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Regierungsbildung in Prag rückt näher

Mögliche tschechische Koalitionspartner einigen sich auf Entwurf eines Regierungsprogramms

Von Jindra Kolar, Prag *

Die Ministerposten sind noch nicht verteilt, die Koalitionspartner haben ihre Ansprüche noch nicht geltend gemacht. Doch in Sachen Regierungsprogramm gibt es in Tschechien Fortschritte.

Auf einem Treffen ihrer Führungsspitzen einigten sich die Vertreter der drei wahrscheinlichen Koalitionsparteien – Sozialdemokraten (ČSSD), Aktion unzufriedener Bürger (ANO) und Christdemokraten (KDU-ČSL) – auf ein Regierungsprogramm. Dessen Sozialverträglichkeit sollte vor allem den Wählern der Linksparteien – Sozialdemokraten und Kommunisten – entgegenkommen. In dem Entwurf wird jedenfalls die Absicht erklärt, die Steuern für die Einkommensschwächeren zu senken. So einigten sich die Vertreter darauf, die Mehrwertsteuer für subventionierte Waren wie Lebensmittel, Kinderkleidung, Bücher und Zeitschriften von bisher 15 auf 10 Prozent zu senken. Die Einkommensteuer für Geringverdiener soll gesenkt, die für Besserverdienende dafür erhöht werden – ein Punkt, der noch nicht völlig ausdiskutiert ist, da vor allem die von der ANO des Milliardärs Andrej Babiš vertretene Wählerschaft nicht damit einverstanden sein könnte. Ebenso wenig wie mit einer Steuererhöhung für Unternehmen, die gleichfalls im Programmentwurf enthalten ist. Doch irgendwoher müssen die Gelder kommen, wenn wie geplant eine gesicherte Mindestrente eingeführt werden soll.

Ein besonders heikles Thema ist die Finanzierung des Gesundheitswesens – bereits Stolperstein für die konservative Regierung unter Mirek Topolanek (2006-2009). Das neue Programm sieht vor, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel völlig abzuschaffen, ebenso wie die auf Produkte des Kindergrundbedarfs. Steuersenkungen sind auch für Ehepaare sowie für Familien mit Kindern vorgesehen.

In ihrem Wahlprogramm hatten sich die Sozialdemokraten strikt gegen eine Restitution der in der sozialistischen ČSSR eingezogenen Kircheneigentümer ausgesprochen. Eine solche Maßnahme sei unter den gegenwärtigen Umständen vom Staat nicht zu leisten, lautete die Begründung. Doch drohen in diesem Punkt Schwierigkeiten im Umgang mit dem potenziellen Regierungspartner, der christdemokratischen KDU-ČSL. Ob sich die »Lidovci« vor die Kirche stellen können, bleibt indes abzuwarten. Die KDU-ČSL ist zwar nach vorübergehender Abwesenheit wieder ins Parlament eingezogen, doch eine überragende Größe hat ihre Fraktion nicht. So könnte sie von ČSSD und ANO in der Kirchenfrage leicht überstimmt werden.

Staatspräsident Miloš Zeman hat den Chef der Sozialdemokraten, Bohuslav Sobotka, für den kommenden Mittwoch zum Gespräch eingeladen. Ob es bei diesem Zusammentreffen bereits zum Auftrag für die Regierungsbildung kommen wird, ist noch zweifelhaft. »Viel wird von der Atmosphäre des Treffens mit dem Präsidenten abhängen«, erklärte die Sprecherin der »Burg«, Hana Burianová.

Zeman hatte noch am Wahltag die Stellvertreterriege der ČSSD getroffen, um mit ihr über die Zukunft von Regierung und Partei zu konferieren. Sobotka – seit Längerem mit dem amtierenden Präsidenten im Dissenz – bezeichnete die Aktion als »Putschversuch« und erreichte, dass sich seine innerparteilichen Gegner aus der Führungsspitze zurückziehen mussten. Wie das Gespräch des nun gestärkten Vorsitzenden der ČSSD mit Miloš Zeman ausgeht, wird in Prag mit Spannung erwartet. Allerdings gibt es kaum Zweifel daran, dass Sobotka über kurz oder lang mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Zeman selbst äußerte seine Überzeugung, dass es »nicht länger als zwei Monate« brauchen werde, bis in Prag ein neues Kabinett vereinigt wird.

Von den geplanten 15 Ministerien will die ANO unter Andrej Babiš sechs übernehmen. »Wir haben Experten für jedes Amt vorbereitet«, erklärte der ANO-Chef. Ob er selbst einen Ministerposten besetzen wolle, ließ er noch offen, es gäbe genügend qualifizierte Mitstreiter, sagte Babiš. Die Christdemokraten zögen mit drei Ministern ins neue Kabinett ein, alle übrigen, so auch die für die Schlüsselministerien Inneres und Äußeres, würden von den Sozialdemokraten gestellt. Wer im Einzelnen in die Regierungsräume auf der Prager Kleinseite einzieht, werden die kommenden Wochen zeigen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. November 2013


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