Harter Kurs auf Weichenstellung
Rusnok will's wissen: Tschechische Regierung stellt Vertrauensfrage
Von Jindra Kolar, Prag *
Die tschechische Regierung unter Jiri
Rusnok wirbt an diesem Mittwoch um
das Vertrauen des Parlaments. Der
Regierungschef selbst zeigt sich optimistisch,
doch gerade die konservativen
Parteien geben sich widerspenstig.
Aber auch ohne das Votum könnte
Rusnok regieren.
Dieser Mittwoch steht ganz im
Zeichen einer politischen Weichenstellung:
Gelingt es der von
Präsident Milos Zeman bestellten
Regierung Jiri Rusnoks, das parlamentarische
Vertrauen zu gewinnen,
oder verharrt das politische
Prag weiterhin in der Krise?
An diesem Mittwoch wird die Entscheidung
fallen, zuvor hat der
Regierungschef alle Sondierungsmöglichkeiten
ausgeschöpft.
Der Ende Juni von Zeman berufene
Ministerpräsident gibt sich
optimistisch. »Ich denke, wir werden
die Stimmen von etwa 96 Abgeordneten
bekommen, und das dürfte reichen«, meinte Rusnok am
Vorabend der Abstimmung vor
Journalisten. Rusnok geht davon
aus, dass wegen der Sommerferien
nicht alle Abgeordneten im
Parlament anwesend sein werden.
Laut der tschechischen Verfassung
erhält die Regierung das Vertrauen,
wenn sie die Stimmenmehrheit
der anwesenden Mandatsträger
auf sich vereinigen kann.
Zwar verfügt das bürgerliche
Lager, das bislang die Koalitionsregierung
von Petr Necas gestellt
hat, über eine knappe Mehrheit
von 101 der 200 Parlamentssitze,
doch könnte es sein, dass die
Fraktionsdisziplin nicht so deutlich
eingehalten wird, um eine Regierung
Rusnok zu verhindern. Einige
der bürgerlichen Abgeordneten
aus den Reihen der ODS, von
TOP09 oder der liberaldemokratischen
Lidem-Partei könnten der
Auffassung sein, es sei besser, eine
technische Regierung unter Rusnok
zu tolerieren, als die Gefahr
einer sozialdemokratischen Regierung
heraufzubeschwören.
Sollte das schiefgehen, so hat
bereits der Chef der konservativen
Partei TOP09, der ehemalige Außenminister
Karel Schwarzenberg,
Interesse signalisiert. »Sollte
Rusnok scheitern, werden wir den
Präsidenten sofort auffordern, der
bisherigen Koalition erneut den
Auftrag zur Regierungsbildung zu
erteilen«, so Schwarzenberg vor
der Presse. Er gehe davon aus,
dass sich Zeman diesem Anliegen
nicht verweigern könne. In diesem
Falle sollte die jetzige Parlamentspräsidentin
Miroslava Nemcova
neue Regierungschefin einer Drei-
Parteien-Koalition werden. Sollte
Zeman diesem Antrag nicht zustimmen,
so wolle TOP09 für die
Auflösung des Parlamentes und für
Neuwahlen stimmen.
Im Fall, dass Rusnok doch das
Vertrauen erhält, wolle man noch
am selben Tag über den Haushaltsentwurf
der neuen Regierung abstimmen. Auch dort könnte
dann der nominierte Ministerpräsident
seine erste Abstimmungsniederlage
kassieren.
Lange Zeit war es zweifelhaft,
ob die Sozialdemokratie der neu
ernannten Regierung zustimmen
würde. Der stellvertretende Parlamentspräsident
Lubomir Zaoralek (CSSD) hatte mehrfach erklärt,
es sei besser, sofort zu Neuwahlen
zu schreiten. Unter dem Gesichtspunkt,
dass die Sozialdemokraten bei den vergangenen Regionalund
Kommunalwahlen deutliche Gewinne erzielten und das Land
dominieren, ist dies ein durchaus verständliches Anliegen. Zudem
begrüßte man die Aussage Schwarzenbergs, dass dessen
Partei sich ebenfalls Neuwahlen
vorstellen könne. Eine Aussage,
die allerdings mit Unsicherheiten
behaftet ist: Bereits in der Vergangenheit
hatte TOP09 eine derartige Zusage oft wieder schnell zurückgezogen.
Daher ist inzwischen bei der sozialdemokratischen
und auch bei der kommunistischen Fraktion ein Einlenken zu bemerken.
So wurde die am Freitag vorgestellte Regierungserklärung
von beiden Seiten begrüßt. Darin sieht die Regierung Rusnoks
vor, Maßnahmen zur Belebung der tschechischen Wirtschaft
und vor allem zur Senkung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen.
Außerdem gibt es eine Reihe von Projekten, die Gelder der Europäischen
Union nach Tschechien holen sollen.
Rusnok wird sich auf jeden Fall
gelassen der Vertrauensabstimmung
stellen. Denn auch ohne die
Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu
erlangen, garantiert ihm die Verfassung,
einige Monate weiter regieren
und notwendige Maßnahmen
ergreifen zu können. Dies
wäre nicht einmal ein Präzedenzfall,
wie das zurückgetretene Kabinett
des ehemaligen Premiers
Miroslav Topolanek zeigte: Der
ODS-Politiker hatte nach seiner
Demission noch viereinhalb Monate
weiter sein Amt ausgeübt.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. August 2013
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