Von den USA "gutgeheißen" und in Übereinstimmung mit Iran:
Türkische Luftangriffe auf irakische Kurdengebiete - PKK-Guerilla kündigt Konsequenzen an - lauer "Protest" der EU
Die letzte Meldung zuerst:
Türkische Soldaten offenbar in Nordirak eingerückt
Wenige Tage nach ihren Luftangriffen im Nordirak ist die türkische Armee nach kurdischen Angaben erstmals mit Bodentruppen ins Nachbarland einmarschiert. Nach Angaben des Vertreters der kurdischen Regionalverwaltung rückten 300 türkische Soldaten drei Kilometer weit in nordirakisches Gebiet vor, wo PKK-Rebellen ihre Stützpunkte haben. Die türkische Armee bestätigte den Einmarsch bisher nicht, dementierte ihn aber auch nicht. US-Außenministerin Condoleezza Rice traf überraschend im nordirakischen Kirkuk ein, um die Versöhnung zwischen den Volksgruppen der Region zu unterstützten. Sie besuchte außerdem Bagdad.
Ein Sprecher der kurdischen Sicherheitskräfte Peschmerga sagte, die Soldaten seien in eine verlassene Zone eingedrungen, in der weder irakischen Truppen noch kurdische Kämpfer stationiert seien. Ein Mitglied der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sagte, türkische Soldaten hätten mit Unterstützung der Luftwaffe am frühen Morgen die irakische Grenze in Chawakurt überquert. Die Zeitung "Hürriyet" berichtete auf ihrer Website, möglicherweise handele es sich um Kommandoeinheiten, welche die durch die Bombenangriffe vertriebenen Rebellen in Schach halten sollen.
Der türkische Präsident Abdullah Gül äußerte sich ausweichend auf Fragen von Journalisten zu dem Einmarsch. Laut Berichten türkischer Fernsehsender sagte er, die Armee tue "das Notwendige" im Kampf gegen die PKK-Rebellen. Das einzige Angriffsziel der Türkei im Nordirak sei der Terrorismus, sagte Gül. Zugleich hob er die guten Beziehungen zu Bagdad hervor.
Sollte sich der Einsatz bestätigen, wäre dies die erste Intervention türkischer Bodentruppen im Irak seit der Verschärfung des Kurdenkonflikts im Oktober. Ankara hatte mehrfach mit einem Einmarsch in den Nordirak gedroht, wo die PKK ihre Rückzugsgebiete für den Kampf gegen die Regierung in Ankara hat. Am Wochenende hatte die türkische Luftwaffe Stellungen von Kurdenrebellen und Dörfer im nordirakischen Kandil-Gebirge bombardiert und dabei nach unbestätigten kurdischen Medienberichten fünf PKK-Kämpfer und zwei Zivilisten getötet. Die EU und die UNO reagierten besorgt auf das türkische Vorgehen.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR erklärte, infolge der Bombardierungen seien 300 Familien aus ihren Häusern geflohen. Nach Angaben von Flüchtlingen wurden bei den Bombardements zehn Dörfer getroffen. Die Türkei hatte versichert, es seien weder Zivilisten noch Dörfer getroffen worden.
EU "protestiert"
Nach den türkischen Luftangriffen auf Stellungen kurdischer Rebellen im Irak hat die EU-Kommission Ankara vor "unverhältnismäßigen" Militäraktionen gewarnt. "Die Europäische Union versteht das Bedürfnis der Türkei, sich selbst zu verteidigen", sagte die Sprecherin von EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn, Krisztina Nagy. Die Türkei sollte aber "unverhältnismäßige Militäraktionen vermeiden, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit achten", fügte Nagy hinzu. Ob die Angriffe vom 16. Dezember verhältnismäßig waren, wollte die Kommissionssprecherin nicht bewerten.
Quelle: AFP, AP, 17. und 18. Dezember 2007
Von den USA "gutgeheißen"
Türkische Luftangriffe auf irakische Kurdengebiete
Von Jan Keetman, Istanbul *
Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan sprach von einer »erfolgreichen Operation«, nachdem die Luftwaffe seines Landes mehrere Dörfer im Norden Iraks bombardiert hatte – mit Rückendeckung und Unterstützung der USA.
