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Wird Prag rötlich?

Gute Chancen für tschechische Linke bei Neuwahlen. Der bis zu Sommer regierenden Demokratischen Bürgerpartei droht steiler Absturz

Von Reinhard Lauterbach *

Am 28. Oktober feiert die Tschechische Republik ihren Unabhängigkeitstag. Womöglich unter einer neuen politischen Mehrheit. Denn aus der Parlamentswahl, die wahrscheinlich am 25. oder 26. Oktober stattfinden wird – die Entscheidung wird aus Fristgründen am Dienstag erwartet –, dürfte nach den bisherigen Umfrageergebnissen die oppositionelle Sozialdemokratie (CSSD) als stärkste Kraft hervorgehen. Auf Platz zwei sehen die Demoskopen die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM). Erst auf dem dritten Platz wird die konservative Partei TOP09 des ehemaligen Außenministers Fürst Schwarzenberg erwartet, während der bis zum Sommer regierenden Demokratischen Bürgerpartei (ODS) ein steiler Absturz auf sechs Prozent der Wählerinnen und Wähler droht.

Für besonderen Unmut auf der Rechten sorgte Staatspräsident Miloš Zeman, als er eine sozialdemokratisch-kommunistische Regierungszusammenarbeit ins Gespräch brachte – zunächst in der Form, daß die Kommunisten eine sozialdemokratische Minderheitsregierung tolerieren sollten. Das würde auf nationaler Ebene ein politisches Tabu brechen, denn obwohl die Kommunisten seit 1989 stabil um die zwölf Prozent der Stimmen bekommen, haben die übrigen Parteien sie bisher konsequent politisch isoliert. Zeman ist allerdings auch mit den Sozialdemokraten zerstritten, seitdem er vor einigen Jahren aus dieser Partei ausgetreten ist und eine eigene Partei gegründet hat: die »Partei der Bürgerrechte – Zeman-Anhänger«. Bei den letzten Parlamentswahlen ist diese Partei, deren Programm eher nichtssagend ist, an der Fünfprozenthürde gescheitert, diesmal könnte sie den Sprung ins Parlament aber schaffen. Zeman, der Anfang des Jahres vom Volk direkt gewählt wurde, hätte damit dann auch ein politisches Standbein im Parlament.

Auf der tschechischen Rechten werden angesichts des drohenden Mehrheitsverlustes historische Emotionen geschürt. Parlamentspräsidentin Miroslava Nemcová (ODS) verglich die Situation einer eventuellen sozialdemokratisch-kommunistischen Mehrheit mit der »Normalisierungs«-Periode nach dem sowjetischen Einmarsch in die CSSR im August 1968. Und gegen Zeman werden alte Vorwürfe aufgewärmt, seine Partei werde mit russischem Geld finanziert und sei als fünfte Kolonne Moskaus tätig. Hintergrund ist die starke Präsenz russischer Bürger und Unternehmen in Tschechien. Sie haben nicht nur die Immobilien in der Kurstadt Karlový Vary weitgehend übernommen; für größere Wut auf der Rechten sorgt der Umstand, daß auch beim geplanten Ausbau des südböhmischen AKW Temelín ein russisches Unternehmen statt der amerikanischen Westinghouse oder der französischen Areva zum Zuge kommen könnte. Hier dürfte auch der Hauptgrund dafür liegen, daß die Mainstream-Presse Zeman absolutistische Machtgelüste und den Wunsch unterstellt, am Parlament vorbei zu regieren, und daß sie die Neuwahlen als Befreiungsschlag der Parlamentarier zur Rettung der Demokratie erklärt – eine Interpretation, zu der freilich nicht paßt, daß bei dem Auflösungsbeschluß am Dienstag die konservative ODS den Saal verlassen hatte, um eine Mehrheit gegen Zemans Expertenkabinett zu ermöglichen, ohne gleichzeitig gegen die eigene politische Vergangenheit stimmen zu müssen.

Tatsächlich sind die um etwa acht Monate vorgezogenen Neuwahlen das Resultat eines Ansehensverfalls, den sich die tschechische Rechte selbst zugefügt hat. Den Auslöser bildete im Frühsommer eine groteske Abhöraffäre; die Bürochefin und Geliebte des konservativen Exministerpräsidenten Necas hatte dessen Noch-Ehefrau vom Militärgeheimdienst bespitzeln lassen. Korruptionsvorwürfe, die selbst das in dieser Hinsicht hartgesottene tschechische Publikum schockierten, taten ein übriges. Necas mußte im Sommer zurücktreten; da es keine andere Mehrheit gab, versuchte Präsident Zeman, eine Expertenregierung einzusetzen, die de facto aus Leuten seiner eigenen, nicht im Parlament vertretenen, Kleinpartei bestand. Nachdem dieses Kabinett im Parlament keine Mehrheit fand, war die Selbstauflösung mit dem Ziel, Neuwahlen zu erreichen, der einzig praktikable Weg aus dem politischen Patt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 24. August 2013


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