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Toter palästinensischer Botschafter hält Prager Behörden in Atem

Verstoß gegen Wiener Übereinkunft über diplomatische Vertretungen vermutet

Von Jindra Kolar, Prag *

Das Rätselraten um die Umstände des Todes des palästinensischen Botschafters in Prag hält an. Nun wurden große Mengen an Waffen in der Botschaft gefunden, die Behörden reagieren entsetzt.

Die tschechischen Sicherheitsbehörden arbeiten an der Aufklärung des mysteriösen Todes des Botschafters Palästinas in Prag. Dschamal al-Dschamal war am Neujahrstag beim Öffnen eines Tresors in seiner Residenz von einer Explosion tödlich verletzt worden. Die Familie sprach von einem Anschlag, die Polizei ermittelt auch in Richtung Unfall. Wie jedoch sowohl der Sprengstoff, als auch aufgefundene Waffen in die Botschaft kamen, ist unklar.

Die nach der Explosion am Nachmittag des 1. Januar herbeigerufene Polizei untersuchte das gesamte Botschaftsgebäude. Nach Angaben, der Nachrichtenagentur CTK, sollen sich 70 Handfeuerwaffen – Pistolen und Maschinenpistolen – im Haus des Botschafters Dschamal befunden haben. Die Zahl wurde später vom Prager Polizeipräsidenten Martin Cervícek auf zwölf Waffen korrigiert. Nach Angaben der Palästinenser soll es sich um legale Waffen, unter anderem Geschenke an den Botschafter, gehandelt haben.

Das tschechische Außenministerium erklärte jedoch am Montag, es handele sich um einen »groben Verstoß gegen die Wiener Übereinkunft über diplomatische Beziehungen«. Die Sprecherin des Außenministeriums, Johana Grohova, erklärte, man fordere von der palästinensischen Seite »schnellstmögliche und vollständige Aufklärung über die Herkunft von Waffen und Sprengstoff«, einschließlich ausführlicher Expertisen zu den aufgefundenen Handfeuerwaffen.

Unklar ist, wie es zu der Explosion kommen konnte. Nach Angaben des palästinensischen Außenministeriums war der entsprechende Tresor, an dem sich der Botschafter zu schaffen machte, seit »mehr als 20 Jahren nicht mehr geöffnet« worden. Dies dementierte jedoch der Sprecher der Vertretung in Prag, Nabil Fahil: »Wir haben diesen Tresor tagtäglich für unsere Geschäfte und zum Deponieren von Botschaftsdokumenten genutzt.« Wie es dabei zu einer Explosion kommen konnte, müsse die Polizei ermitteln, so Fahil.

Polizeivertreter Marek Kotrly erklärte, man könne noch nichts zur Zusammensetzung und zum Ursprung der Sprengstoffs sagen, die Untersuchungen sowohl des Tresors als auch weiterer Spuren halten an.

Nach Angaben der Tochter des Botschafters war der Tresor einen Tag zuvor von einer Firma umgesetzt worden. Doch der Besitzer der Umzugsfirma, die mit dem Umbau der Botschaft beauftragt war, erklärte, man habe den Tresor nicht berührt und auch die Arbeiten eingestellt, nachdem man im Gebäude Waffen und Sprengstoffe gesichtet habe. Martin Sousek ergänzte ferner, er habe die Polizei über die Funde informiert.

Die sterblichen Überreste des Botschafters wurden am Montagabend von Prag über Amman nach Ramallah überführt, wo bereits die Beisetzung organisiert ist. Dschamal al-Dschamal war langjährig als Diplomat in der tschechischen Hauptstadt tätig. Die palästinensische Vertretung wurde bereits 1981 eingerichtet, von 1984 bis 2005 arbeitete er in Prag, war dann für zwei Jahre Generalkonsul im ägyptischen Alexandria, bevor er im Oktober seinen Posten als Botschafter in der Tschechischen Republik antrat.

Die palästinensische Vertretung in Prag geriet vor längerer Zeit ins Visier verschiedener Geheimdienste. Man unterstellte, dass die Vertretung ein Umschlagplatz für Waffen und Sprengstoff sei, unter anderem solle über die Botschaft in Prag-Suchdol auch der tschechische Plastiksprengstoff Semtex an verschiedene palästinensische Kampforganisationen geliefert worden sein.

Semtex soll im Dezember 1988 auch von einem libyschen Kommando genutzt worden sein, um eine Boeing 747 der US-Gesellschaft PanAm über Lockerbie (Großbritannien) in die Luft zu sprengen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. Januar 2014


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