Wie »erfolgreich« der große Luftangriff der türkischen Armee gegen die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) letztendlich war, wird man vielleicht nie erfahren. Dass der türkische Generalstabschef Yasar Büyükanit ebenso wie Recep Tayyip Erdogan einen großen Erfolg bejubelt, ist ebenso unausweichlich wie das Dementi der kurdischen Rebellen. Den Tod von fünf Kämpfern räumt die PKK ein. Außerdem seien zwei kurdische Zivilisten getötet worden. Irakische Quellen beklagen eine tote Zivilistin und die Zerstörung von zehn Dörfern. Yasar Büyükanit bestreitet zivile Opfer ganz, türkische Zeitungen berichteten stattdessen, ein hochrangiger PKK-Militär getötet worden: Murat Karayilan habe sich in einem der bombardierten Stützpunkte der Untergrundorganisation aufgehalten.
Jedenfalls stellten die Angriffe, die in der Nacht zum Sonntag geflogen wurden, eine neue Stufe der Konflikteskalation dar. Erstmals seit dem Sturz Saddam Husseins drangen türkische Kampfflugzeuge in irakischen Luftraum ein. In den letzten Wochen hatte das türkische Militär für grenzüberschreitende Aktionen »nur« Hubschrauber und reichlich Artillerie eingesetzt.
Die USA bestreiten zwar, eine spezielle Erlaubnis erteilt zu haben, doch nach Darstellung Büyükanits haben sie »den irakischen Luftraum geöffnet«, und »indem sie das taten, haben die USA die Operation gutgeheißen«. Außerdem stellen die USA nach eigenen Angaben Geheimdienstinformationen zur Verfügung.
Nach dem Besuch Erdogans bei USA-Präsident George Bush in Washington waren die Bastionen der PKK in den Kandil-Bergen tagelang von US-amerikanischen Aufklärungsflugzeugen beobachtet worden. Nach Angaben der türkischen Zeitung »Milliyet« wurden auch Informationen über den Standort von Satellitentelefonen und Funkgeräten von PKK-Kommandanten für die Angriffe benutzt. Dafür, dass die türkische Luftwaffe über präzise Informationen verfügte, die möglicherweise noch während der Aktion aktualisiert wurden, spricht die Dauer der Luftangriffe. Die Kampfflugzeuge wurden in der Luft aufgetankt und blieben so über drei Stunden im Einsatz. Ein direkter Flug hin und zurück hätte nicht so viel Zeit in Anspruch genommen.
Überdies trat am Wochenende ein Abkommen zwischen der Türkei und Iran über gemeinsames Vorgehen in Kraft. Eine Parallelorganisation der PKK, die PJAK (Partei für ein freies Leben in Kurdistan) bekämpft das iranische Regime und hoffte zeitweilig auf die Unterstützung Washingtons. Doch nun werden die Rebellen mit Unterstützung der USA und Irans bekämpft. Nach unbestätigten aber glaubhaften Berichten hat die Türkei indessen ihre an die Grenze entsandten 100 000 Militärs zu einem großen Teil zurückgezogen. Die Kombination aus diplomatischen Bemühungen und »dosierter« Gewalt ist für Ankara womöglich effektiver als der Riesenaufmarsch gegen die PKK. Ob sich das Problem so lösen lässt, ist eine andere Frage. Für eine umfassende Lösung des kurdischen Problems hat die Regierung zwar eine Reihe schöner Etiketten gefunden, wie »Rückkehr nach Hause« oder »Brüderlichkeit«, doch der Inhalt bleibt unklar.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2007
Mit US-Segen
Von Frank Wehner *
Seltsame Allianzen gibt's mitunter. Das zeigt sich eben jetzt, da es um die Kurden geht. Auf einmal stehen US-Präsident Bush und der Iraner Ahmadinedschad traut auf einer Seite. Die Erzfeinde haben sich im Kampf gegen die kurdischen Rebellen mit der Türkei verbündet, und was die Welt als hochgefährliches Abenteuer sieht, das findet ihre Billigung, sogar beflissene Unterstützung.
