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"BRD gießt durch Rüstungsexporte noch Öl ins Feuer"

Rolle Deutschlands im türkisch-kurdischen Konflikt: Warum der »Tatort Kurdistan« beim Antikriegstag am Mittwoch nicht vergessen werden soll. Ein Gespräch mit Ellen Jaedicke

Ellen Jaedicke gehört zu den Initiatorinnen und Initiatoren der Kampagne »Tatort Kurdistan«

Seit Anfang Mai läuft die Kampagne »Tatort Kurdistan«, die sich gegen deutsche Rüstungsexporte richtet. Wie beurteilen Sie die Entwicklung in den kurdischen Gebieten der Türkei, die seither stattgefunden hat?

Die Situation dort ist eskaliert. Der einseitige Waffenstillstand der kurdischen Seite konnte die Situation nicht entschärfen. Die türkische Seite hat weder ihre Militäroperationen eingestellt noch die Repression gegen zivile Aktivistinnen und Aktivisten der kurdischen Befreiungsbewegung gestoppt. Deshalb ist unser Ziel nach wie vor aktuell. Allerdings stellen wir die Türkei nur als Beispiel heraus, weil sie der größte Abnehmer deutscher Rüstungsexporte ist. Das Geschäft mit dem Krieg lehnen wir generell ab.

Wie schätzen Sie den Wissens- und Informationsstand über den kurdisch-türkischen Konflikt in der deutschen Bevölkerung ein?

Ich gehe davon aus, alle wissen, daß Rüstungsexporte stattfinden und daß deutsche Waffen auch in den kurdischen Gebieten eingesetzt werden. Die militärische Zusammenarbeit reicht jedoch darüber hinaus. Ich denke nicht, daß sich die Normalbevölkerung hierzulande die Zusammenhänge klarmacht und die deutsche Rolle in diesem Konflikt richtig einschätzt. Die BRD gießt ja nicht nur durch Rüstungsexporte Öl ins Feuer. Zum Beispiel werden hier türkische Polizisten und türkische Streitkräfte zum Vorgehen bei Demonstrationen ausgebildet, oder vom BKA zur sogenannten Terrorismusbekämpfung.

Die Beteiligung deutscher Firmen an problematischen Energieprojekten wie dem Ilisu-Staudammprojekt, das neben der antiken Stadt Hasankeyf auch die Existenz vieler Anwohner bedroht, konnte durch langjährige Proteste verhindert werden. Der Energiekonzern RWE ist jedoch nun mit 16,7 Prozent am Bau der Nabucco-Erdgaspipeline beteiligt. Das Erdgas soll aus dem Nahen Osten und der Region am Kaspischen Meer geliefert werden. Knotenpunkt ist Kurdistan, wobei die Interessen der Bevölkerung im Ursprungsgebiet keine Rolle spielen. Ein weiterer Aspekt ist die Flüchtlingspolitik der BRD. Die Regierung blendet ihre Verantwortung für das Entstehen von Fluchtursachen völlig aus. Auch dafür wollen wir die Öffentlichkeit sensibilisieren.

Mit Erfolg?

Ein Erfolg ist das inzwischen sehr breite Spektrum an Unterstützern. Neben deutschen und kurdischen, antifaschistischen und internationalistischen Gruppen unterstützen Gliederungen der Partei Die Linke unsere Kampagne. Für das Konzert und die Kundgebung am Mittwoch, dem Antikriegstag, auf dem Heinrichplatz in Berlin konnten wir auch lokales Gewerbe und die junge Welt als Medienpartner gewinnen. In den kurdischen Medien wurde die Kampagne sehr gut aufgenommen. Es gab mehrere Artikel in der Özgür Politika – der größten kurdischen Tageszeitung in Deutschland. Auch beim kurdischen Fernsehsender ROJ TV gibt es Ankündigungen und Berichte. Im deutschsprachigen Raum haben vor allem linke Medien berichtet.

Bürgerliche Medien haben bisher nicht reagiert. Allerdings denke ich, daß am Antikriegstag, den wir zum vorläufigen Höhepunkt der Kampagne machen wollen, doch noch eine breitere Öffentlichkeit erreicht wird. Nicht nur in Berlin, auch in Bremen, Frankfurt/Main, Nürnberg und Erfurt sind Aktionen geplant.

Sind Ihnen während der Kampagne nicht auch Deutsche und hier lebende Türken begegnet, die den Einsatz deutscher Waffen dort für gerechtfertigt halten? Spätestens seit dem Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK hat die kurdische Bewegung in Deutschland ein Terroristenimage.

Sicher. Das dient ja als Hauptargument gegen ein Verbot von Rüstungsexporten. In der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage vom Juni 2010 heißt es sinngemäß auf die Frage, wie hoch das Risiko eines Einsatzes deutscher Waffen gegen die kurdische Bevölkerung durch die türkischen Streitkräfte ist: »Die Bundesregierung, wie auch die EU, unterstützen die Türkei bei der Bekämpfung des Terrorismus.«

Interview: Claudia Wangerin

* Aus: junge Welt, 30. August 2010


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