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Türkei mit Härte gegen Israel

Ankara offenbar bereit zum Bruch der Blockade Gazas

Von Rainer Rupp *

Nach der Veröffentlichung des sogenannten Palmer-Berichts der UNO zur israelischen Erstürmung des türkischen Schiffes »Mavi Marmara« am 31. Mai 2010 schlägt die Türkei eine harte Gangart gegen den jüdischen Apartheid-Staat ein. Der Report wirft Israel »exzessive und unverhältnismäßige Gewaltanwendung« beim militärischen Überfall auf die Gaza-Hilfsflotte am 31. Mai 2010 vor, bewertet die Blockade des Gazastreifens aber als legal. Am Sonntag verweigerte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erneut eine Entschuldigung für die Ermordung von acht türkischen Staatsbürgern und eines türkischstämmigen US-Bürgers.

Ankara wies noch am Freitag den israelischen Botschafter aus und kündigte die militärische sowie die umfangreiche rüstungstechnische Zusammenarbeit auf. Die Börsenkurse der entsprechenden israelischen Unternehmen sackten daraufhin deutlich ab. Am Sonnabend erklärte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu vor Journalisten außerdem, daß sein Land eine Einsatzgruppe der Kriegsmarine ins östliche Mittelmeer schicken werde, um dort die illegalen Blockadeaktivitäten der israelischen Marine gegen Gaza zu überwachen.

Unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten hochrangigen Vertreter der Regierung in Ankara präzisierte die türkische Tageszeitung Hürriyet die politischen Absichten, die hinter der Flottenentsendung stecken: »Das östliche Mittelmeer wird nicht länger ein Ort sein, wo die israelische Kriegsmarine nach belieben zivile Schiffe schikanieren kann«. Bei ihren Patrouillenfahrten hätten die türkischen Kriegsschiffe den Auftrag, gegenüber den israelischen Provokationen »eine aggressivere Strategie« zu verfolgen«.

Die israelische Tageszeitung Haaretz interpretierte dies so, daß schon bald »türkische Kriegsschiffe zivile Schiffe mit Hilfsgütern für Palästina bei ihrer Fahrt zum Gazastreifen beschützen werden«. Ein weiteres Ziel des türkischen Plans sei, so Haaretz, »die Freiheit der Schifffahrt in der Region zwischen Zypern und Israel sicherzustellen«. Dort bohrt der mit der Türkei verfeindete Inselstaat gemeinsam mit Israel nach Öl und Gas. Beide Länder versuchen, den freien Schiffsverkehr in einem Gebiet zu unterbinden, das nach türkischer Lesart zu den internationalen Gewässern gehört.

Vorerst aber soll nach dem Willen Ankaras der Internationale Gerichtshof über die Legalität der Blockade Gazas entscheiden. Davutoglu bekräftigte am Sonnabend, daß Ankara in dieser Woche eine entsprechende Klage in Den Haag einreichen werde. Zugleich kündigte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an, sein Land werde die Bemühungen der Palästinenser um staatliche Anerkennung durch die Vereinten Nationen mit ganzer Kraft unterstützen. Die Abstimmung darüber ist für den 20. September in der UN-Generalversammlung in New York vorgesehen. Zudem will Erdogan noch vor dem 20. September als erster amtierender Regierungschef dem Gaza-Streifen einen offiziellen Besuch abstatten, »um die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Zustände in Gaza zu lenken und die Internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, das von Israel durchgesetzte illegale Embargo zu beenden«, so der namentlich nicht genannte Regierungsvertreter in Hürriyet.

Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) bezeichnete den UN-Bericht als »inakzeptabel«. Die Blockade sei eine »unberechtigte kollektive Strafe«, und Israel müsse gezwungen werden, das Embargo aufzuheben, sagte der türkische OIC-Generalsekretär Ekmeleddin Ihsanoglu. Die Palästinensische Autonomiebehörde wies den UN-Bericht als »schlecht und negativ« zurück. Es handle sich um einen »politisch« motivierten Bericht, der das Völkerrecht verletze, sagte der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat. Israels Vorgehen gegen das palästinensische Volk im Gazastreifen habe ein »Niveau von Kriegsverbrechen« erreicht.

* Aus: junge Welt, 5. September 2011


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