US-Jets machten für den Aggressor Nordiraks Luftraum frei, und US-Geheimdienste lieferten die Zielzuweisung. Ob der Angriff tatsächlich so erfolgreich war, wie in Ankara behauptet wird, ist zu bezweifeln. Effektiv hingegen war der Terror gegen Zivilisten. Es muss schon eine ganz spezielle Liste zu attackierender Objekte gewesen sein, die die CIA den Türken offerierte. Getroffen wurden Dörfer, Schulen, Krankenhäuser.
Das also ist das Resultat der Visite des türkischen Premiers in Washington, bei dem er, wie es hieß, zur Mäßigung bewogen werden sollte. Die Bodenoffensive ist zwar bislang ausgeblieben, doch dafür schlug die Türkei aus der Luft so heftig zu wie lange nicht. Einen militärischen Sieg über die PKK erreicht sie trotzdem nicht, das haben rund 25 Angriffe auf Nordirak bis jetzt gezeigt, und einige weitere ändern daran nichts.
Beruhigen lässt sich die Lage nur, indem man in der Türkei den Kurden gewährt, was ihnen als Minderheit in einem Staat zusteht, der als zivilisiert gelten will und Mitglied der EU sein möchte. Aber Ankara geht genau den entgegengesetzten Weg, bricht bedenkenlos das Völkerrecht und destabilisiert zusätzlich eine brodelnde Region. Und seinen Segen spendet dazu Washington.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2007 (Kommentar)
PKK warnt die USA
Nach Luftangriffen in Nordirak kündigt Guerilla Konsequenzen an
Von Nick Brauns **
Die US-Regierung hat die Türkei nicht nur mit Geheimdienstinformationen über PKK-Stellungen in Nordirak versorgt. Offenbar hat Washington auch grünes Licht für den Luftangriff am Sonntag gegeben, der bis tief in den Norden des Nachbarlandes hineinreichte. Das erklärte der türkische Generalstabschef Yasar Büyükanit gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu: »Mit der Öffnung des irakischen Luftraums haben die USA ihre Zustimmung zu der Operation gegeben.« Die Sprecherin der US-Botschaft in Ankara, Kathy Schalow, hatte am Sonntag erklärt, die Türkei habe vor der Operation nicht die Genehmigung der USA eingeholt. Man sei aber vorab informiert worden.
Bei der stundenlangen Bombardierung von 15 Dörfern sowie mutmaßlicher PKK-Stellungen in den Kandil-Bergen durch F-16 Jagdbomber der türkischen Luftwaffe waren nach Angaben der kurdischen Agentur ANF fünf Guerillakämpfer und zwei Zivilisten getötet und zahlreiche Dorfbewohner verletzt worden. Häuser, Schulen, Brücken und Krankenhäuser wurden zerstört und Nutztiere getötet. Türkische Meldungen, wonach PKK-Militärchef Murat Karayilan unter den Opfern sei, wurden bislang nicht bestätigt.
Während sich der türkische Generalstab rühmte, das Hauptquartier der PKK in den Kandil-Bergen von der Außenwelt abgeschnitten zu haben, meldeten sich Guerillavertreter bereits wenige Stunden nach den Angriffe im Internet und dem Satellitenfernsehen Roj-TV zu Wort: In einer Erklärung des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte HPG vom Sonntag abend hieß es: »Ganz offensichtlich sind diese Angriffe mit Unterstützung, Zustimmung und geheimdienstlichen Informationen der USA durchgeführt worden. Die USA müssen diese Angriffe unverzüglich einstellen. Ansonsten werden sie die Wut unseres Volkes auf sich ziehen, und es wird zu neuen Konsequenzen kommen.«
Der irakische Außenminister Hoschjar Sebari forderte die Türkei am Montag auf, Angriffe zu unterlassen, »die unschuldigen Menschen Schaden zufügen und Auswirkungen auf die freundschaftlichen bilateralen Beziehungen haben«. Bagdad bestellte den türkischen Botschafter ein. Eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel äußerte indes »Verständnis für die Notwendigkeit der Türkei, die eigenen Bürger zu schützen«. Die EU forderte die Türkei zugleich dazu auf, die Probleme mit den Kurden »auf dem Weg des Dialogs zu lösen«.
** Aus: junge Welt, 18. Dezember 2007
Zurück zur Türkei-Seite
Zur Irak-Seite
Zurück zur Homepage