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Israel und Türkei erneuern ihre Allianz

Netanjahu entschuldigte sich für »tragische Folgen« des Überfalls auf die Gaza-Flottille 2010

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Der israelische Regierungschef Netanjahu hat sich für den Tod von neun Türken im Jahre 2010 entschuldigt und damit die Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen zu Ankara geschaffen. In einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan erklärte Netanjahu, die »tragischen Folgen des Einsatzes« seien nicht beabsichtigt gewesen.

Mit einer Entschuldigung für den Militäreinsatz gegen die Gaza-Flottille im Mai 2010 hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Freitag den Grundstein für eine Neuauflage der Beziehungen zur Türkei gelegt. Einer der Hauptgründe für den Schritt sei die Syrien-Krise gewesen, heißt es in Israel. Aber auch die Situation um Gaza habe eine Rolle gespielt.

Türkische und ausländische Aktivisten der Solidarität mit den Palästinensern hatten im Mai 2010 mehrere Schiffe mit Hilfsgütern direkt in den Hafen von Gaza bringen wollen, waren jedoch von israelischem Militär gekapert worden. Dabei wurden neun türkische Passagiere getötet, was zu heftigen Protesten und zur Erstarrung der türkisch-israelischen Beziehungen führte. Am Freitagnachmittag kurz vor der Abreise von US-Präsident Barack Obama aus Israel, sprach Netanjahu endlich mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan. Einer offiziellen Erklärung zufolge bedauert Israels Regierung den Verlust menschlichen Lebens und entschuldigt sich »beim türkischen Volk« für Fehler, die zum Tode oder zur Verletzung von Menschen geführt haben könnten. Eine israelische Untersuchung habe Hinweise auf Fehler des Militärs ergeben. Verhandlungen über Entschädigungszahlungen seien vereinbart worden. Beide Regierungen wollten nun daran arbeiten, ihre Kooperation, aber auch die Lage in den palästinensischen Gebieten zu verbessern.

Allgemein geht man davon aus, dass dies konkrete Auswirkungen vor allem auf die Situation im Gaza-Streifen haben wird. Erste Anzeichen dafür sind bereits erkennbar: So rief Erdogan direkt nach dem Telefonat bei Hamas-Regierungschef Ismail Haniyeh in Gaza an und kündigte an, dass er das palästinensische Gebiet im April besuchen werde. Der türkische Premier machte deutlich, dass die Entschuldigung Netanjahus seine Erwartungen erfüllt habe. Es sei allerdings noch zu früh, die Beziehungen vollständig zu normalisieren und wieder Botschafter auszutauschen: »Wenn sie in einem vielversprechenden Weg vorangehen, werden wir mitkommen«, sagte Erdogan. Sein Besuch in Gaza solle dazu dienen, den Friedensprozess voranzubringen. Israel habe die Blockade seit November gelockert; nun müsse man daran arbeiten, dass sie vollständig aufgehoben wird.

Israelische und türkische Medien sehen darin einen Hinweis darauf, dass nun ernst zu nehmende Verbesserungen der Lebensbedingungen dort bevorstehen. Jaakow Amidror, Chef des Nationalen Sicherheitsrates, schränkte allerdings am Sonntag ein, Israel habe sich nicht dazu verpflichtet, die Blockade unter allen Umständen aufzuheben: »Wir haben nicht vor, durch die Vereinbarung unser Recht aufzugeben, darauf, was in Gaza geschieht, zu antworten.« Sollte es Raketenbeschuss geben, würden die Erleichterungen gestoppt.

In türkischen und arabischen Medien wird Erdogan nun als derjenige gefeiert, der Israel die Entschuldigung abgerungen hat. Was für manche Politiker einem Zeichen der Schwäche Israels gleichkommt, ist dessen Diplomaten und Politstrategen sehr recht: Erdogan könne diese Stärke dazu nutzen, um vermittelnd im Gaza-Konflikt zu wirken. Sein Besuch könnte Teil eines Deals sein und dazu dienen, die Hamas gegenüber anderen militanten Gruppen zu stärken, die mit der Organisation auf Kriegsfuß stehen, weil sie moderater im Umgang mit Israel geworden ist.

Aber auch in Bezug auf Syrien verspricht man sich Vorteile durch eine Neuauflage der strategischen Allianz. Netanjahu erklärte am Sonnabend, der syrische Bürgerkrieg habe seine Entscheidung durchaus beeinflusst.

Welche Rolle Obama in dieser Sache gespielt hat, ist unklar: Es heißt, er habe Druck auf Netanjahu ausgeübt. Wahrscheinlich ist, dass US-amerikanische Diplomaten das Prozedere und den Wortlaut der öffentlichen Erklärungen beider Seiten ausgehandelt haben.

Dass dieser Schritt so lange auf sich warten ließ, lag vor allem an jenem Mann, der die Entschuldigung am Sonnabend am lautesten kritisierte: Avigdor Lieberman, Israels Außenminister, bis er im Dezember wegen einer Anklage zurücktreten musste. Am Sonnabend sagte er, die Soldaten hätten ohne Zweifel in Notwehr gehandelt. Die Entschuldigung werde »die Moral aller Soldaten beschädigen«.

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. März 2013


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