Vier für die Prager Burg
Erstmals sollen die Tschechen ihren Präsidenten direkt wählen
Von Jindra Kolar, Prag *
Die Präsidentschaftswahlen in Tschechien
sind zwar noch ein ganzes Jahr
entfernt. Doch der Kampf um die
»Burg« hat bereits begonnen. Denn
erstmals sollen die Tschechen ihr
Staatsoberhaupt selbst wählen. Vier
Kandidaten stehen schon bereit.
In Tschechien beginnt in diesen
Tagen der Wahlkampf um das
höchste Staatsamt: Nachdem Anfang
des Monats beide Kammern
des Parlaments einer Verfassungsänderung
zugestimmt haben,
kann im Februar 2013 der
Präsident der Republik zum ersten
Mal direkt von den Bürgern gewählt
werden. Die Amtszeit des
bisherigen Herrn auf der Prager
Burg, Vaclav Klaus, endet am 7.
März kommenden Jahres.
Bisher haben vier Kandidaten
ihre Absicht erklärt, das höchste
Amt anzustreben. Aus den Reihen
der bürgerlichen Koalition aus Demokratischer
Bürgerpartei (ODS),
der Partei TOP 09 und den »Öffentlichen
Angelegenheiten« (VV)
wird in erster Linie der TOP 09-
Vorsitzende und derzeitige Außenminister
Karel Schwarzenberg
vorgeschlagen. Der Fürst hat sowohl
national als auch international
eine hohe Reputation und gäbe
nach Volkes Meinung einen ehrwürdigen
Landesvater ab. Aus
demselben Lager wird aber auch
der kurzzeitig als Übergangsregierungschef
fungierende Statistikprofessor
Jan Fischer, heute Vizepräsident
der Europäischen
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung,
in Stellung gebracht. Fischer
hatte bereits Ende vergangenen
Jahres angekündigt, dass er
sich im Falle einer Direktwahl des
Präsidenten eine Kandidatur vorstellen
könne.
Doch auch die sozialdemokratische
Opposition – im Abgeordnetenhaus
die größte Fraktion –
hat am Wochenende zwei Kandidaten
präsentiert. Zum einen den
Juristen und Senator Jiri Dienstbier,
zum anderen den Wirtschaftsprofessor
Jan Svejnar, der
bei den Präsidentenwahlen 2008
Vaclav Klaus nur knapp unterlegen
war.
Beobachter sagen bei diesen
Kandidatenvorschlägen schon
heute Probleme voraus. Jan Fischer
und Jan Svejnar sind sich
charakterlich und in ihrem Auftreten
sehr ähnlich, und auch
Schwarzenberg dürfte bei ihrer
Klientel punkten. Letztlich könnten
sich diese drei Kandidaten paralysieren,
da keiner von ihnen die
erforderliche Mehrheit der Stimmen
auf sich vereinigen würde.
Nutznießer könnte demnach Jiri
Dienstbier sein, der selbst über
hohe Sympathiewerte verfügt und
vom Ansehen seines im Januar
2011 verstorbenen gleichnamigen
Vaters, des Bürgerrechtlers und
Weggefährten Vaclav Havels, profitiert.
Die Sozialdemokraten kündigten
am Wochenende an, dass sie
sich im Juni endgültig auf einen
Kandidaten konzentrieren wollen.
Die Wahl könnte dann zum stellvertretenden
Parteichef Dienstbier
tendieren, zumal sich Svejnar entscheiden
muss. Gerade eben wurde
dem seit Jahren in den USA lebenden
Wirtschaftsprofessor die
Leitung des neuen Zentrums für
Globalisierung und Wirtschaftspolitik
an der New Yorker Columbia
University übertragen.
Das neue Wahlgesetz, das am
1. Oktober 2012 in Kraft tritt und
erstmals im kommenden Jahr angewendet
wird, erlaubt jedoch
noch weitere Kandidaten: Zur
Wahl darf sich stellen, wer zehn
Senatorenstimmen, 20 Abgeordnete
der Kammer oder aber 50 000
Stimmen einer Petition hinter sich
vereinigen kann. Außerdem ist
auch ein Vetorecht vorgesehen,
mit dem Kandidaten ausgeschlossen
werden können. Für den Präsidenten
des Verfassungsgerichts,
Pavel Rychetsky, ein schwerwiegender
Mangel des neuen Gesetzes:
Eine Ablehnung könnte eine
längere Überprüfung nach sich
ziehen und die Präsidentenwahlen
bis zu einem Jahr hinausschieben.
Rychetsky kritisierte, dass zu dem
Wahlgesetz keine Durchführungsbestimmungen
erlassen wurden.
Eines ist jedoch sicher: Sollte
der neue Burgherr aus dem Kreis
der genannten Kandidaten kommen,
wird Tschechien ein EU-freundlicheres
Oberhaupt besitzen,
als es Amtsinhaber Vaclav
Klaus ist.
* Aus: neues deutschland, 22. Februar 2012
Zurück zur Tschechien-Seite
Zurück zur Homepage