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Vom Außenseiter zum modernen Sultan

Recep Tayyip Erdogan hat in den zehn Jahren seiner Amtszeit die Türkei umgekrempelt

Von Jan Keetman *

Zehn Jahre unter Erdogan haben der Türkei wirtschaftlichen Aufschwung und Stabilität gebracht. Außenpolitisch hat er dem Land wachsenden Einfluss geschaffen.

Er ist alles andere als unumstritten: Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan. Erst vor kurzem schreckte er den Westen auf, als er auf der UNO-Konferenz »Allianz der Kulturen« sagte, Zionismus sei ebenso wie Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie ein »Verbrechen gegen die Menschlichkeit «. Die Aufregung war groß und kurz und das dürfte Erdogan einkalkuliert haben. Er weiß nur zu gut, dass man ihn einfach braucht und das umschreibt auch schon seine Stellung in der internationalen Politik. Vergangen ist die Zeit, da Erdogan den Westen gegen die Opposition im eigenen Land dringend brauchte.

Ausgangspunkt seines Aufstiegs war der 9. März 2003, als er zum Abgeordneten gewählt wurde und damit anschließend Ministerpräsident werden konnte. Seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), eine islamischkonservative und zugleich modern auftretende politische Kraft hat seitdem die alte, säkulare Elite inzwischen schrittweise verdrängt.

Dass man ihn 2003 überhaupt zu einem hohen politischen Amt zuließ, grenzte schon fast an ein Wunder. Erdogan hatte einige Jahre zuvor im kurdischen Siirt eine Rede voll Anspielungen auf das verhasste laizistische Establishment und insbesondere das Militär gehalten. In dieser Rede zitierte er auch ein Gedicht, in dem es hieß »Die Moscheen sind unsere Helme, die Minarette sind unsere Bajonette, die Gläubigen sind unsere Armee.« Das Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir nahm diese Rede zum Anlass, um mit einem harten Urteil den Jungstar der islamischen Bewegung aus dem Verkehr zu ziehen. Erdogan musste einige Monate ins Gefängnis, damit verlor er auch das Amt des Bürgermeisters von Istanbul und das passive Wahlrecht auf Lebenszeit. Ohne Begnadigung hätte er nicht einmal mehr Dorfvorsteher werden können.

Erdogans Aufstieg ist mit dem Abstieg von Necmettin Erbakan verknüpft. Der alte Führer der Islamisten in der Türkei steckte in einer Sackgasse, weil er nicht fähig war, eine neue Politik zu entwickeln. Einige seiner Anhänger um Abdullah Gül gründeten eine neue Partei. Aus dem Erbakan-Fundus übernahmen sie ihre hervorragende Organisation und propagierten soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Als charismatischer Führer trat Erdogan an die Spitze. Seine Gefängnisstrafe hatte ihn nur noch populärer gemacht.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 suchte der Westen händeringend nach einem gemäßigten islamischen Führer und Erdogan bot sich an. Der Zuspruch, den Erdogan aus den USA und Europa erfuhr, entwaffnete seine Gegner zusätzlich. Erdogan krempelte die Ärmel hoch und verwandelte die Türkei. Die Inflationsrate konnte dauerhaft unter zehn Prozent gedrückt werden. Mit Privatisierungserlösen und hohem Wachstum gelang es, die Staatsverschuldung auf weniger als 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken. Durchwachsener ist seine außenpolitische Bilanz. Es gelang Erdogan, die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der EU zu erreichen. Dass diese nun stocken, ist zum großen Teil den Europäern anzulasten. Schiffbruch erlitt Erdogans Außenpolitik einige Male bei seinen Experimenten Richtung Osten. Mit Syriens Assad und Libyens Gaddafi hatte Erdogan zuerst auf die falschen Pferde in der Region gesetzt. Die Verschlechterung der Beziehungen zu Israel ließ auch den Traum platzen, eines Tages als Vermittler zwischen Israel und den Arabern auftreten zu können. Trotz allem ist der Einfluss Ankaras immens gewachsen.

Erdogans größter Erfolg im Innern war die Entmachtung des Militärs. Dies geschah zum Teil mit fragwürdigen Methoden. Hunderte von Offizieren wurden aufgrund von offensichtlich gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Doch kein General wagt es mehr, den Politikern Vorschriften zu machen.

Erdogan ist im kleinstädtischen Viertel Kasimpascha in Istanbul geboren und wurde in einer Predigerschule geprägt. Er kennt die westlichen Wertvorstellungen, misst ihn aber keinen größeren Wert bei. Türkische Studenten, die zum Studieren ins Ausland gingen, warnte Erdogan eindringlich vor der »Sittenlosigkeit des Westens.« Erdogan hat die klassische Rolle des Familienvaters, der sich um die Seinen sorgt. Viele seiner Wähler wollen genau so einen paternalistischen Patron.

Kritik kann dieser Patron nicht ertragen. Als der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes Hasim Kilic, dem Erdogan immerhin verdankt, dass seine Partei nicht verboten wurde, die Unabhängigkeit der Justiz anmahnte, wies ihn Erdogan barsch zurecht. Als die Studentin Berna Yilmaz und ihr Kommilitone Ferhat Tüzer während einer Rede Erdogans ein Plakat in die Höhe hielten, auf dem sie kostenlose Ausbildung forderten, ein Recht, das im Prinzip in der Verfassung garantiert wird, wurden sie als Terroristen angeklagt und zu jeweils achteinhalb Jahre Gefängnis verurteilt.

Kritiker bezeichnen Erdogan bereits als modernen Sultan. Ein wenig ist dieses Wort auch auf Erdogans Projekt der Einführung eines Präsidialsystems gemünzt, in dem er ein Präsident mit noch mehr Machtbefugnissen wäre. Weil Erdogan außerhalb seiner Partei hierfür bei niemandem Unterstützung findet, holt er sich nun Hilfe bei dem gefangenen PKKChef Abdullah Öcalan und seiner Kurdenpartei. Ein nicht ungefährliches Experiment. Aber Erdogan ist geschickt und es könnte klappen. Danach fehlte zum wirklichen Sultan nicht mehr viel.

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. März 2013


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