Minderheiten in Gefahr
Proteste gegen den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten
Während seines Besuchs in Berlin wird
der türkische Ministerpräsident Recep
Tayyip Erdogan nicht nur auf Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) treffen. Auch
Proteste von türkischen Minderheiten
erwarten ihn. Mit dem ezidischen Kurden
MERWAN SEZEK sprach MARTIN
DOLZER über die Menschenrechtslage
in der Türkei. Merwan Sezek
ist Mitglied im
Vorstand der FKE
– Föderation der
Ezidischen Vereine
in Deutschland
e.V.
Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan hat sich sehr abfällig zu
einer ezidischen Konferenz geäußert.
Was ist passiert?
Auf der Konferenz hielt der bekannte
kurdische Politiker Ahmet
Türk von der Demokratischen
Friedenspartei BDP am 17. Oktober
eine Rede, in deren Rahmen er
sich für die Massaker gegenüber
den ezidischen Kurden entschuldigte.
Am 21. Oktober bei der Eröffnungsfeier
eines Flughafens in
Elazig äußerte sich Erdogan in Bezug
darauf sehr intolerant und
aufhetzend. Er sagte: »Stellt Euch
gegen diese Terroristen und lasst
sie erblinden, denn sie betrachten
Euch nicht als Menschen. Aber wir
lieben Euch, weil Gott Euch erschaffen
hat. Die Terroristen haben
nichts mit dem Schöpfer zu
tun. Es ist klar, wo sie hingehören,
sie sind Anhänger Zarathustras.
Seht her, sie erklären es selbst, sie
sprechen vom Ezidentum. Ihr
werdet sehen was dabei herauskommt.«
Lassen sich Schlüsse daraus auf
die Menschenrechtslage ziehen?
Ein Vorgehen in dieser Art und
Weise steht unserer Ansicht im
Zusammenhang mit der schleichenden
Islamisierung der Türkei,
die vor allem durch die Politik von
Erdogan und seiner Partei, der
AKP, bewusst betrieben wird. Die
»Ein-Volk / Eine-Sprache / Eine-
Religion« – Politik« ist eine Gefahr
für alle in der Türkei lebenden Bevölkerungsgruppen
und somit
auch ein Angriff auf die Demokratie
in Form der nicht vorhandenen
Meinungs- und Religionsfreiheit.
Die Regierung verstößt zudem regelmäßig
gegen mehrere internationale
und völkerrechtliche Abkommen
– u.a. gegen die UN Charta,
den UN Zivilpakt, den UN Sozialpakt
und die Europäische Menschenrechtskonvention.
Religiöse
und ethnische Minderheiten werden
in der Türkei nach wie vor
systematisch diffamiert. Wir befürchten
eine große Gefahr für die
in der Türkei lebenden ezidischen
Kurden, da ähnliche Äußerungen
von Regierungsvertretern immer
wieder zu Übergriffen bis hin zu
Lynchattacken auf die erwähnten
Gruppen geführt haben. Die Eziden
wurden in der Türkei seit der
Staatsgründung systematisch verfolgt.
Sie sind daher eine der wenigen
Gruppen, die in der Bundesrepublik
aufgrund religiöser Aspekte
Asyl genießen.
Wen belegt Erdogan mit dem
Begriff Terroristen?
Als Terroristen bezeichnen Erdogan,
wie auch die graue Eminenz
der AKP, Fethullah Gülen und
weitere Regierungsangehörige regelmäßig
u.a. sämtliche Menschen,
die in der Demokratischen Friedenspartei
BDP organisiert sind,
die mit 31 Abgeordneten im türkischen
Parlament vertreten ist und
die Mehrheit der Bürgermeister in
den kurdischen Provinzen des
Landes stellt. 9000 Kurden wurden
seit 2009 meist wegen freier Meinungsäußerungen
inhaftiert. Aber
auch jeder, der sich für die Menschenrechte
einsetzt oder oppositionell
engagiert, wird als Terrorist
bezeichnet und bedroht.
Morgen wird gegen den Besuch
Erdogans demonstriert. Wer beteiligt
sich daran?
Es handelt sich um ein breites
Bündnis u.a. der mitgliederstärksten
kurdischen, alevitischen, armenischen,
ezidischen und linken
türkischen Migrantenorganisationen.
Die Ereignisse der vergangenen
Jahre haben die Ausrichtung
der Politik der AKP-Regierung
deutlich gezeigt. Ministerpräsident
Erdogan steht für Rassismus, für
Assimilation, für die Verfolgung
der freien Presse, die Leugnung
der Massaker und Genozide der
Vergangenheit und für Gewerkschaftsfeindlichkeit.
Mittlerweile
ist die türkische Regierung zudem
zu einer aggressiven Außenpolitik
gegen Syrien übergegangen. Das
finden wir unerträglich.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. Oktober 2012
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