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Ja-Partei im Aufwind

Kurz vor der Parlamentswahl in Tschechien am Freitag und Samstag ist die sicher geglaubte linke Mehrheit zweifelhaft geworden

Von Reinhard Lauterbach *

Im Endspurt des tschechischen Wahlkampfes droht Sozialdemokraten und Kommunisten die sicher geglaubte linke Mehrheit abhanden zu kommen. Jüngste Umfragen sehen die sozialdemokratische Partei CSSD bei nur noch 23 Prozent, die Kommunisten bei 13 bis 14 Prozent und die linkspopulistische Partei von Staatspräsident Milos Zeman im Kampf mit der Fünfprozenthürde. Im Sommer hatte die CSSD in den Umfragen noch über 30 Prozent verzeichnet, die Kommunisten 23 bis 25. Eine linke Mehrheit schien in Reichweite, und Staatspräsident Zeman spekulierte darauf, es mit einer Regierungsbeteiligung der Kommunisten auch auf nationaler Ebene doch einmal zu versuchen. Koalitionen mit kommunistischer Beteiligung gibt es seit einigen Jahren in mehreren tschechischen Regionen, und sie verlaufen offenbar geräuschlos.

Jetzt ist diese Perspektive mehr als zweifelhaft. Denn großer Gewinner in den Umfragen der letzten Wochen ist die neugegründete Partei ANO des Düngemittel- und Medienunternehmers Andrej Babis. Sie wird inzwischen bei etwa 16 Prozent gehandelt und wäre damit zweitstärkste Kraft im künftigen Parlament. ANO ist ein tschechisches Akronym für »Aktion Unzufriedener Bürger«, es bedeutet aber auch »Ja« – schon dies deutet darauf hin, daß hier Marketingstrategen Regie geführt haben. Die Partei gibt sich als mehr oder minder spontaner Zusammenschluß von Menschen, die mit dem bisherigen tschechischen Parteiensystem unzufrieden sind, doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Schließlich wurde sie schon 2011 gegründet, auch wenn sie jetzt erstmals antritt. Das Programm von ANO besteht aus Gemeinplätzen und Wirtschaftsliberalismus: gegen Korruption und höhere Steuern, für bessere Bildungschancen und einen handlungsfähigen Staat. Wobei Parteichef Babis es offenbar mit der Transparenz im Staate auch nicht übertreiben will. Im Wahlkampf kam heraus, daß er vor Jahren anläßlich der parlamentarischen Beratung über ein Biospritgesetz intensive Lobbyarbeit betrieben und so Bestimmungen erreicht hat, an denen seine Firma Agrofert mehrere hundert Millionen Kronen (1 Euro = ca. 25 Kronen) im Jahr verdient. Zur Rede gestellt, erklärte Babis, es sei doch selbstverständlich, daß er als Unternehmer bemüht sei, die Abgeordneten von vernünftigen Lösungen zu überzeugen. Babis gilt als zweitreichster Mann des Landes, seine Firma als die viertgrößte Tschechiens. Anfang des Jahres hatte er auch einen der größten Medienkonzerne des Landes übernommen und kontrolliert seitdem zwei der wichtigsten Tageszeitungen, einige Radiosender und Internetportale.

Der einstweilen ungebremste Aufstieg von ANO hat die etablierten Parteien verunsichert. CSSD-Chef Bohuslav Sobotka warnte davor, für chancenlose Kleinparteien zu stimmen. Im Auge hatte er dabei vor allem die Zeman-Partei, die sich vor einigen Jahren von der CSSD abgespalten hat. Der ANO warf Sobotka vor, sich nach der Wahl den rechten Parteien der Vorgängerregierung als Mehrheitsbeschaffer andienen zu wollen. Das schließt Babis zwar zumindest für den Moment aus und hat erklärt, eine tatkräftige Opposition bilden zu wollen. Doch seine Abgrenzung von »korrumpierten Rechtsparteien und Sozialdemokraten, die die Steuern erhöhen und Kommunisten, die die Unternehmen verstaatlichen wollen«, macht Nuancen deutlich: Im Zweifelsfall würde ihn bei den Konservativen ein »personeller Neuanfang« wohl zufriedenstellen, während seine Kritik an den Linken sich gegen den Kernbereich von deren Politik richtet.

Indessen trauen die tschechischen Rechtsparteien, deren stärkste derzeit mit zwölf Prozent gehandelt wird, dem Neuen in der Szene wohl auch noch nicht so recht. Politiker, sowohl der seit 1989 fast ununterbrochen regierenden Bürgerlich-Demokratischen Partei ODS als auch der aus dieser abgespaltenen Partei TOP09 von Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg, warben schon einmal für eine große Koalition »nach deutschem und österreichischem Vorbild« – in der Hoffnung, wenigstens einen Zipfel ihrer Macht zu retten.

Die Wahl findet am Freitag und Samstag statt; mit Ergebnissen ist im Laufe des Wochenendes zu rechnen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 24. Oktober 2013


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