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Ankara verschärft Kurdenkonflikt

Polizei prügelte 14-Jährigen ins Koma / Repressionswelle gegen Partei DTP

Von Martin Dolzer *

In der Türkei wurde ein 14-Jähriger von einem Polizisten ins Koma geprügelt. Die Repressionswelle gegen die pro-kurdische Partei DTP hält nach deren Erfolg bei Kommunalwalen an.

In der Provinz Hakkari sind bei Protesten gegen die anhaltenden Repressionen am Donnerstag (23. April) mindestens acht Personen schwer verletzt und 15 festgenommen worden. Ein 14-jähriger Junge wurde dabei von einem Polizisten eines Sondereinsatzkommandos mit dem Schaft eines Gewehrs durch Schläge auf den Kopf bewusstlos geprügelt. In der Folge trat der Polizist mehrmals mit voller Wucht gegen den Kopf des Jungen, so dass dieser ins Koma fiel. Der Übergriff wurde filmisch dokumentiert, die erschreckenden Bilder wurden unter anderem auf dem Fernsehsender CNN Türk ausgestrahlt. Der 14-Jährige befindet sich zurzeit auf der Intensivstation eines Krankenhauses in Van. Der ebenfalls 14-jährige Abdulsemat Erip ertrank am Freitag (24. April) , als er auf der Flucht vor Gasbomben, die die Polizei direkt in eine Gruppe schoss, in einen Fluss fiel. Die Kinder, zu denen er gehörte, wurden von der Polizei, nach übereinstimmenden Berichten der Kinder und von Zeugen, beim Fußballspielen und nicht bei Protesten angegriffen. In Hakkari kommt es seit diesen Vorfällen zu drastischen Auseinandersetzungen. Bereits am 4. April waren auf einer Demonstration nahe Sanliurfa zwei Menschen bei einen Polizeieinsatz tödlich verletzt worden.

Während Polizisten nach Misshandlungen sowie Übergriffen mit schweren Verletzungen als Folge in der Türkei bisher meist straffrei blieben, verurteilte das Schwurgericht in Diyarbakir, ebenfalls am Donnerstag, vier Kinder zu sechs Jahren und elf Monaten Haft. Ihnen wurden aufgrund von vermeintlichen Steinwürfen auf einer Kundgebung unter anderem die Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen. Ein 2006 erlassenes Antiterrorgesetz, dass von internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird, da es gegen etliche internationale Konventionen verstößt, wird als Legitimation eines solchen Vorgehens herangezogen. Mittlerweile mehren sich landesweit die Stimmen aus sämtlichen politischen Lagern gegen die anhaltende Repressionswelle und die trotz einseitigen Waffenstillstands der PKK weiter ausgeweiteten Militäroperationen.

Während die Zahl der inhaftierten Politiker und Aktivisten der DTP auf über 300 anstieg, wurde eine große Anzahl der letzte Woche Festgenommenen in Untersuchungshaft übergeführt. Darunter sind drei Vizevorsitzende der Partei und der Bürgermeisterkandidat aus Agri, Murat Özturk, dem nur aufgrund von Wahlbetrug der Einzug ins Rathaus verwehrt wurde, sowie 20 Mitglieder des Jugendverbandes der DTP aus Istanbul und Batman.

Die Fraktion der Partei hielt unterdessen in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag (22./23. April) im türkischen Parlament ein Sit-in ab. Die Vorsitzende der DTP-Fraktion, Emine Ayna, zum Vorgehen der staatlichen Organe: »Ziel der strategischen Maßnahmen der Regierung ist es, die viertgrößte oppositionelle Partei der Türkei aus der demokratischen Politik zu vertreiben.«

Die den Verhaftungen zugrunde liegenden Anschuldigungen basieren lediglich auf Vorwürfen gegen die Programmatik der basisorientierten, sozialistischen DTP. Unter den Inhaftierten befinden sich sehr viele Frauen. Ayna weiter: »Diese Praxis richtet sich auch gegen die Emanzipation der Frau. Die positiven Ergebnisse jahrelanger Kämpfe der Frauenbewegung sollen so zunichte gemacht werden.«

Die DTP ist die einzige im Parlament vertretene Partei, die eine Frauenquote einhält und sich in ihrer politischen Arbeit auf allen Ebenen für das Aufbrechen feudalistischer Strukturen einsetzt. 14 der 19 Bürgermeisterinnen, die in der gesamten Türkei gewählt wurden, gehören der DTP an.

* Aus: Neues Deutschland, 25. April 2009


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