Schwieriger Neustart Israel-Türkei
Ankaras Premier Erdogan braucht Zugeständnisse
Von Jan Keetman, Istanbul *
Nachdem Debakel um die von Israel gestoppte Gaza-Hilfsflottille und dem
Tod von neun türkischen Aktivisten gibt es nun wieder Gespräche zwischen
beiden Regierungen.
Die Gesprächsrunde in einem Hotelzimmer in Brüssel begann so geheim,
dass nicht einmal der israelische Außenminister Lieberman davon
unterrichtet war. Alle Zeichen stehen auf einen schwierigen Neustart der
ramponierten Beziehungen, wobei Gesichtswahrung nicht das geringste
Problem ist. Die Uneinigkeit beginnt bereits bei der Frage, auf wessen
Initiative die Gespräche zwischen dem türkischen Außenminister Davutoglu
und dem israelischen Minister für Industrie und Landwirtschaft Ben
Eliezer zustande gekommen sind. Nach Davutoglu haben die Israelis
angefragt. Die türkische Ehre gebietet diese Antwort. Laut Israels
Ministerpräsident Netanjahu haben die Türken angefragt. Etwas anderes
kann auch er kaum sagen, zumal alles andere auch seinen ohnehin schwer
gekränkten Außenminister und Koalitionspartner Lieberman noch mehr
demütigen würde. Letztlich wird es aber so sein, wie die israelische
Zeitung »Haaretz« schrieb - dass die Gespräche auf Druck und von der
USA-Regierung arrangiert wurden.
Am Rande des G20-Gipfels in Toronto hatten sich Erdogan und Obama
getroffen und dabei wurde wohl Klartext geredet. Die Türkei willigte in
die Gespräche ein, konnte es aber nicht lassen, mit der Verweigerung der
Durchflugsgenehmigung für ein israelisches Militärflugzeug gleichzeitig
Stärke zu demonstrieren. Netanjahu schickte, vielleicht auch auf
US-amerikanische Empfehlung, lieber den Türkeifreund Ben Eliezer statt
des Hardliners Lieberman, obwohl er so eine Koalitionskrise riskierte.
Ein sichtbares Ergebnis hat das zweieinhalbstündige Gespräch in einem
Hotelzimmer noch nicht gebracht. Auf dem Tisch liegen vier türkische
Forderungen: Israel soll sich für den Angriff entschuldigen und den
Familien der Toten Entschädigung zahlen. Es soll eine internationale
Untersuchungskommission eingesetzt werden, und das Gaza-Embargo soll
aufgehoben werden.
Wenn Israel auf keiner dieser Forderungen eingeht, so wird das für die
Regierung Erdogan auch ein innenpolitisches Problem. Der
Ministerpräsident hat große Erwartungen geweckt und droht nun sein
Gesicht zu verlieren, wenn er ohne Erfolg zurückrudern muss. Überdies
herrscht Wahlkampfatmosphäre in der Türkei. Im September muss die
Regierung ein für sie wichtiges Referendum gewinnen, in einem Jahr
stehen Parlamentswahlen an, selbst vorgezogene Neuwahlen sind möglich.
Der türkische Außenpolitikexperte Candar meint, dass es Erdogan wohl
genügen könnte, wenn die beiden ersten Forderungen erfüllt würden. Dies
müsse aber bald geschehen. Wie weit man in Washington noch daran
interessiert ist, Erdogan weiter zu stützen, bleibt eine andere Frage.
Doch hilft man ihm nicht, könnte es zur Eskalation kommen. Die
verweigerten Überflugrechte waren ein Signal in diese Richtung.
Vermutlich werden die Gespräche jetzt fortgesetzt, wo, wann und durch
wen ist nicht bekannt.
* Aus: Neues Deutschland, 3. Juli 2010
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