfe erheben auch deutsche Menschenrechtler. Amnesty International findet es besorgniserregend, dass die Bundesregierung der Türkei Kleinwaffen und Panzer trotz des anhaltenden Konflikts in den kurdischen Gebieten liefert. Von 2006 bis 2008 hat die Bundesregierung 289 Panzer sowie zahlreiche Schusswaffen dorthin exportiert. Die Türkei sei der wichtigste Abnehmer von deutschen Rüstungsexporten, kritisiert auch die Kampagne »Tatort Kurdistan«. Deutsche und kurdische Gruppen und Organisationen haben sich vor einem halben Jahr zu diesem bundesweiten Netzwerk zusammengeschlossen, um auf die deutsche Unterstützung für die Kampfhandlungen in der östlichen Türkei hinzuweisen.

»Eine Menschenrechtsdelegation hat im Frühjahr in der Region um Sirnak einen deutschen Leopard-2-Panzer im Einsatz gesehen«, berichtet Ellen Jaedicke von »Tatort Kurdistan«. Zur gleichen Zeit versprach Kanzlerin Angela Merkel der Türkei eine weitere Lieferung von 56 Panzern. Gegen diese Exporte protestiert »Tatort Kurdistan« am heutigen Weltfriedenstag in mehr als zehn Städten: So finden in Düsseldorf und Kiel Demonstrationen statt, in Bremen führen Aktivisten ein Schauspiel auf, Kundgebungen gibt es in Nürnberg und Hamburg, und in Berlin veranstaltet die Kampagne ein politisches Festival auf dem Heinrichplatz.

Im Juni stellte die Linksfraktion im Bundestag eine Anfrage an die Regierung über diese Rüstungslieferungen. Die Fraktion findet wie »Tatort Kurdistan«, dass die Öffentlichkeit über die Verwendung der Waffen in der Türkei informiert werden müsse. In ihrer Antwort gibt die Bundesregierung zu, dass sie keine vertraglichen Zusicherungen habe, die der türkischen Regierung verbiete, die gelieferten Waffen, Munition und Rüstungsgüter auch bei internen Konflikten und bei grenzüberschreitenden Militäraktionen zu verwenden. Allerdings beruft sich die Regierung auf die Europäische Union, die 2005 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen habe. Seinerzeit habe eine EU-Kommission festgestellt, »dass die Türkei die politischen Kopenhagener Kriterien (insbesondere Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten) hinreichend erfüllt«.

Doch mehren sich Hinweise aus den kurdischen Provinzen, dass dies immer weniger geschieht: So wurde gegen den Bürgermeister der größten kurdischen Stadt Amed (Diyarbakir) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil er sich in einer Rede für eine demokratische, autonome Kurdenregion innerhalb des türkischen Staates ausgesprochen hatte. Er gehört der BDP an, der Nachfolgepartei der DTP. Ende Juli sorgte ein Mord in der Nähe von Sirnak für Schrecken unter der kurdischen Bevölkerung. Nachdem ein Taxifahrer spurlos verschwunden war, erhielt sein Bruder eine SMS, auf der stand: »Wir als Organisation haben euren Mann getötet. Wir werden noch viele auf diese Weise töten.« Die BDP in Sirnak erinnert das Vorgehen an Morde aus den 90er Jahren, als Menschen von Geheimdienstlern, Soldaten und Dorfschützen umgebracht worden seien, einzig um Macht zu demonstrieren.

Fehmi H. beantragte in Deutschland vor zwei Monaten Asyl. »Als ich vier Jahre alt war, bin ich schreiend vor meinem Vater weggelaufen, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde - weil er von den Folterungen entstellt war.« Seitdem hat er Angst vor Soldaten. Nun sollte er selbst zum Militär eingezogen werden. Den Dienst verweigerte der Kurde, was ihm bis zu zwölf Jahre Gefängnis einbringen kann.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2010


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