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Bürger strafen Necas-Regierung ab

Rekordergebnis für Kommunistische Partei bei Regionalwahlen in Tschechien

Von Jindra Kolar, Prag *

Die bürgerliche Koalition aus ODS, TOP 09 und VV in Prag hat die Quittung für ihre Politik erhalten: Das Wahlvolk, müde von Korruptionsskandalen und vom ewigen Streit zwischen den Partnern, erteilte den Regierenden bei den Regionalwahlen eine deutliche Abfuhr.

Eindeutige Wahlgewinner sind die Kommunisten. Die Sozialdemokraten (CSSD) liegen mit 23,6 Prozent der Stimmen zwar vorn, mussten aber Verluste hinnehmen. Die KSCM dagegen erreichten mit 20,4 Prozent ein Rekordergebnis. Die Partei ist in zwei Regionen an der Grenze zu Sachsen stärkste Kraft geworden. Die Bürgerlichen Demokraten (ODS) dagegen erhielten nur 12,29 Prozent der Stimmen; mit dem früheren Justizminister Jiri Pospisil stellen sie nur in der Pilsener Region den Bezirkshauptmann. Die TOP 09 von Finanzminister Miroslav Kalou-sek sowie Außenminister Karel Schwarzenberg und die Partei »Öffentlichen Angelegenhei-ten« (VV) mussten sich mit marginalen Erfolgen begnügen.

Premier Petr Necas (ODS) erklärte den Einbruch der Regierungsparteien mit der Unbeliebtheit der unangenehmen, aber doch dringend notwendigen Reformen. Doch damit steht der Regierungschef ziemlich allein. Vor allem wurden die Regierenden für ihre rigide Sparpolitik im Gesundheitswesen sowie auf den Gebieten von Kultur und Bildung bestraft. Die Absichts-erklärungen, sowohl Krankenhäuser als auch Schulen und Hochschulen privatisieren zu wollen und so nur einer privilegierten Schicht Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsvorsorge bzw. Bildung zu ermöglichen, hat den Unmut der Wähler hervorgerufen. Sie entschieden sich für die Alternative oder blieben der Wahl gleich ganz fern. Die Wahlbeteiligung lag bei einem Rekordtief von 36,89 Prozent, vier Prozent niedriger als beim Urnengang 2008.

Zwei Regionen werden nun also von den Kommunisten regiert, die Region Liberec von der parteiübergreifenden Bewegung »Starostove pro Liberecky kraj« (Bürgermeister für die Liberecer Region). Neun Regionen verbleiben in der Hand der Sozialdemokraten. Da die Kommunistische Partei in allen Regionalparlamenten zugelegt hat, kann insgesamt von einem deutlichen Linksruck gesprochen werden.

So verwunderte es nicht, wenn bereits kurz nach den ersten Hochrechnungen CSSD-Chef Bohuslav Sobotka die Regierung zum Rücktritt aufforderte und baldige Neuwahlen verlangte. Er könne sich eine Koalition mit der Kommunistischen Partei vorstellen. Vojtech Filip, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, äußerte sich bislang nicht zu solchen Plänen. Aller-dings geht die KSCM mit gesteigertem Selbstbewusstsein aus den Wahlen hervor. Auch Staatspräsident Vaclav Klaus enthielt sich aller Kommentare zum Ausgang der Wahlen. Lako-nisch bemerkte das Staatsoberhaupt, jeder müsse selbst wissen, welche Konsequenzen er aus dem Wahlergebnis zu ziehen habe.

Unentschieden sind bislang noch die parallelen Wahlen zu einem Drittel der Senatssitze, die turnusgemäß alle zwei Jahre abgehalten werden. Allerdings zeichnet sich auch hier der Trend ab, dass die Bürgerlichen Mandate verlieren: Von den zu vergebenen 27 Sitzen besetzte die ODS bislang 19. Doch nur zehn Kandidaten der Necas-Partei erreichten jetzt die Stichwahlen. Mit Jiri Dolejs hingegen wird erstmals ein kommunistischer Kandidat um einen Senatsposten von Prag in den entscheidenden Wahlgang am 18. und 19. Oktober gehen. Sollte sich der Trend nach links auch bei den Stichwahlen bestätigen, dürfte Premier Necas seine Koalitions-partner dringend zur Krisensitzung laden. Ein langfristiges politisches Überleben der gegen-wärtigen Koalition scheint dann mehr als gefährdet.

* Aus: neues deutschland, Montag, 15. Oktober 2012


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